Wir müssen draußen bleiben

Seite 2: Arbeitsplatzkonkurrenz, Mobbing, Sexismus

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Dabei unterliegen die unter dem Begriff Hartz IV zusammengefassten Arbeitsgesetze derselben Krisenlogik von Stigmatisierung und Exklusion der Krisenverlierer, wie sie derzeit auch gegenüber Südeuropa zur Entfaltung gelangt. Auch binnenpolitisch konnten die Opfer der Krise der Arbeitsgesellschaft als deren Verursacher stigmatisiert werden. Die Einführung von Regelsätzen auf Armutsniveau, Zwangsarbeit und umfassender Entmündigung von Arbeitslosen in Deutschland wurde von einer entsprechenden Kampagne begleitet, in der der Missbrauch von Sozialleistungen und die angebliche Faulheit und Passivität der aus dem Erwerbsleben herausgefallenen Menschen skandalisiert wurden. Die Opfer der Krise der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft wurden so - ähnlich den Südeuropäern heute - zu den Krisenverursachern aufgebaut. Wiederum folge hier eine Exekution des Krisenverlaufs statt, bei der die ökonomisch marginalisierten Menschen nach ideologischer Stigmatisierung auch institutionell und rechtlich marginalisiert wurden - bis hin zur Zwangsarbeit und Aufhebung der Niederlassungsfreiheit.

Die Durchsetzung der Hartz-Gesetze und der Agenda 2010 erwies sich aber für die deutsche Industrie als voller Erfolg, die von dem fallenden Lohnniveau und der zunehmenden Prekarisierung des Arbeitslebens in Deutschland in Gestalt wachsender Exportüberschüsse profitieren konnte. Für die Lohnabhängigen brachte die Agenda 2010 hingegen eine Intensivierung der Leistungshetze und die damit einhergehende zunehmende Arbeitsplatzkonkurrenz mit sich. Die Furcht vor der totalen Marginalisierung bei Arbeitsplatzverlust, die seit Einführung von Hartz IV im Arbeitsleben vieler Lohnabhängigen virulent ist, ließ nicht nur die Löhne absinken - sie führte auch zu zunehmender Konkurrenz untereinander. Inzwischen opfern viele Lohnabhängige sogar das Mittagessen dem Bemühen, als "besonders engagiert" zu erscheinen. Der Krisenreflex zur Exklusion äußert sich auch auf betrieblicher Ebene in zunehmendem Mobbing von Kollegen, die als Arbeitsplatzkonkurrenten wahrgenommen werden, oder in dem inzwischen zur Volkskrankheit avancierten Burnout-Syndrom.

Auf die mit zunehmender Prekarisierung und Arbeitsplatzunsicherheit einhergehende Krise der Arbeitsgesellschaft reagieren viele Lohnabhängige leider tatsächlich mit Mobbingattacken - mit dem Reflex zur Exklusion von Konkurrenten. Mittlerweile scheinen sich diese systematischen Schikanen zu einem regelrechten Massenphänomen entwickelt zu haben, wie eine im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz- und Arbeitsmedizin durchgeführte Studie ergab:

Danach ist potenziell jeder fünfte Arbeitnehmer in Deutschland mit systematischen Intrigen, Schikanen und Benachteiligungen am Arbeitsplatz konfrontiert. Vor allem Chefs und Vorgesetzte sind dabei die Aggressoren.

Diese "schleichende Entsolidarisierung" ist auch innerhalb der ohnehin abschmelzenden Arbeiterschaft zu konstatieren, wie eine soziologische Studie der Universität Jena konstatierte. Es entwickele sich innerhalb vieler Stammbelegschaften eine Art von "Wagenburgmentalität", mit der die eigene Stellung als festangestellter Lohnarbeiter verteidigt werden soll: "Die eigenen Chancen auf Beschäftigungssicherheit steigen, wenn man den Club der Festangestellten einigermaßen exklusiv hält." In den Belegschaften mache sich das Gefühl breit, das "es nun nicht mehr für alle reicht". Wie weit die Reflexe zur Exklusion, zum Ausschluss von Krisenopfern auch innerhalb der Arbeiterschaft verbreitet sind, legten Befragungen im Rahmen der Studie offen:

Mehr als die Hälfte der Befragten (westdeutschen Facharbeiter) ist der Meinung, auf Arbeitslose solle größerer Druck ausgeübt werden, ein weiteres Drittel stimmt dem zumindest teilweise zu. Und fast die Hälfte bejaht die Aussage: "Eine Gesellschaft, in der jedermann aufgefangen wird, ist nicht überlebensfähig.

In dem Komplex der zunehmenden Arbeitsplatzkonkurrenz lässt sich auch die neudeutsche Frauenfeindschaft einfügen. Bei dieser neuen deutschen Welle des Sexismus wird ja oftmals eine massive Bevorteilung von Frauen durch eine allmächtige feministische Bewegung halluziniert, die in Anlehnung an den neurechten Diskurs als ein Exzess der "politischen Korrektheit" wahrgenommen wird, der zur massiven Benachteiligung von Männern durch wild gewordene "Emanzen" führt. Diese Wahnideen können angesichts der massiven Benachteiligung von Frauen in Deutschland nur deswegen um sich greifen, weil sie als ein ideologisches Instrument bei der verstärkten Arbeitsplatzkonkurrenz greifen, mit dem Männer etwaige Emanzipationsbestrebungen von Frauen im Berufsleben abwehren können. In keinem anderen Land Europas ist der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern - durchschnittlich 22 Prozent! - so hoch wie in Deutschland.

Alle Versuche, diese Benachteiligung von Frauen im Berufsleben zumindest etwas zu verringern, erscheinen den sich darüber empörenden Kritikern der Emanzipation als ein Akt der Diskriminierung - von Männern. Der neue deutsche Sexismus, der sich über den "Tugendterror politsicher Korrektheit" empört, bedient sich somit selber - verzerrter - Argumentationsmuster der politischen Korrektheit. Beide Geschlechter sollen absolut gleich behandelt werden, so das scheinbar politisch korrekte Mantra der Antifeministen. Dadurch wird gerade die bestehende Ungleichheit und geschlechtsspezifische Diskriminierung im Arbeitsleben verfestigt.

Indes geht es bei diesem Antifeminismus längst nicht mehr darum, die reaktionären, erzkonservativen Frauenrollen gesellschaftlich durchzusetzen, die Weiblichkeit in der Sphäre jenseits der Lohnarbeit verorten (Küche, Kinder und Kirche). Der Kritiker des Feminismus sieht in der Frau vor allem den Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt, den es bei dem Hauen und Stechen um gute Jobs aus dem Feld zu schlagen gilt. Alle Programme, die der strukturellen Benachteiligung von Frauen im Berufsleben entgegenwirken sollen, werden so als "Wettbewerbsverzerrung" wahrgenommen.