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Stigmatisierung, Marginalisierung und Exklusion als zentrale Reflexe bürgerlicher Krisenideologie und -praxis
Vergangenen Monat musste Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) harsche Kritik für seinen Vorstoß einstecken, das in sozioökonomische Desintegration übergehende Griechenland möglichst kostengünstig zu entsorgen. Der bayrische Hardliner im Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel legte Athen kurz vor der Abstimmung über ein weiteres sogenanntes "Hilfspaket" für Griechenland nahe, doch endlich "freiwillig" aus der Eurozone auszuscheiden. Die Dementis aus dem Regierungslager folgten prompt, bei denen etliche Regierungskollegen von einem "falschen Signal" sprachen und auch Merkels Sprecher sich ausdrücklich distanzierte.
Dennoch stand - und steht - Friedrich wahrlich nicht alleine dar. Neben weiteren Parteifreunden - wie etwa Bayerns Finanzminister Markus Söder -, die sich an die Seite Friedrichs stellten, wächst auch innerhalb des deutschen Managements der Unwille gegenüber Athen, wie eine Umfrage des Manager Magazins unter rund 300 "Führungskräften" der deutschen Industrie ergab, bei der 57 Prozent für ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone plädierten. Klartext sprach in diesem Zusammenhang auch der Bosch-Chef Franz Fehrenbach, der im Interview mit dem Manager Magazin Athen zum Austritt auffordert. Griechenland sei "marode und in einer Solidargemeinschaft eine untragbare Belastung", so Fehrenbach unter Anwendung des inzwischen beim deutschen Griechenland-Diskurs üblichen Neusprech. Deutschlands Industriekapitäne können hierbei einen Großteil der lohnabhängigen Bevölkerung hinter sich wissen, die sich bei einer Emnid-Umfrage zu 63 Prozent gegen weitere Hilfen für Griechenland aussprach.
Die in der Bevölkerung dominierende Stimmungslage, die anhand dieser Umfrageergebnisse zutage tritt, ist somit von reflexartigen Tendenzen zur Exklusion, zum Ausschluss der als übermäßige Kostenfaktoren - als das sprichwörtliche "Fass ohne Boden" - stigmatisierten Griechen geprägt. Die Mehrheitsmeinung will keine weiteren Milliarden für "die faulen und korrupten Griechen" mehr "verschwenden". Stattdessen sollen sich "die Griechen selber helfen", wie es Söder formulierte.
Im Endeffekt zielen diese populistischen Forderungen darauf hinaus, die Krisenkosten zu beschränken, ein im Zusammenbruch befindliches Land zu "entsorgen". Denn selbstverständlich würde das in den Kollaps getriebene Mittelmeerland bei einem Austritt aus der Eurozone eine irreversible Kapitalflucht erfahren, deren Folgen Griechenland auf das gesellschaftliche Niveau eines Dritte-Welt-Staates fallen ließen. Dieser in der deutschen Öffentlichkeit aufkommende Wunsch nach einer raschen Beseitigung des Kostenfaktors Athen ist um so problematischer, da es ja maßgeblich die Kahlschlagpolitik der Regierung Merkel war, die Athen in die gegenwärtige Depression getrieben hat. Die Folgen des Scheiterns der deutschen Austeritätspolitik soll somit allein die Bevölkerung Griechenlands tragen, indem das Land aus der Eurozone ausgeschlossen wird. Dieser populistisch ausgeschlachtete Reflex zur Exklusion von Krisenopfern bildet ein grundlegendes Element der gegenwärtigen Krisenideologie, deren Grundannahmen beängstigend primitiv sind: Die Krisenopfer werden zur Ursache der Krise halluziniert. Somit findet eine Personifizierung der Krisenursachen statt, bei der die imaginierten Eigenschaften, oder das angebliche Fehlverhalten der Krisenopfer zum Auslöser der gegenwärtigen Verwerfungen erklärt werden. Im Falle Griechenlands - wie auch abgeschwächt Südeuropas - sind ja die entsprechenden Krisenmythen längst zum Allgemeingut geworden, denen zufolge die Sparmaßnahmen in Hellas an der ausartenden Korruption, Vetternwirtschaft und der massenhaften Steuerhinterziehung gescheitert seien. Die Griechen hätten aufgrund ihrer - kulturell oder rassisch bedingten? - Neigung zur Vetternwirtschaft und Steuerhinterziehung die gegenwärtige Krise ausgelöst und deren Überwindung hintertrieben, so das populistische Mantra hierzulande - das sich angesichts eines wegen Vetternwirtschaft zurückgetretenen Bundespräsidenten und eines bundesweiten Volumens an jährlichen Steuerhinterziehungen von rund 30 Milliarden Euro recht skurril ausnimmt.
Krise der EU und Europaskepsis
Die in der Bundesrepublik um sich greifende Europaskepsis, wie die damit korrespondierende Neigung, allgemeine Missstände des Kapitalismus oder bestimmte Krisenphänomene auf "den Griechen" oder "die Südeuropäer" zu projizieren, hat aber ein handfestes ökonomisches Fundament. Zum einen wird Südeuropa aufgrund der dort einsetzenden Rezession nicht mehr eine zentrale Rolle als Absatzmarkt der deutschen Industrie spielen können, sodass die enormen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands gegenüber diesen Ländern zwangsläufig abnehmen, während die Krisenkosten weiter ansteigen werden. Europa droht somit zu einem schlechten Geschäft für Deutschlands Exportindustrie zu verkommen.
Andrerseits würde der Ausschluss Griechenlands - und perspektivisch auch weiterer südeuropäischer Euroländer - nur den Folgen des bisherigen Krisenverlaufs auch institutionell auf europäischer Ebene Rechnung tragen. Griechenland erlebt aufgrund des deutschen Spardiktats einen dauerhaften sozioökonomischen Einbruch, der nicht mehr von einem Abschwung abgelöst wird. Ähnliche Tendenzen zum permanenten Abstieg in die Peripherie des kapitalistischen Weltsystems deuten sich in Spanien, Portugal und abgeschwächt auch in Italien an. Es ist, als ob sich im Gefolge der Krise die "Dritte Welt" von Nordafrika aus nordwärts über das Mittelmeer bis nach Südeuropa ausbreiten würde und die relativen "Wohlstandsinseln" in Europa weiter abschmelzen würden.
Die Expansion der "Dritten Welt" über das Mittelmeer löst somit gegenüber Südeuropa auch dieselben Reflexe aus, wie sie gegenüber den Krisenopfern aus Afrika längst politischer Konsens sind: Schotten dicht, selbst wenn hierbei Tausende absaufen. Dabei bildet der gegenwärtige Krisenschub nur die jüngste Phase einer fundamentalen Systemkrise des Kapitalismus, die sich in einem jahrzehntelangen Prozess von der Peripherie ins Zentrum des Weltsystems frisst. Das Scheitern von Modernisierungsstrategien, Zusammenbrüche der Industrie und drakonische Austeritätsprogramme des IWF durchlebten in den 1980ern viele der Staaten der "Dritten Welt", die im hiesigen Diskurs höchstens in Zusammenhang mit Flüchtlingsabwehr noch Erwähnung finden. Die Region wirtschaftlich "verbrannter Erde", wo kaum noch Warenproduktion im volkswirtschaftlich nennenswerten Maßstab vonstattengeht, rückt somit weiter an die Zentren des kapitalistischen Weltsystems heran.
In diesen abschmelzenden Regionen des relativen Wohlstands gewinnen die illusionären Vorstellungen überhand, mittels der Exklusion der neuen südeuropäischen Krisenopfer die eigene soziale und wirtschaftliche Position aufrechterhalten zu können. Wenn in der herrschenden Ideologie die Krisenopfer als die Schuldigen der Krise imaginiert werden - und nicht die Widersprüche des Kapitalismus -, dann könnte der Krise einfach durch deren Ausschluss ein Ende gesetzt werden. Diese Krisenpolitik des Ausschlusses der Krisenverlierer beschränkt sich somit darauf, die Krise zu exekutieren: Die im Krisenverlauf ökonomisch marginalisierten Menschen werden nun auch politisch und institutionell marginalisiert. Diese widerliche Krisentendenz besteht somit darin, die gesamte Last der Krisenauswirkungen einfach auf die Krisenopfer abzuwälzen.
Die auf europäischer Ebene zunehmende Tendenz zur Exklusion der Krisenverlierer schlägt sich längst auch auf die bundesdeutsche Innenpolitik nieder. So lässt die Bundesregierung das seit 1953 geltende europäische Fürsorgeabkommen aushebeln, das auf Arbeitssuche befindlichen EU-Bürgern Anrecht auf Sozialleistungen gewährt. Künftig sollen somit EU-Ausländer kein Hartz IV beantragen können. Das Heer der Marginalisierten Südeuropas, das nicht zuletzt aufgrund der von Berlin europaweit durchgesetzten Austeritätspolitik rasch anschwillt, soll somit von der Inanspruchnahme der kümmerlichen Überreste des einmaligen deutschen Sozialstaates ausgeschlossen werden.