"Wir sind Zetas"

Ein Drogenkartell organisiert Massenentführungen von undokumentierten Migranten an Mexikos Nordgrenze

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Der Regen hämmert enervierend auf das Blechdach. Das einfache Bauernhaus „Rancho La Victora“ steht einsam außerhalb der Ortschaft. Es wirkt finster und gefährlich. Dieser Ort des Verbrechens wirkt so, als würde sich jemand mit einer Augenklappe als Räuber maskieren. Aber hier ist wirklich ungeheuerliches geschehen. Eine Woche wurden 52 undokumentierte Migranten aus Zentralamerika gefangen gehalten. Die Täter - sogenannte „Zetas“ - wollten von ihren Angehörigen Lösegeld erpressen. Sie hatten Glück, denn nach einer Woche rettete sie das Militär. Zwei Verschleppten war die Flucht geglückt und dann einer Patroullie in die Arme gelaufen. Glück auch deshalb, weil in ähnlichen Fällen Flüchtige von korrupten Polizisten zurück in die Hände der Entführer gebracht wurden.

Der salvadoranische Journalist Oscar Martinéz recherierte dieses und ähnliche, wie man es an der Nordgrenze von Mexiko bisher nicht kannte. Der mexikanische Menschenrechtsbericht aus dem Frühjahr belegt seine Recherche: Allein in sieben Monaten sei der Menschenrechtskommission von mehr als 10.000 Entführungsopfern berichtet worden. Massenhafte „Expressentführungen“ von undokumentierten Migranten aus Zentralamerika ist die neue „Mode“, mit der sich die Drogenkartelle bereichern. Nach Schätzung der Journalisten mindestens 25 Millionen US-Dollar im Jahr.

Oscar Martinéz arbeitet für die renommierte salvadoranische Onlinezeitung ElFarol.net seit einem Jahr in dem Spezialprojekt „En El Camino“. Sie berichten aus der Grenzregion Mexiko-USA, indem sie die Migranten auf ihrem gefährlichen Weg begleiten. Die Reportagen sind atemberaubend, wenn sie berichten wie die Menschenrechte der Reisenden mit Füßen getreten werden, wie sie ausgeraubt und ausgebeutet werden. Doch was sich seit dem vergangenen Jahr ereignet kennt keinen Vergleich: „Bereits am Jahresende 2008 haben wir einen Bericht mit dem Titel `Entführungen, die niemanden interessierten` veröffentlicht. Die mexikanischen Medien haben dazu einige Artikel veröffentlicht, dann war wieder Schweigen und die Autoritäten haben nichts getan“, berichtet Martínez. Mit ihren neuen Enthüllungen hat es Martinéz zu einer Titelgeschichte im führenden mexikanischen Nachrichtenmagazin Proceso gebracht.

Im Grenzgebiet zu Texas bekommen es die Migranten mit einem neuen Akteur zu tun. Die von den US-Behörden errichtete Mauer bietet immer weniger Möglichkeiten zum Durchschlüpfen und um diese konkurrieren die Wanderer mit den Drogenkartellen. Nicht nur das: Die Kartelle haben mit den Massenentführungen eine Möglichkeit der Bereicherung entdeckt. Sie beherrschen diese Region. Ihr bewaffneter Arm sind die sogenannten „Zetas“, die auf eine desertierte Eliteeinheit des mexikanischen Militärs zurückgehen und heute als eigenständiges Drogenkartell agieren.

Wie ein Kraken bedienen die „Zetas“ ein Netzwerk aus Helfern und korrupten Staatsbediensteten in der Region. Sie mieten abgelegene Bauernhöfe wie „La Victoria“, aber auch Stadtwohnungen an, wo sie die Entführten gefangen halten. Zu den Helfern der schwerbewaffneten „Zetas“ gehören Spitzel, die sich unter die Migranten mischen. Sie horchen sie aus und beobachten sie. Wenn dann das bewaffnete Kommando von ein bis zwei Dutzend „Zetas“ mit Maschinenpistolen den Zug überfällt und alle Migranten entführt, werden sie nach dieser Information in drei Gruppen aufgeteilt: Solche mit Familie in den USA, solche bei denen nicht klar ist, ob sie Angehörige im Norden haben und zuletzt die Gruppe derer ohne Familienanschluss. Erstere werden um bis zu 5.000 US-Dollar erpresst, die per Eilüberweisung durch Western Union oder Money Gram übermittelt werden. Zweitere haben die Chance sich mit Angehörigen in Verbindung zu setzen. Aber wer nichts wert ist und auch keinen Auftrag für die Entführer übernehmen kann, läuft Gefahr ermordet zu werden. „Ehre kennen diese Verbrecher nicht. Es sind auch schon Migranten ermordet worden, für die das geforderte Lösegeld bezahlt worden war“, berichtet Martinéz.

Der Journalist und seine Mitstreiter von „El Camino“ wollen einen Beitrag dazu leisten, dass die Massenentführungen bekannt werden und der mexikanische Staat endlich gezielt handelt. Derzeit arbeiten sie an einem Fotoband und einem Dokumentarfilm, der im März 2010 erscheinen soll.

„Zu all den Menschenrechtsverletzungen unter denen die Migranten leiden, hat sich ein neues Schreckensszenario gesellt“, sagte Padre Pedro Pantocha. Seit fast neun Jahren leitet der katholische Geistliche das „Haus der Migranten“ in Saltillo im mexikanischen Coahuila nahe der Grenze zu den USA. Er seufzt und berichtet von Unglaublichem: Von der Entführung und Ermordung vieler tausender undokumentierter Migranten, die aus Zentralamerika kommen und ihr Glück im Norden versuchen wollen

Padre Pantoja unterstützt die beiden Journalisten. Seine Mitarbeiter und er haben auch bereits mehrmals Politik und Verwaltung zum Handeln aufgefordert. Vergebens… „Wir setzen uns ein für ein neues Gesetz, das die gewährleistet, dass den Migranten auf ihrem Weg der Schutz zukommt, der ihnen gebührt“, sagte er. Wichtig sei auch, dass die Regierungen Zentralamerikas endlich handeln, denn die Länder aus denen die Migranten kommen, kümmern sich bislang fast überhaupt nicht um ihre Landsleute.

Torge Löding arbeitet für das unabhängige Kommunikationszentrum Voces Nuestras in San José, Costa Rica