Wir stehen vor der zweiten Neuordnung Europas

Seite 2: Rückblick auf Afghanistan und eine aufschlussreiche Erklärung

Denn schon ein halbes Jahr vor der sowjetischen Militärintervention hatte Präsident Carter am 3. Juli die erste Direktive zur militärischen Unterstützung der Mudschaheddin gegen die Regierung in Kabul gegeben. Brzeziński dazu:

An diesem Tag schrieb ich dem Präsidenten eine Notiz, in der ich ihm erklärte, dass diese Hilfe meiner Meinung nach zu einer sowjetischen Militärintervention führen würde (...) Wir haben die Russen zum Eingreifen nicht gedrängt, aber wir haben bewusst die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie es tun werden.... Diese Geheimaktion war eine ausgezeichnete Idee. Es hatte den Effekt, die Russen in die afghanische Falle zu locken, und Sie möchten, dass ich das bereue? (...) An dem Tag, an dem die Sowjets offiziell die Grenze überschritten, schrieb ich an Präsident Carter: "Wir haben jetzt die Gelegenheit, der UdSSR ihren Vietnamkrieg zu schenken."

In der Tat musste Moskau fast zehn Jahre lang einen unerträglichen Krieg für das Regime führen, einen Konflikt, der zur Demoralisierung und schließlich zum Zerfall des Sowjetimperiums führte (...) Was ist wichtiger in der Geschichte der Welt? Die Taliban oder der Untergang des Sowjetimperiums? Ein paar islamische Extremisten oder die Befreiung Mitteleuropas und das Ende des Kalten Krieges?

Zbigniew Brzesinski

Wer mag ausschließen, dass der systematischen Frontverschiebung an die Grenzen Russlands, der Blockade des Minsker Abkommens nicht die gleiche Strategie der Befreiung Mitteleuropas von Putin und die Ersetzung durch einen neuen Jelzin zugrunde lag?

Die USA haben eine lange Praxis des Regimewechsels, selbst wenn das Ergebnis nicht immer erfolgreich war. Warum konnte man nicht die Ablehnung des Nato-Beitritts der Ukraine von 2008 erneuern?

Wäre es ein Gesichtsverlust gewesen, mit Russland einen Vertrag über gleiche Sicherheit abzuschließen, in dem auf Angriffswaffen in den grenznahen Nato-Staaten verzichtet worden wäre?

Wirtschaftskrieg mit dem Westen: Das sind die russischen Gegensanktionen (9 Bilder)

Die russische Regierung setzte Ende Februar 2022 als Reaktion auf die EU-Sanktionen in Zuge des Angriffs auf die Ukraine alle Raketenstarts vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana aus. Die Weltraumbehörde Roskosmos stoppe "die Zusammenarbeit mit europäischen Partnern bei der Organisation von Weltraumstarts vom Kosmodrom Kourou aus", hieß es. Auch das technische Personal, knapp 90 Mitarbeiter, würden aus Französisch-Guayana abgezogen. Unser Bild zeigt ein Sojus-Raumschiff in Kourou. Bild: elisabetta_monaco / CC-BY-2.0

Warum hat man die Ukraine nicht dazu gebracht, die Maßnahmen aus dem Minsker Vertrag, den die Ukraine selbst unterschrieben hatte, umzusetzen?

Nun hat Putin den Preis erhöht. Er fordert, die Ukraine solle offiziell auf den Beitritt zur Nato verzichten, sie solle die Krim und Sewastopol als russisches Territorium anerkennen, seiner Entmilitarisierung zustimmen und sich für neutral erklären.

Die Berufung auf die vom IGH akzeptierte Abspaltung des Kosovo war gestern, nun ist das Putins Jugoslawien. Das Völkerrecht ist futsch – das hatten die Nato-Staaten schon 1999 für überflüssig erklärt. Der Krieg gegen Jugoslawien eröffnete die erste Neuordnung Europas, mit dem Krieg gegen die Ukraine erleben wir nun die zweite Neuordnung Europas.

Beide Kriege waren und sind eine grobe Verletzung des Völkerrechts. Doch von Jugoslawien ging keine Gefahr aus, der Krieg war offensiv und expansiv, als "humanitäre Intervention" schlecht getarnt.