Wir stehen vor der zweiten Neuordnung Europas

Seite 3: Putin hat mit dem Angriff auf die Ukraine den Einsatz erhöht

Die Ukraine war nun für Russland die rote Linie, das hatte Putin wiederholt betont. Sie drohte überschritten zu werden und musste verhindert werden. Dahinter steckt nicht die Sehnsucht nach dem großrussischen Reich, sondern der Wunsch nach einer vertraglichen Sicherheitsgarantie mit deutlichen Schritten der Abrüstung und Entspannung. Was hinderte die Nato-Staaten, dem zu entsprechen? Ist die Neutralität der Ukraine nach dem Beispiel von Österreich oder Finnland eine abwegige Zumutung?

Der Iran hatte seinerzeit den USA den Verzicht auf die nukleare Aufrüstung angeboten, wenn sie einem gegenseitigen Nichtangriffspakt zustimmen oder einen einseitigen Gewaltverzicht aussprechen würden. Die USA hatten abgelehnt, wie auch schon gegenüber Nordkorea. Die USA wissen, wie man Konflikte unter Druck hält.

Nur sollten ihnen die Erfahrungen mit Kuba, Iran, Nordkorea und Russland endlich zeigen, dass dieser postkoloniale Umgang mit starken Staaten außer großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten für die Menschen politisch nichts bringt und sogar zur Katastrophe führen kann. Doch offensichtlich macht auch die geografische Ferne zu den Schauplätzen ihrer Aktionen die US-Regierung immer noch unempfindlich für deren zerstörerische Auswirkungen und menschenrechtlichen Katastrophen.

Es ist schon erstaunlich, in welchem hermetischen Zirkel sich die Überlegungen der Nato-Regierungen und der ihr folgenden Medien bewegen. Es dreht sich nur um die Sanktionen, die man jetzt greifen und wie man zukünftig reagieren müsse. Man habe alles versucht, den Krieg zu vermeiden.

Offensichtlich hat man aber die Vorschläge Putins übersehen und erinnert sich auch jetzt nicht daran. Sie spielen keine Rolle in den Überlegungen über den Weg zurück zum Frieden. Über die Erfolglosigkeit der Sanktionen zur Friedensstiftung scheint man sich weitgehend einig zu sein. Was hat man denn anderes zu bieten, um seine Stärke und Handlungsfähigkeit zu zeigen?

Die Medien assistieren, selbst dort wird nicht über die Möglichkeit und Rationalität der russischen Forderungen diskutiert. So wie Madeleine Albright seinerzeit bekannte, dass der Tod von 500.000 Kindern infolge der US-Sanktionen im Irak den Preis wert sei, so sind offensichtlich jetzt die zu erwartenden Zerstörungen und Toten den Preis wert, keine Neutralität der Ukraine zu fordern und ihre Nato-Mitgliedschaft offenzuhalten.

Die hin und wieder zu hörenden Angebote zu Gesprächen mit dem Feind sind leere Angebote. Was hat man denn anzubieten, wenn man den möglichen Gesprächspartner nicht anhören will?

Wir müssen trotz allem den sofortigen Stopp aller Kampfhandlungen fordern. Wir müssen aber auch die Nato warnen, mit Waffenlieferungen den Krieg weiter anzuheizen –das ist nicht der Weg der Solidarität.

Notwendig wird humanitäre Hilfe für die leidenden Menschen und zahllosen Opfer sein, und schließlich muss wieder die Diplomatie Wege des Gesprächs finden, die die Sicherheitsinteressen beider Seiten ernstnimmt.

Norman Paech ist Jurist und lehrte als Professor für Politikwissenschaft und für Öffentliches Recht an der Universität Hamburg. Er gehörte von 2005 bis 2009 dem 16. Deutschen Bundestag an, unter andertem als außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke