Wird "Containern" bald straflos?
Aneignung von Lebensmitteln aus Müllcontainern darf nicht mehr strafbar sein. Nach zwei Jahren regierten Minister. Warum die Vorschläge aus dem Kabinett enttäuschen.
Hinter dem Begriff "Containern" verbirgt sich nicht mehr nur ein gesellschaftliches Phänomen, sondern auch eine politische Debatte. Es geht um die Frage, ob und inwiefern man das Retten von Lebensmitteln aus Müllcontainern von Supermärkten in Deutschland straflos stellen kann.
Ausgangspunkt der politischen Debatte war ein Fall aus Bayern, bei dem zwei Studentinnen, die im Juni 2018 containert hatten, wegen Diebstahls verurteilt wurden. Das daraufhin angerufene Bundesverfassungsgericht beanstandete diese Verurteilung zwar nicht als verfassungswidrig. Dennoch galt die Entscheidung aus Karlsruhe vielen als Weckruf.
Dies liegt nicht zuletzt an den deutlichen Worten, die die Verfassungsrichter für die aktuelle rechtliche Situation beim Containern gefunden haben. So heißt es im Beschluss (NJW 2020, 2953) unter anderem:
Der Gesetzgeber, der bisher Initiativen zur Entkriminalisierung des Containerns nicht aufgegriffen hat, ist insofern frei, das zivilrechtliche Eigentum auch in Fällen der wirtschaftlichen Wertlosigkeit der Sache mit Mitteln des Strafrechts zu schützen.
Weiter liest man dort:
Es ist aber grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns unter Berücksichtigung der jeweiligen Lage verbindlich festzulegen.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Ball also schon 2020 dem Gesetzgeber zugespielt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist klar, dass im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung auch im Hinblick auf das Containern etwas passieren muss.
Erste Änderungsvorschläge kamen zwar schnell, insbesondere von der Linkspartei, die sich mit ihrem Gesetzentwurf "Entkriminalisierung des Containerns von Lebensmitteln" (BT-Drs. 20/4421) vom 20. November 2020 für eine Änderung im Strafgesetzbuch aussprach.
Bis das Thema jedoch auch von den Regierungsparteien im Bund aufgegriffen wurde, hat es gedauert. Und bis eine Lösung gefunden ist, wird es wohl noch länger dauern.
In der aktuellen Debatte um den Hamburger Vorschlag zur Novellierung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren, kurz RiStBV, ist von einem Konsens der Bundesländer jedenfalls noch nicht die Rede.
Ziel dieser Novellierung ist es, eine neue Nummer 235a in die RiStBV einzufügen. Diese neue Nummer gibt – vereinfacht gesagt – den Staatsanwaltschaften auf, Diebstahlverfahren wegen Containerns regelmäßig aus Opportunitätsgründen einzustellen. Für diesen Vorschlag wirbt neuerdings auch der Bundesjustizminister.
Damit macht er es sich allerdings sehr einfach. Es scheint beinahe so, als sei er spontan auf das Thema aufgesprungen. Mit Blick auf den zeitlichen Verlauf erhärtet sich dieser Verdacht; man denke nur an die Fallhistorie: Container-Tat im Juni 2018, Verurteilung durch das Amtsgericht im Januar 2019, Sprungrevisionsverwerfung im Oktober 2019, Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im August 2020.
Lebensmittelverschwendung ist längst keine Randmaterie mehr und der Kampf dagegen gehört auf einer politischen Agenda nach oben – und das nicht nur bei Gelegenheit.
Ferner greift der vom Bundesjustizminister favorisierte Lösungsvorschlag zu kurz. Eine entsprechende Novellierung der RiStBV kann im Unterschied zu einer gesetzlichen Änderung bestenfalls für – faktische – Straflosigkeit sorgen.
Das bedeutet: Gegen die Betroffenen werden zunächst weiterhin Strafverfahren eingeleitet und der Staatsanwaltschaft bleibt es dabei unbenommen, im Ausnahmefall von einer Einstellung dieser Verfahren abzusehen. Echte Straflosigkeit sieht anders aus.
Es herrscht also berechtigte Enttäuschung vor allem bei den Menschen, die sich mithilfe des Containerns aktiv gegen Lebensmittelverschwendung einsetzen und die sich diesbezüglich gern vor Strafverfolgung geschützt sähen.