Wird die Welt immer friedlicher?
Nach dem Human Security Report 2005 ist seit dem Ende des Kalten Kriegs die Zahl der Kriege und Konflikte sowie die der Toten und Flüchtlinge erheblich zurückgegangen
Geht man nach dem ersten Bericht Human Security Report 2005, der eben veröffentlicht wurde, dann ist die Welt heute nach dem Ende des Kalten Kriegs trotz aller Bürgerkriege und trotz des Terrorismus, der die Medien und die Politik beherrscht und als größte Bedrohung inszeniert wird, weitaus friedlicher und gewaltfreier geworden. Auch die Zahl der Menschenrechtsverletzungen sei zurückgegangen. Grund dafür seien die Aktivitäten internationaler Organisationen, allen voran die der Vereinten Nationen. Allerdings wurden Konflikte nur bis zum Jahr 2003 erfasst.
Die Studie, erstellt vom Liu Institute for Global Issues an der University of British Columbia, Vancouver, veröffentlicht von Human Security Centre und finanziert von Kanada, Großbritannien, Norwegen , Schweden und der Schweiz, will ähnlich wie etwa der Entwicklungsbericht der UN eine globale Zustandserfassung der Sicherheit bzw. des Schutzes des einzelnen Menschen vor Krieg und anderen gewalttätigen Konflikten im Unterschied zum Konzept der "nationalen Sicherheit" vorlegen. Das ist ohne Zweifel ein interessanter Ansatz, der ein wenig den Kriminalitätsberichten von einzelnen Ländern gleicht und noch einmal die Dimension der Weltinnenpolitik deutlich macht. Gleichzeitig entspricht das Ergebnis des Human Security Report dem von vielen Kriminalitätsberichten in den reichen westlichen Ländern. Die Gewaltkriminalität wird oft weniger, auch wenn die gefühlte Unsicherheit zunimmt.
Der Bericht hat denn offensichtlich auch die Absicht, bestimmte Vorstellungen zu entkräften, die heute in der Meinung der Menschen und in den Medien vorherrschen sollen (" Its findings are sharply at odds with conventional wisdom"). Beispielsweise, dass die Gewalt zunimmt, es mehr Völkermorde gebe, die größte Gefahr vom internationalen Terrorismus ausgehe, die Zahl der Flüchtlinge steige oder 90 Prozent der in Konflikten Getöteten Zivilisten seien. All das stimmt nach den Ergebnissen des Berichts nicht, auch wenn die Autoren einräumen müssen, dass vielfach genaue Zahlen oder oft überhaupt Zahlen fehlen.
Bürgerkriege, Völkermorde und internationale Krisen sind erheblich zurückgegangen. Internationale Kriege, die heute nur noch einen Bruchteil aller Konflikte darstellen, sind seit längerer Zeit stetig ebenso weniger geworden wie Militärputsche und die durchschnittliche Zahl der Menschen, die jährlich in Konflikten getötet werden.
So habe es 1963 noch 25 Militärputsche gegeben, 2004 waren es 10, die allerdings alle gescheitert sind. Trotz Ruanda und Balkan-Kriegen habe sich die Zahl der Völkermorde und Massenmorden an bestimmten Menschengruppen (politicides) zwischen 1988 und 2001 um 80 Prozent vermindert, die Zahl der internationalen Krisen ist zwischen 1981 und 2001 um 70 Prozent zurückgegangen. Traditionelle Kriege machen nur noch 5 Prozent aller bewaffneten Konflikte aus. Nach 1945 waren neben dem West-Ost-Konflikt mit seinen Stellvertreterkriegen vor allem die Folgen des Kolonialismus ein Grund für die Vielzahl von Kriegen und Bürgerkriegen. Nach 1945 explodierte die Zahl der Befreiungs- oder Unabhängigkeitskämpfe, die 1990 ihren Gipfel ereichte und dann schnell abnahm.
Seit Ende der 80er Jahre sind auch mehr Kriege beendet als begonnen worden. Und seit Anfang der 90er Jahre ist die Zahl der bewaffneten Konflikte um mehr als 40 Prozent gesunken. Die meisten der bewaffneten Konflikte finden in den ärmsten Ländern der Welt und hier besonders in Afrika statt, zwischen 2002 und 2003 seien diese aber auch hier von 41 auf 35 Interessant ist, dass in der Zeit des Kalten Krieg die meisten internationalen Kriege von Großbritannien und Frankreich, danach von den USA und Russland bestritten wurden.
Die frohe Botschaft des Berichts, die verbreitete Mythen untergraben will, geht aber noch weiter, denn nach ihm haben nicht nur die bewaffneten Konflikte abgenommen, sondern auch die Zahl der Toten. 1950 lag die Zahl der in jedem Konflikt jährlich Getöteten noch bei durchschnittlich 38.000 Menschen (und insgesamt 700.000), 2002 waren es nur noch 600 (insgesamt 20.000)– ein Rückgang von 98 Prozent (allerdings geht die WHO 2002 von 172.000 Toten aus). Bei 90 Prozent der Toten handelt es sich vermutlich um indirekte Todesfälle, die durch die Auswirkungen eines Kriegs verursacht werden, aber nicht durch die Kämpfe selbst. Seit dem 11.9. nehmen als einzige Ausnahme vom allgemeinen Trend Anschläge des internationalen Terrorismus zu, räumen die Autoren ein, aber die Zahl der Todesopfer sei noch immer geringfügig gegenüber denjenigen, die in bewaffneten Konflikten sterben.
Nicht zurückgegangen ist allerdings die Zahl der Morde. Mit 10 Morden pro 100.000 Menschen sind wir 2001 wieder auf den Stand von 1959 zurückgefallen. Bis auf zwei Peaks Mitte der 70er Jahre und Mitte der 90er Jahre, der vermutlich durch die Massenabschlächterei in Ruanda verursacht wird, lagen die Zahlen ansonsten aber unter der Mordrate von 2001. Zwar ist die Zahl der Flüchtlinge weniger geworden, die der in einem Land Vertriebenen ist aber angestiegen. Der Bericht stellt auch in Frage, dass Frauen die Hauptleidenden bei Kriegen seien. Obgleich es keine genauen Zahlen gebe, sei die Zahl der direkt oder indirekt in Konflikten getöteten Männer sehr viel höher als die der Frauen. Diese seien der sexuellen Gewalt ausgesetzt, aber darüber gebe es keine verlässlichen Zahlen, ebenso wenig wie über die Kindersoldaten.
Der Rückgang der bewaffneten Konflikte in den 90er Jahren sei auch einhergegangen mit einem Rückgang der Flüchtlingsströme (45 Prozent weniger von 1992-2003) und mit weltweit sinkenden Militärausgaben, Waffenverkäufen und Truppenzahlen. Das hat auch etwas mit den Konflikten zu tun. In der kämpferischen Hochzeit des Kalten Kriegs kämpften große Armeen mit schweren Waffen gegeneinander, derzeit überwiegen Bürgerkriege und asymmetrische Konflikte, bei denen ein Großteil der Kämpfenden nur über leichte Waffen verfügt und anstatt offenen Gefechten eher Anschläge und Überfälle vorherrschen. Die mit modernster und überwältigender Waffengewalt ausgerüstete Seite im asymmetrischen Konflikt kann Kriege wie in Afghanistan und im Irak schnell und relativ präzise mit relativ wenigen Opfern gewinnen, auch wenn die Konflikte damit keineswegs beendet sind, wie ebenfalls beide Länder zeigen. Im Irak sind nach dem eigentlichen Krieg Zehntausende von Menschen im Zuge des Konflikts getötet worden.
Das nach dem Kalten Krieg die Zahl der Konflikte (vorerst) so stark abnehmen konnte, führt der Bericht vor allem auch darauf zurück, dass mit dem Ost-West-Konflikt die Vereinten Nationen mitsamt anderen internationalen Organisationen und NGOs ein höheres Gewicht erhielten und der Sicherheitsrat Entscheidungen treffen konnte. In den 90er Jahren vermehrten sich daher Interventionen zur Verhinderung von Kriegen und Friedensmissionen. Auch wenn die Prävention nicht wirklich gelang, so waren die UN-Bemühungen zur Konfliktbeilegung und Friedenssicherung mit verantwortlich dafür, dass die Konflikte kürzer ausfielen und weniger Opfer erforderten.
Der Bericht warnt zwar davor, dass mit dem Rückgang der Kriege und bewaffneten Konflikte – wohlgemerkt: bis 2003 – nicht auch schon deren Ursachen beseitig wären. Die Ursachen seien oft nur verdrängt und unterdrückt, so dass Konflikte schnell wieder ausbrechen können. Der Krieg gegen den Terrorismus hat auch Spannungen verschärft und neue potenzielle Konflikte geschaffen. Die Bedeutung der Vereinten Nationen dürfte vielleicht aus politischen Gründen, vermutlich auch aus Gründen der untersuchten Zeitspanne überhöht sein. Denn gerade seit 2002 und im Vorlauf zum Irak-Krieg wurde die UN demontiert und wieder entmachtet, wovon sie sich bis heute nicht erholt hat. Die Beschwörung des internationalen Terrorismus wurde nicht nur von den USA instrumentalisiert, um nationale Interessen wieder uneingeschränkter von internationalen Abkommen und Verhandlungen auch militärisch zu verfolgen und durchzusetzen.
Ein Großteil der Zahlen des Berichts stammt vom Uppsala Conflict Data Program. Auf dieser Grundlage erstellt das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) seine jährlichen Berichte über die bewaffneten Konflikte. Dort wird allerdings im Jahresbericht 2005 schon deutlich, dass die Rüstungsausgaben und Waffenexporte 2004 wieder erheblich angezogen und fast den Stand von 1987-88 auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges erreicht haben. Allgemein gehen die Rüstungsausgaben seit 1998 kontinuierlich wieder nach oben. 2003 wuchsen die Waffenverkäufe der 100 größten Rüstungsfirmen der Welt um 25 Prozent.