Wird ein unbekannter Toter nach über 70 Jahren identifiziert?

Neue Hinweise zur mysteriösen Leiche von Somerton Beach

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1948 wurde in Australien eine Leiche gefunden, die bis heute nicht identifiziert ist. Die Todesursache ist unklar, ein Mord nicht ausgeschlossen. Bei der Aufklärung des Falles könnte eine rätselhafte Buchstabenfolge - ein verschlüsselter Text? - eine wichtige Rolle spielen, doch bisher konnte diese niemand entschlüsseln. Immerhin gibt es jetzt eine heiße Spur zum Toten.

Es war Sommer in Adelaide (Australien), als sich dort am 30. November 1948 ein unbekannter Mann am Strandabschnitt Somerton Beach niederließ. Mit seinem Anzug, der nicht zur warmen Jahreszeit passte, fiel er mehreren Zeugen auf. Am nächsten Morgen fand man seine Leiche. Der Somerton-Mann, wie er heute genannt wird, war zum Zeitpunkt seines Todes etwa 40 bis 45 Jahre alt - eine gepflegte Erscheinung mit gut durchtrainiertem Körper. Seine hochwertige Kleidung ließ vermuten, dass er wohlhabend war. Er trug keine Ausweispapiere und auch sonst keine aussagekräftigen persönlichen Gegenstände bei sich. Alle Etiketten waren aus seiner Kleidung entfernt.

1948 wurde am Somerton-Beach in Adelaide (Australien) eine männliche Leiche gefunden. Der später "Somerton-Mann" genannte Tote ist bis heute nicht identifiziert. Die Todesursache ist nicht bekannt.

Der Polizei gelang es nicht, den Somerton-Mann zu identifizieren. Erstaunlicherweise schien niemand den unbekannten Toten zu vermissen. Auch die Todesursache ist bis heute ein Rätsel. Die Todesumstände sprechen für ein Gift, auch wenn sich mit den damals verfügbaren Methoden keines nachweisen ließ. Möglicherweise hatte sich der Somerton-Mann selbst umgebracht - doch auch ein Mord oder ein natürlicher Tod erscheinen durchaus möglich.

Sechs Wochen nach dem Tod des Somerton-Manns fand man in der Gepäckaufbewahrung im Bahnhof von Adelaide einen Koffer, der offensichtlich dem Unbekannten gehörte. Doch der Inhalt brachte kaum neue Erkenntnisse - lediglich ein Mantel, der wahrscheinlich in den USA hergestellt worden war, lieferte eine neue Spur. Außerdem wusste die Polizei nun, dass sich der Unbekannte am Bahnhof von Adelaide aufgehalten hatte. Vermutlich war er mit einem Nachtzug gekommen, hatte seinen Koffer zur Gepäckaufbewahrung gebracht und war schließlich mit dem Bus zum Somerton Beach gefahren - was auch immer er dort wollte.

Erst einige Monate nach dem Tod des Unbekannten fand man dessen Hosentasche einen weiteren Hinweis: einen sorgfältig gefalteten Zettel mit der Aufschrift "Taman Shud". Er war aus dem Buch "The Rubaiyat of Omar Khayyam" von Edward Fitzgerald herausgerissen. Tatsächlich meldete sich ein Zeuge, der das passende Buchexemplar in der Nähe des Toten gefunden hatte. Darin war handschriftlich eine Telefonnummer notiert. Diese gehörte einer Frau, die in der Nähe von Somerton Beach wohnte - sie wird in der Literatur meist als "Krankenschwester" bezeichnet, da sie diesen Beruf ausübte. Die Polizei vernahm diese wichtige Zeugin, erfuhr dabei jedoch offensichtlich nichts Entscheidendes. Die Identität und die Aussagen der Krankenschwester wurden nie veröffentlicht.

Der Somerton-Mann wurde begraben, ohne dass seine Identität bekannt war. Einer neueren Theorie zufolge ist er eines natürlichen Todes gestorben. Doch warum hat ihn niemand vermisst?

Auf der Innenseite des hinteren Buchdeckels fand die Polizei eine weitere Spur: einige mit Bleistift geschriebene Buchstabenfolgen ohne erkennbaren Sinn. Möglicherweise handelte es sich dabei um eine verschlüsselte Nachricht. Sie lautete vermutlich wie folgt (einige Buchstaben sind nicht eindeutig):

MRGOABABD

MTBIMPANETP
MLIABOAIAQC
ITTMTSAMSTGAB

Hatte es der Tote darauf angelegt, dass die Nachricht gefunden wurde? Enthielt sie einen - wenn auch sehr kurzen - Abschiedsbrief? Sollte sie sogar einen Hinweis auf den etwaigen Mörder geben? Oder waren es nur ein paar unwichtige Notizen, die ein Unbeteiligter nicht verstehen konnte? Zahlreiche Dechiffrier-Experten und viele Hobby-Kryptologen nahmen die inzwischen als "Taman-Shud-Chiffre" bekannten Zeilen unter die Lupe, doch bis heute konnte niemand eine glaubwürdige Lösung präsentieren.

Das bisher interessanteste Resultat lieferten 2009 die beiden australischen Studenten Andrew Turnbull und Denley Bihari. Durch Vergleiche der Buchstabenhäufigkeiten mit denen verschiedener Sprachen kamen sie zur Auffassung, dass die Taman-Shud-Chiffre möglicherweise aus den Anfangsbuchstaben englischer Wörter bestand - vielleicht hatte der Urheber von jedem Wort eines Satzes den jeweils ersten Buchstaben notiert. Weiter kamen die beiden Studenten nicht.

Bis kurz vor seinem Tod trug der Somerton-Mann ein Buch bei sich, in das diese Buchstabenfolge eingetragen war. Möglicherweise handelt es sich um eine verschlüsselte Nachricht. Sie ist bis heute ungelöst.

Auch an Untersuchungen zu den anderen Facetten des Somerton-Mann-Rätsels mangelt es nicht. Der australische Ex-Polizist Gerry Feltus zeigte hierbei den größten Einsatz und entwickelte sich dadurch zum weltweit führenden Experten für den Somerton-Mann. Feltus hat sogar hat ein Buch über den Fall geschrieben, in dem er die wichtigsten Fakten zusammenfasst ("The Unknown Man"). Eine Theorie besagt beispielsweise, dass der unbekannte Tote ein Spion aus dem Ostblock war. Dies würde erklären, dass der Unbekannte scheinbar von niemandem vermisst wurde. Geheimdienste kennen sich außerdem mit Giften aus und haben auch tödliche Substanzen in ihrem Repertoire, die nicht ohne weiteres nachweisbar sind.

Der Somerton-Mann könnte ebenso ein Einwanderer gewesen sein. Oder handelte es sich bei ihm um einen Touristen, der fernab seiner Heimat unerkannt sterben wollte? Doch wäre es in den letzten 60 Jahren nicht irgendwann aufgefallen, dass eine verschwundene Person, die wohlhabend war und zweifellos einen gewissen Bekanntenkreis besaß, mit dem Somerton-Mann identisch war?

Gerry Feltus, ein australischer Polizist im Ruhestand, gilt als der bedeutendste Experte für den Somerton-Mann. Auch er konnte das Rätsel bisher jedoch nicht lösen. Quelle: Feltus

Selbst über 60 Jahre nach dem Tod des Somerton-Manns gibt es immer noch Neuigkeiten zu diesem rätselhaften Fall. Ende 2011 präsentierte der Brite Nick Pelling, ein Spezialist für historische Verschlüsselungsrätsel, eine neue Theorie. Der Somerton-Mann, so Pellings Hypothese, war ein ehemaliger Seefahrer und kam nach Adelaide, um dort die Krankenschwester zu besuchen - sie war seine verflossene Geliebte. Während sich der Unbekannte in der Wohnung der Krankenschwester aufhielt, starb er unerwartet eines natürlichen Todes (etwa durch eine allergische Reaktion). Die Krankenschwester, deren Ehemann von dem Besuch nichts wusste, wollte mit der Sache nichts zu tun haben und schaffte die Leiche daher an den späteren Fundort. Die Ansicht, der Somerton-Mann sei wohlhabend gewesen, hält Pelling für falsch - seiner Meinung nach stammte der feine Anzug aus einer Altkleidersammlung, was auch die fehlenden Etiketten erklärt. Die Taman-Shud-Chiffre besteht laut Pelling aus den Anfangsbuchstaben eines selbstgeschriebenen Liebesgedichts, die der Somerton-Mann als Gedächtnisstütze notierte.

Zweifellos hat Pellings Erklärung einiges für sich. Insbesondere ist sie angenehm unspektakulär. Dies ist nicht gerade selbstverständlich, denn ungelöste Verschlüsselungen, von denen es nicht gerade wenige gibt, ziehen Verschwörungstheoretiker geradezu magisch an. So wurde das berühmte Voynich-Manuskript - ein verschlüsseltes Buch aus dem Mittelalter - schon mindestens zwanzig Mal "gelöst" und unter anderem mit Außerirdischen in Verbindung gebracht. Die ebenfalls recht bekannten Beale-Chiffren (Die Jäger des verschlüsselten Schatzes), die die Lage eines Schatzes verraten sollen, haben schon ganze Heerscharen von Glücksrittern auf den Plan gerufen. Doch auch Pellings ansonsten glaubwürdige Theorie kann nicht so recht erklären, warum der unbekannte Tote nicht vermisst wurde. Auch ein ehemaliger Seefahrer muss Freunde und Bekannte gehabt haben, denen der Medienrummel um die Leiche nicht entgangen sein kann.

Diesen Ausweis aus dem Ersten Weltkrieg fand eine Frau aus Adelaide im Jahr 2011. Gehörte er dem Somerton-Mann?

Im November 2011 gab es dann neue Nachrichten. Eine Frau aus Adelaide meldete sich beim Somerton-Mann-Experten Gerry Feltus und erzählte ihm von einer Ausweiskarte aus dem Ersten Weltkrieg, die sie im Nachlass ihres Vaters gefunden hatte. Das Passfoto zeigte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Somerton-Mann. Feltus zog den Anthropologen Maciej Henneberg hinzu, der mit kriminaltechnischen Methoden einen Vergleich erstellte. Dabei ergaben sich zahlreiche Übereinstimmungen, beispielsweise bei der Ohrenform und bei einem Muttermal an identischer Stelle. Sollten Hennebergs Angaben korrekt sein, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Ausweis dem Somerton-Mann gehörte. Noch fehlt jedoch eine offizielle Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse.

Zwischen den beiden Aufnahmen liegen 30 Jahre. Zeigen sie denselben Menschen? Der Antropologe Maciej Henneberg führte eine Untersuchung durch und kam zu einem positiven Ergebnis.

Der Name des Ausweisinhabers lautete H.C. Reynolds. Das am 28.2.1918 ausgestellte Papier weist ihn als achtzehnjährigen Briten aus, das genaue Geburtsdatum ist nicht angegeben. Sollte Reynolds der Somerton-Mann gewesen sein, dann wäre dieser zum Zeitpunkt seines Todes 47 oder 48 Jahre alt gewesen - etwa fünf Jahre älter als gemeinhin vermutet. Nick Pelling, der unter der Adresse Ciphermysteries.com einen Blog betreibt, verfolgte die Spur mit Unterstützung seiner Leser weiter. Er stieß auf einen Seemann namens H. Charles Reynolds, der aus Tasmanien stammte und als Proviantmeister auf mehreren neuseeländischen Schiffen arbeitete. Ist er der Gesuchte? Die wenigen verfügbaren Informationen über H. Charles Reynolds deuten eher auf einen Australier als auf einen Briten hin, aber das ist noch kein Gegenbeweis.

Pelling und seine Blog-Leser arbeiten derzeit auf Hochtouren, um mehr über H. Charles Reynolds herauszufinden. Mit Hilfe von Archiven, Genealogie-Web-Seiten und ähnlichen Quellen hoffen sie, fündig zu werden. Noch ist jedoch völlig unklar, was H. Charles Reynolds nach 1918 machte und ob sein späterer Lebensweg 1948 am Strand von Adelaide enden konnte. Somerton-Mann-Experte Gerry Feltus beteiligt sich nach eigenen Angaben bisher nicht an der Suche - er ist noch nicht überzeugt, dass der Ausweisinhaber tatsächlich mit dem Somerton-Mann identisch ist. Sein Kommentar: "Ich sehe keinerlei Ähnlichkeit."

Klaus Schmeh ist Informatiker und Spezialist für historische Verschlüsselungstechnik. In seinem aktuellen Buch "Nicht zu knacken" (Carl Hanser Verlag, 2012) wird auch der Fall des Somerton-Manns betrachtet.

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