Wirecard-Ex-Manager Marsalek hat geheime OPCW-Dokumente zum Skripal-Fall weitergegeben
Auffällig ist, dass niemand interessiert, was in den Dokumenten steht, die der Financial Times vorliegen. Geleakt wurden sie von einem österreichischen Ministerium
Im Skripal-Fall sind nach Medienberichten vertrauliche Dokumente der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal aufgetaucht. Die OPCW hatte den Verdacht der britischen Regierung bestätigt, dass der Anschlag auf den russischen Ex-Geheimdienstagenten und seine Tochter am 4. März 2018 in Salisbury mit dem Nervengift Nowitschok, das während des Kalten Kriegs in Russland entwickelt wurde, begangen wurde, sprach allerdings nur von einer "toxischen Chemikalie".
Unklar blieb, ob das gefundene Nowitschok aus Russland stammt, schließlich war die Formel schon längst auch im Westen bekannt, wobei der BND eine wichtige Rolle spielte. Das britische Militärlabor Porton Down, das sich in der Nähe von Salisbury befindet, hatte ebenfalls Nowitschok identifiziert, aber deutlich gemacht, dass man nicht wisse, wo es hergestellt wurde. Der Leiter fügte hinzu, es komme nicht aus Porton Down. Die Identifizierung setzt voraus, dass die Formel bekannt ist, was auch ermöglicht, dieses herzustellen.
Die Spur führt nach Österreich
Am 9. Juli hat nun die Financial Times berichtet, dass der untergetauchte Wirecard-Ex-Chef Jan Marsalek letztes Jahr in Großbritannien mit geheimen OPCW-Dokumenten - "OPCW Highly Protected" - gegenüber zwei Investoren geprahlt habe, um seine guten Verbindungen zu Geheimdiensten zu belegen. Der FT sollen die vier Dokumente vorliegen, die auch eine Nowitschok-Formel und weitere Details der OPCW-Untersuchungen im April und Juli 2018 über den Nervengift-Anschlag auf Skripals und den Tod von Dawn Sturgess enthalten, die ein von ihrem Partner in einem Abfallkorb gefundenes Parfümfläschchen mit Nowitschok geöffnet hatte (Nowitschok und der britische High Court). Ein weiteres Dokument soll eine "Unterrichtung der Mitgliedsstaaten" enthalten, die am 17. September 2018 stattfand, in dem vierten soll der russische Standpunkt ausgeführt werden, nach dem das Nowitschok im britischen Militärlabor Porton Down hergestellt worden sei.
Die Spur der Dokumente führt nach Österreich. Nach dem FT-Artikel hat die OPCW, wie OE24.at aufgrund des Sachverhaltsdarstellung berichtet, eine österreichische Diplomatin informiert, dass das Deckblatt des von der FT veröffentlichten Dokuments einen nicht veröffentlichten Barcode habe, der zeige, dass es aus Österreich stammt. Die Redaktion hatte dies offenbar gewusst und diesen unkenntlich gemacht. Wie der Barcode dann aufgedeckt wurde und der österreichischen Regierung mitgeteilt wurde, bleibt vorerst geheim und wahrscheinlich Ergebnis des Handels von FT mit Geheimdiensten.
Die "für Österreich bestimmten, als vertraulich eingestuften Dokumente der OPCW" lagen der "Abrüstungsabteilung" des Außenministeriums, dem Verteidigungsministerium und einer Abteilung des Wirtschaftsministeriums vor. Außenministerin war damals Karin Kneissl (FPÖ), Verteidigungsminister Mario Kunasek (FPÖ) und Wirtschaftsministerin Margarethe Schramböck.
Am 30. Juli hatten die drei Ministerien eine Anzeige wegen der Weitergabe vertraulicher Dokumente eingereicht. Noch ist unbekannt, wer die Dokumente an Marsalek weiter gegeben hat, der aber mit der FPÖ verbandelt war, der er Informationen aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und dem Innenministerium geliefert haben soll.
Warum werden keine Informationen aus den Dokumenten weitergegeben?
Die Financial Times hält genauere Informationen über die Inhalte der geheimen OPCW-Dokumente zurück. Die FT zitiert noch Hamish de Bretton-Gordon, Ex-Kommandeur der Einheit für chemische und biologische Waffen. Er sagte, es sei "unwahrscheinlich", dass die Dokumente von westeuropäischen OPCW-Mitgliedsländern oder der USA kämen, womit er offensichtlich falsch lag oder eine falsche Fährte legen wollte. Wahrscheinlich sollte der Verdacht auf Russland fallen. Der Verdacht liegt nahe, dass eine regierungskonforme Berichterstattung favorisiert wird.
Die Zeitung führt in einem weiteren Artikel lange die Beziehungen von Marsalek zu Russen und möglicherweise zum russischen Geheimdienst GRU aus. In diesem Kontext wird darauf verwiesen, dass GRU-Agenten einen Cyberangriff auf das WLAN der OPCW in den Niederlanden ausgeführt haben, was im Oktober 2018 bekannt gegeben wurde. Das soll wohl den Verdacht eines Leaks der Dokumente auf Russland bzw. GRU lenken, allerdings waren die russischen GRU-Agenten schon kurz nach ihrer Einreise von niederländischen und britischen Geheimdiensten gestoppt und am 13. April wieder ausgewiesen worden. Offen blieb, ob die GRU-Agenten das WLAN hacken und Daten entwenden konnten (Mit einer koordinierten Aktion soll Russland an den Pranger gestellt werden).
Am 12. April war der öffentliche OPCW-Bericht über den Skripal-Anschlag veröffentlicht worden, am 11. April hatte die Unterrichtung der Mitgliedsstaaten stattgefunden. In ihm wurde der Name der "toxischen Substanz" seltsamerweise nicht mitgeteilt, aber bestätigt, dass man in Umweltproben dieselbe "toxische Chemikalie" identifiziert hat, die britische Behörden in biomedizischen und Umweltproben gefunden und von Nowitschok gesprochen haben. Dazu wurde gesagt, dass die toxische Chemikalie von hoher Reinheit sei, was die Frage offen lässt, warum die Skripals daran nicht starben. Sie waren noch Stunden nach dem Verlassen ihres Hauses und dem Kontakt mit dem Nervengift auf der Türklinke herumgelaufen und in Restaurants gewesen, bevor man sie ohnmächtig auf einer Parkbank fand. Es gab hier auch Unstimmigkeiten. Selbst wenn die GRU-Agenten die OPCW gehackt haben sollten, war zu dieser Zeit noch kein Bericht über die OPCW-Besuche in Amesbury im Juli und August oder über die Unterrichtung im September vorhanden.
In dem erwähnten FT-Artikel, der krampfhaft eine Russenverbindung ziehen will, heißt es weiter: "Dass Herr Marsalek sich in London so dreist mit solchen sensiblen Dokumenten zu einer Zeit gebrüstet hat, als die britischen Geheim- und Sicherheitsdienste in höchster Alarmbereitschaft vor russischen Operationen waren und mit Nachdruck Spuren im Zusammenhang mit dem Salisbury-Vorfall verfolgten, spricht für eine Leichtfertigkeit, die selbst für russische Agenten als übertrieben angesehen werden könnte."
John Helmer hat eine Anfrage an die FT geschrieben. Er bat darum, die Gründe mitzuteilen, warum der nähere Inhalt der Dokumente nicht veröffentlicht wurde. Überdies fragte er, warum die FT von einem "russischen Nervengift" schreibt, wenn die OPCW in ihrem Bericht doch nur von einer "toxischen Chemikalie" spricht und keinen Hinweis darauf gibt, dass die Chemikalie von Russland stammt. Er hat keine Antwort erhalten. Dass keine Einzelheiten aus den Dokumenten zitiert wurden und der auf Russland gelenkte Verdacht in die Irre ging, könnte darauf hindeuten, dass die Dokumente Informationen enthalten, die mit dem offiziellen Narrativ nicht vereinbar sind. Auffällig ist jedenfalls, dass auch die Medien nicht daran interessiert zu sein scheinen, welchen Inhalt die geleakten Dokumente haben, sondern lediglich, wie der dämonisierte Marsalek an sie herankam.
Die OPCW kam weniger wegen des Skripal-Falls unter Verdacht, politisch instrumentalisiert zu sein. Ehemalige Inspektoren und Insider traten als Whistleblower auf oder leakten Dokumente über die Untersuchung des Giftgasangriffs in Duma kurze Zeit später am 7. April (Das lässt aufhorchen: Angeblicher Chemiewaffenangriff in Ost-Ghouta). Danach wurde versucht, die Ermittlungen einseitig gegen die syrische Regierung und Russland zu richten und andere Informationen und Erkundungen der technischen Teams vor Ort zu unterdrücken (Warum sich die OPCW weiter unglaubwürdig macht, Der OPCW-Abschlussbericht und der angebliche Giftgasangriff in Duma).
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