Wirecard: Lieber wegschauen und behaupten, dass alles in Ordnung ist
Der größte Finanzskandal der jüngeren deutschen Geschichte: Welche Verantwortung haben Scholz und Merkel?
Wie agieren Politiker, wenn es um großes Geld geht, Hypes mit internationalen Dimensionen, Betrug, Netzwerken, personelle Verflechtungen, Eitelkeiten und Ersparnissen von zahlreichen Anlegern? Der Wirecard-Skandal bringt da einiges ans Licht und ist ein hübsch-hässlich konkretes Gegenstück zu all den Infotainment-Debatten über Politiker, die sich als Kanzlerkandidaten präsentierten, in denen es vor allem um Images und Stimmungen ging.
In der Allgegenwart der Corona-Krise ist der Wirecard-Skandal auf einen Nebenschauplatz geraten, das könnte sich ändern. Immerhin geht es um den "größten Finanzskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte". Die Kosten der Wirecard-Insolvenz für Banken und Anleger werden auf mehr als 20 Milliarden Euro geschätzt.
Das Thema könnte Gewicht im Wahlkampf zur Bundestagswahl im Herbst bekommen, ist heute mehrfach zu lesen. Anlass ist, dass nun zwei Spitzenpolitiker vor dem Wildcard-Untersuchungsausschuss aussagen sollen: Heute ist es der Bundesfinanzminister Scholz, morgen die Kanzlerin Angela Merkel.
Beide machten im Laufe des Geschehens, bei dem sich die betrügerischen Machenschaften des früheren Shooting-Stars am deutschen Dax-Himmel immer deutlicher abzeichneten, ganz und gar keine gute Figur.
Scholz hielt die Aufsicht an einer sehr langen Leine; er schaute lieber weg, wie es manche auf einen kurzen Nenner bringen und die Kanzlerin betrieb bei einem China-Besuch im September 2019 noch Lobbyarbeit für den Finanzdienstleister. Im Hintergrund spielte dabei der Ex-Verteidigungsminister Guttenberg eine dubiose Rolle. Seine Mission: Die Bundesregierung möge Wirecards Eintritt in den chinesischen Markt wohlwollend begleiten.
Dubios ist das deswegen, weil es zu diesem Zeitpunkt längst, nämlich seit 2015(!), eine ganze Serie von Enthüllungen der Financial Times zu den unsauberen Geschäftshintergründen des deutschen Vorzeigeunternehmens gab. Der Bericht über Geldwäsche und Kontenfälschung, der im Januar 2019 in der britischen Finanzzeitung erschien, führte zu einem Kursabsturz der Aktie von bis zu 30 Prozent.
Erwähnt werden soll dieses Mosaik-Fragment aus einem großen Sittengemälde, weil es pars pro toto zeigt, wie stur weggeschaut wurde, die Zeitung ist ja nicht gerade ein Dorfanzeiger und ein solcher Kursabsturz erregt Aufmerksamkeit und führt zu Fragen.
Attacke auf die Dax-Hype-Beschmutzer
Exemplarisch auch die Reaktion in diesem Wirtschaftskrimi, der von Meedia im Juni letzten Jahres sehr anschaulich ausgeleuchtet wurde: Statt sich die Vorwürfe genauer anzuschauen, stellte sich die deutsche Aufsichtsbehörde Bafin hinter die Linie des betrügerischen Unternehmens und machte die Übeltäter bei kritischen Journalisten der FT aus:
"Nun befand sich die FT plötzlich in der Defensive. Sogar die deutsche Finanzaufsicht BaFin zeigte die FT-Journalisten an."
Es zeigte sich, dass die britischen Journalisten auf der richtigen Spur waren und die deutsche Aufsicht völlig versagte und falsche Spuren legte (siehe: Wirecard betrog ein System, das betrogen werden wollte) - etwa mit einem Verbot der Bafin von Leerverkäufen von Wirecard-Aktionären, was die Botschaft an Anleger aussandte: "Bei Wirecard ist alles in Ordnung."
"Vorzügliche Arbeit"
Und damit nicht genug. Der Leiter der Wirtschaftsprüferaufsicht Apas, Ralf Bose, musste zugeben, dass er Wirecard-Aktien besaß und damit noch vor dem Kollaps des Unternehmens gehandelt hatte.
Zutage kam dies bei einer Sitzung des Untersuchungsausschusses im Dezember letzten Jahres. Bose musste als Folge dessen, was im Untersuchungsausschuss aufgedeckt wurde, seinen Posten räumen. Er ist nicht der einzige.
Ihre Posten verlassen mussten: Felix Hufeld, Chef der Finanzaufsicht BaFin, Elisabeth Roegele, Vizepräsidentin der BaFin, Edgar Ernst, Präsident der Bilanzkontrollstelle DPR und Hubert Barth, Deutschlandchef der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. "Hinzu kommen noch Banker, Analysten, Fondsmanager und BaFin-Mitarbeiter. Sie verloren ihre Jobs, ihre Boni, ihre Reputation" - der Wirecard-Untersuchungsausschuss habe eine "unheimliche Schlagkraft", so die vorläufige Bilanz des BR vor dem Auftritt von Scholz und Merkel.
Politisch zuständig für die Wirtschaftsprüferaufsicht Apas ist Wirtschaftsminister Altmaier, dessen Ministerium die Rechtsaufsicht über die Apas hat. Der Aktienhandel von Apas-Chef Bose war rechtlich zulässig, ein generelles Handelsverbot mit Aktien von Unternehmen, deren Bilanzprüfung die Apas unter die Lupe nimmt, gibt es nicht.
Aber auffällig ist die Zeit der Verkäufe. Florian Toncar (FDP) vermutet, dass Bose durch schnelles Handeln zumindest seine Verluste begrenzt haben könnte. Was sich deutlich zeigt ist, dass die externe Überprüfung durch das Ministerium ihre Grenzen und Lücken hat. Man überwacht sich selbst.
Altmaier gab sich vor zwei Tagen mehr als zufrieden mit der Tätigkeit der Abschlussprüferaufsichtsstelle Apas: "vorzügliche Arbeit".
Die Apas war als Aufsichtsbehörde der Abschlussprüfer (Bilanzen) im Fall Wirecard zuständig für die Bewertung der Wirecard-Wirtschaftsprüfer EY. Daran setzen die Kritiker an, die der EY Vorwürfe machen und dem Wirtschaftsministerium zur Last legen, dass man dort nicht genügend aufgepasst habe.
In der offensichtlich nachlässigen Arbeit von EY sehen mehrere der Abgeordneten durchaus eine Verantwortung der Apas. EY hat ganz offensichtliche Warnzeichen nicht gesehen; die Apas wiederum soll die Qualität der Arbeit der Wirtschaftsprüfer sicherstellen. Andere Behörden hätten schon deutlich früher Ermittlungen aufgenommen, sagte Jens Zimmermann (SPD). Die Apas dagegen hatte auf Presseberichte über Betrug bei Wirecard zunächst nur reagiert, indem sie mit EY Kontakt aufgenommen hat. Der EY-Deutschlandchef versicherte am Telefon, "entsprechende Prüfungsschwerpunkte" setzen zu wollen und die Unklarheiten aufzuklären. "Die Apas hat sich damit zufriedengestellt, dass das Aufsichtssubjekt sage, wir machen das schon", kritisierte Zimmermann.
Deutscher Bundestag
Vernetzungen und Verantwortlichkeiten
Die Apas sei den vorhandenen Hinweisen nur langsam nachgegangen, weil das Personal auf diesem Gebiet knapp sei, verteidigt Altmaier. Wer sich auf Webseiten umschaut, die einen kritischen Blick auf Wirtschaftsprüfer werfen, der merkt schnell, dass Personalnot ein Problem sein mag, das größere Problem aber mit engen Vernetzungen zu tun haben könnte, die auf Prüfungen Einfluss haben könnten. Es ist ein Zirkel. Man passt auf sich selbst auf.
Von einem kritischen Wirtschaftsprüfer kommen interessante Anmerkungen zur Öffentlichkeitsarbeit der Abschlussprüfer:
"Nur nichts Kritisches über EY oder die Big4 sagen. Schließlich hängen millionenschwere Mitgliedsbeiträge und Zuwendungen daran."
Die großen Vier der Branche ("Big4") tauchen in Finanzskandalen öfter auf. Gemeint sind die vier größten Wirtschaftsprüfer PricewaterhouseCoopers, KPMG, Deloitte und EY. Die problematischen Prüfer bilden ein Oligopol.
Olaf Scholz muss heute zu seiner Rolle zur Frage, wer politisch verantwortlich für die Aufsicht über Wirecard ist, Auskunft geben. Auch ihm wirft man vor, dass er der BaFin, die die Vorgänge, die den Skandal weiter trieben, eher beförderte als verhinderte, nicht so genau auf die Finger schaute, wie er dies als Finanzminister hätten tun müssen.
"Scholz soll erklären, wie die BaFin, die Finanzaufsicht, die er beaufsichtigt, es nicht nur versäumt hat, den Wirecard-Betrug aufzudecken, sondern auch gegen Leerverkäufer und Journalisten der Financial Times vorgegangen ist, die als erste auf Unregelmäßigkeiten bei dem Unternehmen hingewiesen haben." (Financial Times)
Zwar habe es recht früh Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gegeben, aber die Testate der Abschlussprüfer hätten stets beruhigt, sagte Scholz vor dem Ausschuss.