Wirtschaft, Wald und Wachstum: Der Geldwert der Natur

Auch deutsche Wälder stehen im Klimawandel unter Stress.

Auch deutsche Wälder stehen im Klimawandel unter Stress. Foto: Morph777 / CC BY-SA 3.0

Regierungen suchen Ansätze, um Nutzen von Ökosystemen angemessen zu bewerten. Doch monetäre Bewertung hat ihre Grenzen. Warum manches unbezahlbar bleibt.

In Spanien hat die Waldbrandsaison gerade begonnen, deutsche Wälder haben in den letzten Jahren stark unter Trockenheit, Borkenkäfern und Stürmen gelitten. Möglichkeiten der nachhaltigen Aufforstung werden erprobt.

Naturbelassene Waldgebiete nehmen rapide ab

Doch der Anteil an Wäldern, die von menschlichen Aktivitäten unbeeinflusst sind, nimmt rapide ab. Die verbleibenden intakten Wälder unterstützen ein ausgewogenes Zusammenspiel ökologischer Funktionen wie biologische Vielfalt, Kohlenstoffbindung und -speicherung, Wasserversorgung, indigene Kultur sowie die Erhaltung der menschlichen Gesundheit.

Zu diesem Schluss kam ein internationales Wissenschaftler-Team in einer Metastudie von 2018. Die Autoren wiesen nach, dass intakte unberührte Waldgebiete "einzigartig" sind und eine "fundamentale Rolle im Ökosystem Erde" einnehmen. Sie übernehmen eine Reihe kostenloser Funktionen.

Intakte Wälder: Kohlenstoffspeicher und Heimat vieler Arten

• Sie speichern über- und unterirdisch mehr Kohlenstoff als degradierte und bewirtschaftete Wälder in vergleichbaren Regionen.

• Sie regulieren lokale und regionale Wetterbedingungen.

• Sie wirken sich positiv auf den Wasserhaushalt aus, stabilisieren den Grundwasserspiegel und bewahren die Bodenfeuchte.

• Sie weisen eine höhere (intraspezifische) Artenvielfalt auf, denn in intakten Wäldern können sich Arten besser ausbreiten und genetisch anpassen.

• Sie dienen als Zufluchtsort für Arten, die aus degradierten Flächen flüchten müssen.

• Sie sind Lebensraum vieler indigener Völker und bewahren deren Kultur.

• Sie haben ein geringeres Waldbrandrisiko und verfügen über höhere Widerstandskraft gegen Stürme, Trockenheit, Lawinen.

• In ihnen finden sich diverse Pflanzen mit medizinisch wertvollen Stoffen.

Vorrang für Wiederherstellung und Schutz intakter Wälder

Zwar fanden intakte Wälder in der Vergangenheit wenig politische Beachtung, doch könne ihr Schutz relativ einfach umgesetzt werden, schreiben die Autoren, die dringend zum Handeln aufrufen - auf nationaler und internationaler Ebene.

Sechs Jahre nach der Veröffentlichung der Studie sind Klimawandel und Entwaldung weiter vorangeschritten. Dringender denn je müssen die Entwaldung gestoppt, Gebiete wiederaufgeforstet und intakte Waldökosysteme geschützt werden. Die Bedeutsamkeit intakter Wälder für das menschliche Leben auf der Erde dürften den meisten klar sein. Nur – wie viel ist uns ein intakter Wald wert, der menschliche Existenz auf der Erde ermöglicht?

Neue Formel für Dienstleistungen der Natur

Weltweit gehen Tier- und Pflanzenarten und deren Lebensräume teils in schwindelerregendem Tempo verloren – und mit ihnen die "Dienstleistungen", die sie erbringen: das Filtern von Luft, das Speichern von Wasser, das Bestäuben von Nutzpflanzen, der Erholungswert für Menschen, Lebensräume für Pflanzen und Tiere.

Um diese Ökosystemdienstleistungen in Kosten-Nutzen-Analysen besser abbilden zu können, rechnen Staaten die Dienstleistungen der Natur zum Teil in Geldwerte um. Jedoch: "Die vorhandenen Methoden zur Berechnung der Werte von Ökosystemdienstleistungen greifen zu kurz", erklärt Moritz Drupp, Professor für Nachhaltigkeitsökonomik an der Universität Hamburg.

Geldwerte und unbezahlbare Naturschätze

In bisherigen Rechenmethoden werde lediglich der heutige finanzielle Gegenwert von Ökosystemdienstleistungen einbezogen. Tatsächlich aber steigt die Wertschätzung für Natur mit der Zeit.

Ein von ihm geleitetes internationales Forschungsteam stellte kürzlich im Wissenschaftsmagazin Science einen neuen Berechnungsansatz vor, mit dem zukünftige Werte von knappen Ökosystemdienstleitungen abgeschätzt und in Entscheidungen berücksichtigt werden könnten.

Die neue Methode soll dabei helfen, dass Regierungen die Konsequenzen ihrer Entscheidungen und Beschlüsse angemessen einschätzen können.

Würden Gutverdienende mehr Geld in Naturschutz investieren?

Zum einen gehen die Wissenschaftler davon aus, dass das Einkommen und mit ihm der Wohlstand der Weltbevölkerung jährlich schätzungsweise um zwei Prozent steigen wird. Werde das steigende Einkommen über die kommenden Hundert Jahre berücksichtigt, müsse der Wert von Ökosystemdienstleistungen nach der neu entwickelten Formel um mehr als 130 Prozent angesetzt werden. Die Wertanpassung für schrumpfende Ökosysteme fiele damit nochmals höher aus.

Zum Anderen: Je seltener die Dienstleistungen von Ökosystemen werden, umso wertvoller werden sie. Denn laut marktwirtschaftlichem Prinzip werden knappe Güter teurer. Angesichts der derzeitigen Entwicklung sei damit zu rechnen, dass der Verlust von Biodiversität weiter voranschreiten wird.

Wie der Wert von Ökosystemleistungen bestimmt werden soll

Die oben erwähnte Kosten-Nutzen-Analyse versucht den Wert von Ökosystemleistungen für die Wirtschaft zu schätzen - in Landwirtschaft, Fischerei oder Forstwirtschaft, aber auch indirekt Leistungen wie Klimaregulierung oder Erosionsschutz. Der Marktpreis, etwa für Holz oder für sauberes Wasser, dient als Anhaltspunkt für den Wert der entsprechenden Ökosystemleistung.

Eine weitere Methode, die Analyse der Zahlungsbereitschaft, die ebenfalls in der o. g. Studie angewendet wird, ermittelt, wie viele Menschen bereit sind, für die Erhaltung einer Ökosystemleistung zu zahlen. Hier können Optionen der Ökosystemleistungen für zukünftige Generationen als Bestandteil des Wertes betrachtet werden.

Eine dritte Methode ist die Ermittlung der Ersatzkosten: Was würde es kosten, eine spezifische Leistung wie etwa die Reinigung von Wasser durch Feuchtgebiete, technisch zu ersetzen? Ähnlich bei den Vermeidungskosten: Hier wird gefragt, was es kosten würde, Schäden oder Verluste zu verhindern, die beim Ausfall der entsprechenden Ökosystemleistung entstehen.

Über sogenannte partizipative Methoden können zudem lokale Gemeinschaften in den Bewertungsprozess einbezogen werden, um lokale Besonderheiten und Wertvorstellungen zu erfassen. Damit würden alle relevanten Sichtweisen bei der Bewertung mit berücksichtigt.

Kritik an der monetären Bewertung von Ökosystemleistungen

Die ästhetische Bedeutung einer Landschaft oder der emotionale Wert, den Menschen einem unberührten Wald beimessen, ist schwer zu beziffern. Zudem sind viele Ökosystemleistungen miteinander verwoben und beeinflussen sich gegenseitig. Die Bewertung kann zudem kulturspezifisch und von den lokal vorherrschenden Werten abhängig sein.

Hinzu kommt der Faktor "Zeit": Während manche Leistungen wie die Ernte von Feldfrüchten einfach ersichtlich sind, werden andere erst über längere Zeiträume hinweg sichtbar. Hier müssen zukünftige Generationen in die Bewertung miteinbezogen werden. Über interdisziplinäre Ansätze lassen sich ökonomische, ökologische und soziale Kriterien zusammenführen.

Ziel ist es, die Bedeutung von Ökosystemleistungen für die menschliche Wohlfahrt und das ökonomische Handeln sichtbar zu machen und damit einen nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen zu fördern. Zudem lassen sich nicht alle Ökosystemleistungen in Geldwerten ausdrücken. Insbesondere diejenigen, die keine direkten Marktvorteile bieten, wie etwa der Erhalt der Artenvielfalt oder der ästhetische Wert einer Landschaft, sind schwer zu quantifizieren.

Wird durch monetäre Bewertung die Natur kommerzialisiert?

Die Auffassung, alles habe einen Preis, könnte dem Respekt gegenüber der Natur abträglich sein und deren Würde untergraben, heißt es auf der Internetseite "Nachhaltig wirtschaften".

Gewarnt wird vor der Reduktionismus-Falle: Wenn der intrinsische Wert von Ökosystemen auf einfache Zahlungsgrößen reduziert werde, fände die Erhaltung der Natur nur dann Beachtung, wenn sie sich ökonomisch rechtfertigen ließe. Andere Ökosystemleistungen, die sich nicht direkt monetär ausdrücken lassen, würden so vernachlässigt.

Hinzu kommt die Gefahr möglicher Ungleichgewichte zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Während reichere Nationen sich den Schutz von Ökosystemen unter Umständen leisten können, könnten ärmere Regionen zu Entscheidungen gezwungen sein, die sich kurzfristig finanzieren lassen, die langfristig jedoch schädlich für Umwelt und Gesellschaft sind.

Vor diesem Hintergrund sollten die Methoden zur Bewertung von Ökosystemleistungen sorgfältig abgewogen und ethische, gesellschaftliche und nachhaltigkeitsorientierte Aspekte berücksichtigt werden.