Rehe müssen sterben – damit der Wald überlebt?

Reh im Fadenkreuz

Deutschlands Wälder sind in Gefahr – durch Rehe. Sie fressen junge Bäume kahl. Das Vorgehen der Jäger könnte aber alles noch schlimmer machen.

Rehe, Rot- und Damhirsche fressen gern Keimlinge, Knospen, Blätter und Triebe von jungen gepflanzten Bäumen, sodass diese oft klein bleiben oder schief wachsen. Wie aktuelle Zahlen aus der Bundeswaldinventur zeigen, wurden in Deutschland innerhalb nur eines Jahres rund dreißig Prozent aller jungen Laubbäume frisch verbissen.

Manche Baumarten können in der Folge lokal sogar ganz verschwinden. Der Wald sterbe oben ab, unten wachse nichts nach, klagt Ralf Straußberger, Waldexperte beim Bund Naturschutz in Bayern. Dabei ist es unmöglich, die riesigen Flächen komplett einzuzäunen, um sie gegen Wildverbiss zu schützen.

In Pfullingen, am Fuße der Schwäbischen Alb zum Beispiel, wachsen zwischen hohen Baumstämmen zahlreiche junge Ahorn-, Eichen-, Eschen-, Hainbuchen- und Walnussbäumchen. Die Spitzentriebe junger Fichten wurden bewusst mit einem besonderen Wirkstoff behandelt, den Rehe nicht mögen.

Dennoch werden Seitentriebe abgefressen, sodass die Bäume verkümmern und langsamer wachsen. Ausgerechnet die flach wurzelnde Fichte, die die Rehe häufig bis zuletzt stehen lassen, gehöre zu den ersten Opfern von Dürre, Borkenkäfer und Stürmen, klagt Thorsten Beimgraben, in einem Interview mit der ARD.

Zu viele Rehe mit zu wenig natürlichen Feinden

Ein Grund dafür sei, dass es zu wenig natürliche Feinde gebe, wie Wolf oder Luchs, weiß der Professor für Wildökologie und Jagdwirtschaft an der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg. Jäger wollen in der Regel einen höheren Wildbestand haben, als der Waldbewirtschaftung dienlich ist. Sie interessieren sich vor allem für Trophäen, also Geweihe von Rehböcken und Hirschen. Daher würden keine weiblichen Tiere erlegt, weil diese männliche Nachkommen produzieren.

Es braucht lokal angepasste Konzepte

Neuerdings vergeben Waldbesitzer an Jägerinnen und Jäger sogenannte Begehungsscheine gegen eine Gebühr für jeweils ein Jahr. Die Wildbestände sollten somit reguliert werden, um die "Artenvielfalt im Wald" sicherzustellen. Die Forderung, mehr Wild zu schießen, sei ein Schlachtruf aus den 1980er-Jahren, kritisiert der Biologe Torsten Reinwald die Jagdwerbung.

Es komme auf die Situation vor Ort an: An Aufforstungsflächen sei intensive Jagd gefragt. Gleichzeitig müssten neu gepflanzte Bäume mit Kunststoff an den Spitzen, Wuchshüllen oder Zäunen geschützt werden. Es sei wichtig, die Rehe dahin zu lenken, wo sie ihre Ruhe haben und wo sie fressen dürfen, ist der Sprecher des Deutschen Jagdverbands überzeugt. Grundsätzlich funktioniert das nur mit lokal angepassten Konzepten, in denen Jagd und Forst zusammenarbeiten.

Wild benötigt mehr Ruhezonen und Lichtungen

Für den Waldumbau empfiehlt Reinwald Brombeeren oder Weichhölzer wie Birken wachsen zu lassen sowie Lichtungen mit Kräutern und Gräsern zuzulassen. Lichtungen bieten zusätzlich Nahrung für Wildtiere, glaubt auch Ilse Storch.

Die Wildtierbiologin setzt sich für große jagdfreie Gebiete ein, wo sich Populationen erholen und tagaktiv sein können. Wie eine ältere Studie zeigt, knabbern Hirsche weniger an Bäumen, wenn sie mehr Gräser zur Verfügung haben und sich über weite Flächen frei bewegen können. Werden Wildtiere im Winter in Ruhe gelassen, geht der Verbiss in dieser Zeit von allein zurück.

Können verkürzte Schonzeiten Wildverbiss reduzieren?

Um die Wiederbewaldung noch effizienter voranzubringen, hat Thüringen die Schonzeit für Rehböcke und Schmalrehe auf den 1. April verkürzt. Auch in Brandenburg soll eine Jagdrecht-Novelle den Abschuss von Rehwild erleichtern, indem die Jagdzeit um zwei Wochen bis Ende Januar verlängert wird.

Eine Verkürzung der Schonzeiten lehnt Torsten Reinwald vom Deutschen Jagdverband klar ab. Die Aktivität von Rehen und Hirschen sei im Spätwinter am geringsten. Von Dezember bis März verfallen Wildtiere in einen Energiesparmodus, in dem sie ihren Stoffwechsel herunterfahren. Werde dann Ende Januar eine Drückjagd durchgeführt, seien die Tiere gezwungen, ihren Stoffwechsel wieder hochzufahren.

In der Konsequenz reichen ihre Reserven möglicherweise nicht bis in den März hinein. Dann gehen die Tiere erst recht an die jungen Bäume und knabbern an den Trieben oder schälen die Rinde.

Ähnlich argumentiert Wildtierexperte Walter Arnold, der empfiehlt, Wildtiere nur im Frühjahr und Herbst zu jagen. Denn werden die Tiere im Winter gejagt, bleiben sie wachsam und aktiv und steigern auch ihren Verbiss.

Zurückdrängen des Wildes lässt Genetik verarmen

In vielen Bundesländern sind sogenannte Kerngebiete definiert, in denen sich das Wild bewegen darf. Außerhalb dieser Zonen sei es zum Abschuss freigegeben. Dies habe zur Folge, dass sich das Wild nur noch in diesen geschützten Gebieten reproduzieren kann.

Das wiederum führe zu einer immensen genetischen Verarmung, kritisiert Marcus Schwarz. Der Forstwissenschaftler aus Sachsen, der die Rahmenbedingungen für die Jagd mehrfach kritisierte, hält die Abschusszahlen in einigen sächsischen Forstbezirken für zu hoch.

Straßen- und Siedlungsbau setzen Tiere unter Dauerstress

Aus Angst vor dem Menschen haben viele Wildtiere ihre natürlichen Lebensräume dauerhaft verlassen, berichtet Ilse Storch von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Wie Forscher bei einer Rehpopulation in Europa beobachteten, zogen sich die Rehe während der Jagdsaison stärker in die Wälder zurück, wo sie die Triebe junger Bäume anknabbern und die Rinde abschälen.

Auf freien Feldern verschieben sich die Aktivitätsphasen, insbesondere beim Hirsch in die störungsarme Nacht. In nicht bejagten Gebieten hingegen seien Wildtiere viel zutraulicher.

Fütterung im Winter lässt Bestände Wildschweinen wachsen

Im Winter überleben normalerweise die Starken, die Schwachen sterben. Doch die Fütterung im Herbst und Winter wirkt diesem Prozess entgegen. Eine Studie aus Tschechien untersuchte Populationsdynamiken bei Wildschweinen: Wurden Futtergaben von Mais und Abfallgetreide mit starkem Eichen- und Buchenwachstum kombiniert, stieg im Folgejahr die Wildschweinpopulation.

Je mehr Tiere über den Winter kommen, desto mehr müssen im Folgejahr erlegt werden, um die räumlichen Kapazitäten nicht zu sprengen. Für Rehwild, Rotwild und Damwild gebe es hierzulande keine wirkliche "Notzeit" und somit keinen Zwang zur Fütterung, erklären Wildtierbiologen der TU München.

Artenvielfalt als Vorwand für unnötige Fuchsjagden?

Jedes Jahr werden hierzulande mehr als 400.000 Füchse getötet. Jäger dürfen den Tieren ganzjährig nachstellen, sofern die Elterntiere keine Jungen aufziehen. Die Bejagung sei nötig, um gefährdete Wiesenvögel zu schützen, erklärt der Deutsche Jagdverband (DJV). Tatsächlich sind Wiesenvögel stärker von intensiver Landwirtschaft und Siedlungsbau bedroht als von Füchsen.

Die Fuchsdichte lässt sich nicht durch Jagen verringern, argumentieren Tierschützer und Jagdgegner. Denn je mehr Füchse sterben, umso höher steigt deren Geburtenrate. Sind Reviere verwaist, wandern zudem vermehrt Tiere aus benachbarten Gebieten zu. Ließe man die Füchse in Ruhe, würde sich der Bestand ganz von selbst regulieren.

Straftatbestand Baujagd: Wo Füchse unnötig gequält werden

Eine besonders perfide Methode ist die Baujagd. Obwohl es strafbar ist, Elterntiere zu töten, wenn die Fuchswelpen bereits geboren sind oder kurz vor der Geburt stehen, werden sie oft zu diesem Zeitpunkt brutal gejagt: Die Jäger positionieren sich mit ihren Flinten neben den Ausgängen des Fuchsbaus, während der Bauhund (Teckel oder Terrier) in den Bau vordringt, um die Tiere zur Flucht aus der Höhle zu zwingen. Verzweifelt versucht die Füchsin, ihren Nachwuchs zu verteidigen.

Kommt ein Fuchs heraus, feuern die Jäger Schrotsalven auf ihn ab. Manchmal wird der Fuchs vom Jagdhund tot gebissen. Oder der Bau wird von den Jägern aufgegraben, um den Fuchs mit einer stählernen Fuchszange zu packen und ihn herauszuzerren.

Tierquälerei beenden

In Deutschland gibt es mehr als Hundert Schliefennanlagen. In künstlichen Gangsystemen, die einen Fuchsbau nachempfinden sollen, werden Dackel bzw. Terriern hier für die Baujagd trainiert: Der Hund folgt dem Fuchs anhand seiner Fährte, stellt ihn in einem Drehkessel und verbellt ihn dort minutenlang.

Durch einen Schieber vom Hund getrennt, erlebt der Fuchs extreme Ängste und Panik. Die derart gejagten Füchse werden in viel zu kleinen Gehegen bzw. Zwingern lebenslang eingesperrt, wo sie pathologische Verhaltensstörungen entwickeln.

Hinter den Anlagen, die verborgen hinter hohen Zäunen vom Deutschen Teckelclub oder dem Deutschen Jagdterrier-Club betrieben werden, stehen handfeste wirtschaftliche Interessen. So werden Hunde, die hier ihre "Bauprüfung" absolviert haben, materiell höher bewertet.

Wen derlei Jagdpraktiken empören, kann diese aktuelle Petition unterzeichnen, die ein Verbot von Fuchsbaujagd und Schliefenanlagen fordert. Damit Füchse in ihrem natürlichen Lebensraum leben und ihre ökologischen Funktionen erfüllen können.