Wirtschaftsdemokratie: Der Schlüssel zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum?
Die Wirtschaft bekennt sich zu mehr Demokratie, wenn es gegen Rechtspopulisten geht. Doch am Arbeitsplatz ist sie oft Fehlanzeige. Wie sie gefördert werden könnte.
Bundesweit demonstrieren Menschen gegen die Abschiebepläne von AfD-Vertretern. "Hamburg, Dresden, Zwickau – in mehreren Städten haben erneut Zehntausende Menschen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus demonstriert", meldet tagesschau.de. Die Klimaschützerin Luisa Neubauer rief dazu auf, gegen Gleichgültigkeit aufzustehen: "Demokratie hat man nicht. Demokratie lebt man."
Wirtschaft trifft Demokratie: Die neue Partnerschaft
Unter dem Motto "Zusammenhalten für Demokratie und Vielfalt" gehen Menschen auf die Straße. Auch die Gewerkschaften greifen das Thema auf. So unterzeichneten die IG Metall Baden-Württemberg und der Arbeitgeberverband Südwestmetall im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Erklärung "Wirtschaft für Demokratie".
"Ich freue mich darüber, wie schnell es Ihnen gelungen ist, eine so beeindruckende Anzahl von wichtigen Verantwortungsträgern zu versammeln", betont der Bundespräsident und lobt das "Engagement für unsere liberale Demokratie".
"Die Rechtspopulisten sind nicht nur Feinde unserer Demokratie und unserer offenen Gesellschaft. Sie sind auch die Feinde von Fortschritt und Innovation", ergänzt Winfried Kretschmann, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Es sei wichtig, dass sich auch große Unternehmen und der Mittelstand "klar zu unserer Demokratie" bekennen.
"Wir stehen zusammen. Für Demokratie und Freiheit", ergänzte Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG.
Die vergessene Dimension: Demokratie im Arbeitsleben
Dass die Menschen in diesem Land einen großen Teil ihrer Zeit in Bereichen verbringen, in denen keine Demokratie herrscht, wird nicht erwähnt. Demokratie im Wirtschaftsleben, eine Ausweitung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer wird nicht gefordert. Ein Hinweis auf Artikel 14 des Grundgesetzes, der die Sozialbindung des Eigentums garantieren soll, fehlt in der gemeinsamen Erklärung.
Selbst die Bundeszentrale für politische Bildung betont:
Das Grundgesetz betont jedoch ausdrücklich in Artikel 14 Absatz 2 GG die Sozialbindung des Eigentums, indem Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch gleichzeitig dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll. Die Zurückstellung von Einzelinteressen gegenüber Gemeininteressen kann deshalb verlangt werden.
Wenn es um die Demokratisierung der Betriebe geht, kommt oft das Gegenargument, dass dies bereits gesetzlich geregelt sei. Das Betriebsverfassungsgesetz ermöglicht die Wahl von Betriebsräten. Diese werden von allen Beschäftigten des Betriebes gewählt, unabhängig von ihrer Nationalität.
Betriebsräte: Die Hüter der Demokratie im Betrieb?
Betriebsräte haben eine Reihe von Rechten, um die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten. Ihre Aufgaben sind vielfältig. Viele Unternehmen sind einem raschen Wandel unterworfen, der Druck des Marktes wird zunehmend an die einzelnen Beschäftigten weitergegeben. Verlagerung von Arbeiten an Fremdfirmen, Umstrukturierungen durch neue Technologien, Arbeit im Homeoffice – in all diesen Fällen ist der Betriebsrat gefordert.
Mitbestimmung als Werkzeug der Demokratisierung
Bei Mitbestimmungsthemen muss das Unternehmen den Betriebsrat zunächst beteiligen. Dadurch kann der Betriebsrat auch von sich aus tätig werden und muss nicht erst auf die Planungen des Unternehmens warten. Betriebsvereinbarungen können über die Einigungsstelle erzwungen werden, wenn die Geschäftsleitung Verhandlungen verweigert.
Dies kann sich auf die Arbeitszeit beziehen. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Dauer der Pausen können nicht einseitig vom Unternehmen festgelegt werden. Hier muss es Regelungen mit der Arbeitnehmervertretung geben.
Umstrukturierungspläne führen in Unternehmen häufig zu Überlegungen, die Arbeitszeit weiter zu flexibilisieren. Betriebsräte können dem entgegenwirken. So können sie ihre Rechte nutzen, um Rufbereitschaft am Wochenende oder "Arbeit auf Abruf" zu verhindern.
Die Herausforderung der Digitalisierung: Qualifikation und Mitbestimmung
Die zunehmende Digitalisierung in den Betrieben führt häufig zu einem erhöhten Qualifizierungsbedarf. Bei der Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen hat der Betriebsrat mitzubestimmen. Unternehmen verändern sich immer schneller, die Beschäftigten sind verunsichert.
Der Eigentümer des Betriebes kann wechseln, der Druck des Marktes wird zunehmend an die einzelnen Beschäftigten weitergegeben. Verlagerung von Arbeiten an Fremdfirmen, Umstrukturierung durch neue Technologien oder Strategiewechsel durch neue Eigentümer – in allen Fällen ist der Betriebsrat gefordert. Durch Sozialplanverhandlungen kann Druck auf das Unternehmen ausgeübt werden, Alternativen zu Entlassungen zu prüfen. Diese Rechte bieten Möglichkeiten der Interessenvertretung.
Die Grenzen der Mitbestimmung
Doch bei den entscheidenden Fragen ist die Belegschaft außen vor. Über Investitionsentscheidungen muss der Betriebsrat nur informiert werden, die Verwendung von Gewinnen ist oft tabu. Wirtschaftliche Fragen bleiben von der Mitbestimmung ausgeschlossen.
Die Umsetzung der Forderung nach Demokratie im Betrieb scheiterte an der Adenauer-Regierung, die Gewerkschaften protestierten in den 1950er-Jahren gegen die damalige gesetzliche Neuregelung.
Bontrup-Modell: Ein Vorschlag für mehr Demokratie
Eine Demokratisierung der Wirtschaft fordert seit Jahren Heinz-Josef Bontrup. Der Wirtschaftswissenschaftler hat das "Bontrup-Modell" der Arbeitnehmermitbestimmung entwickelt (Bontrup/Marquardt, Volkswirtschaftslehre aus orthodoxer und heterodoxer Sicht, Berlin/Boston 2021, S. 884 ff.) Denn er hält die Verhältnisse in der heutigen Wirtschaft für "tatsächlich sogar autokratisch".
"Demokratie im Staat, und sei es nur eine indirekte, und Autokratie in der Wirtschaft: Eine solche Dichotomie schließt sich, wie wir täglich sehen, nicht aus, aber sie ist nicht zukunftsfähig", kritisiert Bontrup.
Die unvollendete Mission der Gewerkschaften
Der DGB hat bereits 1949 in seinem ersten Grundsatzprogramm Wirtschaftsdemokratie gefordert. Zuletzt haben die Verdi-Mitglieder 2015 einen Vorstoß gewagt, der dann aber "völlig in den Mühlen der Gewerkschaftsbürokratie unterging und vom Bundesvorstand damals auch nicht wirklich gewollt war", erklärt der langjährige Professor.
Die Warnstreiks im Nahverkehr Anfang März wurden zu gemeinsamen Aktionen von Fridays for Future und ver.di-Streikenden. Unter dem Motto "Wir fahren zusammen" solidarisierte sich die Klimabewegung mit den Beschäftigten der Verkehrsbetriebe, die für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne kämpfen.
Die Zukunft der Arbeit: Demokratie im Betrieb
Eine "Demokratisierung im Betrieb" erfordert eine breite Diskussion. Nicht nur über Entscheidungsrechte der Belegschaft über das "Wie" der Produktion, also die Arbeitsbedingungen – sondern auch über das "Was": Welche Produkte, welche Dienstleistungen sollen angeboten werden? Warum soll den Kunden Software zur Überwachung angeboten werden?
Warum sollen Beschäftigte Programme entwickeln, mit denen gesetzliche Regelungen umgangen werden können, wie beim Diesel-Software-Skandal? Warum wird der Individualverkehr gefördert – statt umweltfreundliche öffentliche Verkehrsmittel zu fördern? Die gemeinsamen Aktionen von Fridays for Future und Streikenden können zu diesen Fragen führen.
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