Wissenschaftliche Verlage in Bedrängnis

Open Access-Modelle im wissenschaftlichen Publikationswesen erhalten zunehmend Rückendeckung aus den Reihen der Wissenschaftler

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Die vergangenen Wochen verliefen gut für die Anbieter von Open Access-Modellen im wissenschaftlichen Publikationswesen. Zunächst startete die Public Library of Sciencewww.plos.org ihr erstes Onlinejournal PLoS Biology (Affe denkt, Roboter tut: Open Access-Journal beginnt hochkarätig) und schaffte es, dank geschicktem Marketing und hochwertigen Beiträgen erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit auf sich und auf die gesamte Branche zu ziehen. Dann kamen in Berlin vom 20. bis 22. Oktober Wissenschaftler aus aller Welt zur Open Access Conference zusammen und diskutierten die Bedeutung von Open Access für ihre Zunft.

Am Ende dieser Tagung stand die Veröffentlichung der Berlin Declaration, in der sich die 19 Unterzeichner prinzipiell zu einem freien Zugriff auf Forschungsliteratur bekannten und ankündigten, entsprechende Anbieter zu unterstützen. Unter den Unterzeichnern waren für Deutschland unter anderem die Präsidenten der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG), der Max Planck-Gesellschaft (MPG) und der Helmholtz-Gesellschaft sowie der Sprecher des Wissenschaftsrats. Und dann kam in der letzten Woche auch noch unerwarteter Beistand von Analysten, die von der französischen Bank BNP Paribas beauftragt worden waren, eine Studie zur wissenschaftlichen Verlagsbranche mit einem Fokus auf neue Medien zu erstellen.

"Autor zahlt" - eigentlich auch jetzt schon

Nach einer Reihe von eher mäßig erfolgreichen Versuchen verschiedener Gruppen, den freien Zugriff auf wissenschaftliche Originalliteratur zu erzwingen - im biomedizinischen Bereich vor allem PubMed Central (früher E-Biomed) und die Unterschriftensammlung der Public Library of Science - dreht sich die Open Access-Diskussion mittlerweile schwerpunktmäßig um das so genannte "Autor zahlt"-Modell. Es wurde ursprünglich im Rahmen der Budapest Open Access Initiative diskutiert und dann von dem Londoner Portal BioMed Central als erstem Anbieter kommerziell umgesetzt. Auch die Zeitschrift PLoS Biology und das für 2004 geplante Journal PLoS Medicine arbeiten nach diesem Geschäftsmodell. Einsteigen will im nächsten Jahr außerdem die Oxford University Press.

Der Zugriff auf die veröffentlichten Arbeiten ist dabei vom ersten Augenblick an für jeden, der Zugriff auf das Internet hat, kostenlos. Für die Veröffentlichung allerdings muss bezahlt werden. PLoS verlangt 1.500 US-Dollar pro Artikel. BioMed Central berechnet gegenwärtig nach Angaben auf der Webseite 500 US-Dollar, bietet Institutionen aber auch nach Größe gestaffelte Festpreise für dann beliebig viele Beiträge an.

Diese Preise klingen auf Anhieb hoch. Man muss allerdings bedenken, dass auch eine Veröffentlichung in traditionellen Magazinen, die zum Teil erhebliche Abonnementgebühren verlangen, in der Regel nicht umsonst ist. Die angesehene Zeitschrift Blood etwa verlangt für einen siebenseitigen Artikel mit einem farbig gedruckten mikroskopischen Bild bemerkenswerte 800 US-Dollar und noch mehr, wenn die Zahl der Bilder zunimmt. Die Idee ist nun, dass die Institutionen oder die Finanziers der Forschung diese Kosten zusätzlich übernehmen, und tatsächlich erklären sich immer mehr Organisationen dazu bereit, das auch zu tun.

Knickt der wissenschaftliche Zeitschriftenmarkt bald ein?

Diesen Hintergrund hatten auch die Analysten von BNP Paribas vor Augen, die ihre Einschätzung der Zukunft der wissenschaftlichen Verlagsbranche unter dem Titel "Professional Publishing" veröffentlichten. Die Studie ist sehr differenziert und prophezeit zum Beispiel jenen Verlagen, die sich auf multimedial gestaltete Aus- und Weiterbildungsangebote spezialisieren, exzellente Aussichten. Die Zukunft des wissenschaftlichen Zeitschriftenmarkts allerdings ist nach Ansicht der Analysten "sehr viel unsicherer".

Ihre Warnung: Die Erträge von Anbietern, die sich wie der Marktführer Reed Elsevier (1.800 wissenschaftliche Zeitschriften) stark auf das Zeitschriftensegment verlassen, könnten bald einbrechen. "Das Internet bedroht das Geschäftsmodell traditioneller akademischer Verlage, vor allem im STM-Bereich", so die Autoren. "STM" steht dabei für "Science, Technology and Medicine".

Im Bereich Fachliteratur haben Zeitschriften den BNP-Daten zufolge einen globalen Anteil am Umsatz von etwa 15 Prozent. Bücher liegen bei 38 Prozent. Innerhalb des Zeitschriftensektors machen medizinische, naturwissenschaftliche und technische Publikationen mit einem Jahresumsatz von rund 8 Milliarden US-Dollar in den USA ein gutes Viertel des Marktes aus. In Europa dürfte dieser Anteil eher höher liegen. Eine durchschnittliche Zeitung in diesem Markt veröffentlicht heute jährlich rund 150 Originalartikel, knapp doppelt so viel wie 1975. Die durchschnittliche Abonnentenzahl liegt bei 1.900 Beziehern (gegenüber 2.500 am Ende der 70er), 85 Prozent davon sind Bibliotheken.

Das Grundproblem der Branche, so die BNP-Analysten, seien steigende Kosten durch weiter wachsenden wissenschaftlichen "Output" bei kraft Bibliotheksbudgets limitierten Einnahmen. Dieses Problem an sich ist nicht neu, doch die BNP-Studie gehört zu den ersten ökonomischen Quellen, die dieses Problem explizit für ein strukturelles hält, das mit den herkömmlichen Publikationsmodellen nicht lösbar ist.

Anleger trennen sich von Elsevier-Aktien

Die kritische Frage beim Autor zahlt-Modell ist, ob die Vorteile für die Institutionen groß genug sind, um bei den jeweiligen Wissenschaftlern für eine Veröffentlichung in unter Umständen anfangs weniger renommierten Open Access-Portalen zu werben. Die BNP-Analysten wagen hier eine allerdings vage Kostenschätzung und halten es für möglich, dass Universitäten und Institutionen insgesamt billiger wegkommen, wenn sie die Veröffentlichungen zahlen und nicht mehr die Abonnementgebühren.

Klar ist jedoch auch, dass die Institutionen definitiv draufzahlen, solange beide Modelle nebeneinander existieren. Ein weiterer Pluspunkt für die Institutionen könnte die größere Reichweite der Open Access-Portale sein. Im Augenblick wird zum Beispiel bei BioMed Central ein neuer Artikel mehr als sechs Mal häufiger herunter geladen als bei Reed Elsevier. "Open Access-Modelle haben klar Rückenwind", fassen die Analysten ihre Studie zusammen.

Ein so skeptisches Papier wie die BNP-Studie "Professional Publishing" hatte in der vergangenen Woche auch Einfluss auf die Aktienkurse der Verlagsunternehmen. Entgegen dem allgemeinen Markttrend sackte der Kurse des besonders negativ beurteilten Verlagshauses Reed Elsevier innerhalb einer Woche um bis zu 15 Prozent ab.