Wo Terroristen leicht an Plutonium kommen

Die Müllhalde der sowjetischen Atombombenversuche ist verwaist und birgt Plutonium-reichen Sand, der sich für "dirty bombs" eignet

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Richard Stone berichtet in Science über seinen Besuch in Kurchatov, dem Zentrum der sowjetischen Atombombenversuche, 150 km von Semipalatinsk entfernt. Was er beschreibt, liefert den Stoff für Horrorvisionen.

456 und mehr nukleare Bomben wurden 4 Jahrzehnte lang über- und unterirdisch gezündet. Bis zur Perestroika war das Gebiet hermetisch abgeriegelt.

Die Detonationen ließen den Boden in Semipalatinsk beben, und die radioaktiven Niederschläge überzogen die Stadt mit ihren 700.000 Einwohnern. Kurchatov, damals auch Moskau-400 genannt, beherbergte mehr als 1000 Physiker und Ingenieure, die dem Vater der sowjetischen Atombombe, Igor Kurchatov, zu Diensten waren. Das Testgebiet, vielleicht 120 x 180 km groß, besteht aus weiten Ebenen und Gebirgen. In der Ebene wurden Häuser nachgebaut und Tiere gehalten, um den Effekt der Atombombe zu bemessen. In die Berge wurden für die unterirdischen Versuche Stollen getrieben. Die mitunter weißen Kappen auf den Gebirgsgipfeln sind nicht Schnee, sondern Auswirkungen der nuklearen Energie.

Ground Zero mit den Überbleibseln der Türme, in denen die Messinstrumente installiert waren (Credit Science).

Im August 1991 ordnete Nursultan Nazarbayv als Präsident von Kasachstan die Schließung der Versuchsstätte an. Die russischen Wissenschaftler verließen samt Bewacher das Gebiet. Die lokale Bevölkerung, unwissend worauf sie sich einließ, kam, um zu plündern. Alles was beweglich war, wurde verhökert. Die Protokolle aber, die über die Atombombenversuche Auskunft geben konnten, betrachten die Russen bis heute als Staatsgeheimnisse. Soweit nicht vernichtet, wurden sie mitgenommen.

Erst allmählich kam das Ausmaß der Umweltzerstörung zu Tage. Das Kasachstanische Nationale Nuklear Zentrum bat um kompetente Hilfe. Die Vereinigten Staaten schickten zahlreiche Fachleute, die NATO schließlich schuf das Programm SEMIRAD. Dennoch ist der Überblick punktuell und damit spärlich. Richard Stone zitiert den Nuklearexperten Zhotabaev: "Jedes Mal wenn wir eine Suche durchführen, stoßen wir auf etwas Neues."

Die Region des früheren sowjetischen Atombombenversuchsgelände (Credit Science)

Zuvörderst beunruhigend ist die Beobachtung, dass in zahlreichen Arealen der Boden mit Plutonium getränkt ist. Als Ursache werden hydronukleare Tests angenommen, deren Ziel die Feineinstellung der explosiven Wirkung war. Der Test zündete keine nukleare Kettenreaktion, dennoch verteilte sich Plutonium rings um die Bombe und schlimmer noch, die entstehenden Metallsplitter oxydierten und fielen als Plutoniumoxyd-Nebel auf die Erde und wurden später mit dem Regenwasser eingewaschen.

Plutonium-reicher Sand ist geeignet, jene "dirty bombs" zu produzieren, die als nukleare Waffe des kleinen Mannes bekannt ist. Die Regierung von Kasachstan weiß weder wie viel Hot Spots existieren, noch kann sie das Gebiet so hermetisch abriegeln und bewachen wie die frühere Sowjetunion.

Die International Atomic Energy Agency (IAEA) scheint den von Richard Stone berichteten Problemen aktuell keinen Raum zu geben. Die Stichwortsuche Kasachstan bringt auf der Webseite unter Pressemitteilungen drei Treffer, zuletzt aus dem Jahr 1997. Andererseits sind sich die Experten einig, dass der verbotene Handel mit radioaktiven Material zunimmt. An Drohungen hat die IAEA seit 1993 weltweit mehr als 500 Ereignisse registriert, die sich auf nukleares Material beziehen.

Plutonium zu schürfen, ist eine Verlockung für Terroristen und ungleich einfacher als der Einbruch in einen Atomreaktor.