Wo bleibt die Fähigkeit zur Klarheit? Das Schweigen der Linken zu Israel

Seite 2: "Der Hamas zuhören" - Was sagt sie? Was ist unsere Antwort?

In der Süddeutschen Zeitung schrieb die Kolumnistin Carolin Ehmke über das "Wie umgehen mit der Gewalt und die tiefe Unsicherheit dieser Tage". Sie begann mit der Beschreibung ihrer eigenen Schwierigkeiten, angesichts des Terrors die richtigen Worte zu finden.

Als sie die Worte dann allerdings gefunden hatte, dreht sich doch alles wieder sehr schnell um die Palästinenser, die angeblich im toten Winkel der Wahrnehmung und der Empathie sitzen:

Ist das palästinensische Leiden bereits eingepreist? Haben sich alle daran gewöhnt? Oder gilt die Anteilnahme an der Not der Zivilisten in Gaza als Absage an Anteilnahme an jüdische Trauer? Das sind falsche Gegensätze. Es ist, als ob nicht mehr hingefühlt werden kann, sobald das Wort "Palästinenser" fällt, als ob es innerlich eine Barriere gäbe.

Carolin Ehmke, SZ

Der ganze Emcke-Text ist eine Umdrehung und Relativierung der Opfer-Täter-Verhältnisse. Denn wenn einem im Zusammenhang mit Morden der einen Seite an der anderen nur einfällt: "Wir müssen einander zuhören", dann ist die Frage schon, ob wir eigentlich der Hamas zuhören müssen?

Und wenn ja: Was sagt uns die Hamas? Was ist unsere Antwort?

Empathie für Pogrome?

Emcke schreibt im Sonntagsredenstil von "Universalistischer Empathie". Nun sind Empathie und Universalismus zwei sehr verschiedene Dinge, das weiß auch Emcke, die über kollektive Identitäten promovierte. Universalismus will sich nicht einfühlen, sondern formuliert rechtliche und politische Ansprüche, die für alle gelten.

Der Emcke-Text ist zwar schlau verklausuliert und vage gehalten, er liest sich trotzdem wie eine jener gerade täglichen Relativierungen des Hamas-Terrors.

Jede Empathie wie jede Menschlichkeit braucht unbedingt eine Entsprechung in der klaren Verurteilung von Terror, Kriegsverbrechen, menschenfeindlicher Ideologie und Propaganda. Sonst ist sie nur naiv. Empathie gilt überdies nie für Antisemitismus und Pogromverherrlichung.

Auch politische Fanatiker und Terror-Sympathisanten müssen mit allen Mitteln des Rechtsstaats und demokratischer Bildung bekämpft werden. Wir müssen Ambiguität und Ambivalenz lernen.

Aber wir dürfen die Fähigkeit zur Klarheit nicht verlieren.

Dazu gehört, uns einzugestehen, dass Menschen, die vor Terror, Krieg und Not zu uns flüchten, nicht automatisch antisemitische, frauenfeindliche, homophobe und demokratiefeindliche Prägungen ablegen, nur weil sie das demokratische Europa als Zufluchtsort wählen.

Erst recht nicht in Zeiten, in denen auch die deutsche Gesellschaft die Demokratie teilweise infrage stellt und Rückschritte in Sachen Gerechtigkeit und Liberalität macht.