Wo die Welten eins werden
US-Utopie, Steueroase, Nabel des Universums: Transfers zwischen Pop und Politik in Panama
Direkt am Ufer befindet sich ein Restaurant mit Blick auf einen gigantischen Nervenstrang aus Wasser, der befahren wird von tonnenschweren Schiffen. Am anderen Ufer sprießen Hochhäuser in den Himmel, metallisch-glatte Strukturen, die so dicht beieinander stehen, als wollten sie sich aneinander wärmen. Was wie eine Mischung aus Singapur und Istanbul anmutet, ist Panama City in „The Tailor of Panama“. Mit solchen Bildern präsentierte John Boorman zu Beginn des 21. Jahrhunderts der Weltöffentlichkeit die Hauptstadt eines Landes, das bis dato das Dasein einer US-Kolonie gefristet hatte und das im Zuge dessen in erheblichem Maße den Projektionen Washingtons unterworfen war.
Panama war im 20. Jahrhundert das ehrgeizige Utopie-Projekt eines jungen Imperiums gewesen und als Boormans Film in die Kinos kam, war das Land bzw. sein konstitutives Element: der Panama-Kanal, just in die formelle Unabhängigkeit entlassen worden. Seitdem ist Panama unter Hochdruck damit beschäftigt, sein eigenes Image zu modifizieren.
Zentraler Schauplatz der Wiedergeburt ist der Tourismus, wie der zuständige Minister vor einigen Tagen mit Nachdruck zu verstehen gegeben hat. Diese Strategie ist zunächst einmal nicht überraschend, viele post-koloniale Staatsgründungen haben sich ebenfalls im Rahmen der zweitgrößten Branche der Welt vollzogen (Eine Landschaft des Bleibenden). Doch hier sind die Vorzeichen von besonderer Art: Die prekäre Beziehung zum informellen Kolonialherren, die späte Unabhängigkeitswerdung und vor allem die Rekrutierung eines international bekannten Stars der Unterhaltungsbranche zum Minister für Kultur und Tourismus: Rubén Blades.
Kein Magnet des Massentourismus
Bei der Verschränkung von Nation-Building und Tourismus ist der Transfer zwischen Pop und Politik ein Novum. Ein notwendiges Novum sollte man hinterherschicken. Es scheint die einzige Erfolgsgarantie für ein neues Panama-Bild zu sein, denn die Vorraussetzungen für die Mission des Landes sind denkbar schlecht. So gilt der Panama-Kanal zwar als Wunderwerk der Geschichte, auf einer Stufe mit den ägyptischen Pyramiden oder der chinesischen Mauer. Anders jedoch als die nationalen Prestige-Objekte Ägyptens und Chinas hat der Panama-Kanal niemals die touristischen Massen angelockt. Er hat zwar einen Platz in der kollektiven Fantasie eingenommen, aber er blieb dort in seinem Erscheinungsbild vage. Symptomatisch dafür ist, dass Boormans Films der erste in der Hollywood-Geschichte gewesen ist, der in Panama gedreht wurde.
Internationale Schriftsteller haben sich von diesem Bauwerk angezogen gefühlt, darunter Stefan Zweig, und dadurch ihren Weg in die Hauptstadt Panamas gefunden. Doch sie sind an einer Hand abzuzählen. US-Arbeiter bevölkerten ihn, das US-Militär sollte ihn Dekaden lang schützen, doch die Touristen blieben fern. Das Land, das lange auf den Kanal reduziert worden ist, ging als geostrategisch prominenter Ort in die Geschichte ein. Als Knotenpunkt der Weltwirtschaft und Weltpolitik. Als ein Umschlagplatz, der eine wachsame Kontrolle erforderte, der polizeilich bewacht und militärisch abgesichert werden musste. Kein attraktives Fleckchen Erde für Touristen, dafür aber für Entrepreneure im Transfergeschäft von Daten, Währungen und Waren.
Während in der zweiten Hälfte Casinos zu den inoffiziellen Wahrzeichen Panamas avancierten, machte sich die Hauptstadt als Steuerparadies einen Namen. Panama lockte in Folge dessen nicht nur Zocker und dubiose Financiers an, sondern zog auch die Aufmerksamt der G-7-Länder auf sich. Jene veröffentlichten um die Jahrhundertwende eine schwarze Liste mit Ländern, die die Steuerflucht von Unternehmen und Einzelpersonen, sowie das Abtauchen von umgerechnet einigen Billionen Euro von der Bildfläche der Weltwirtschaft begünstigen. Panama fand sich neben Bahrain und Vantau unter diesen Ländern wieder. Fahnder und Finanzbehörden haben das Land seitdem ins Visier genommen, weil sie vermuten, dass dort die Aktivitäten der organisierten Kriminalität sowie das Treiben korrupter Politiker unterstützt werden.
Imagekorrekturen erforderlich
Boormans kaum beachteter Black-Comedy-Thriller mit Pierce Brosnan in der Hauptrolle schrieb sich in dieses problematische Image ein, indem er Panama City als Zentrum internationaler Machenschaften in Szene setzte. In Anlehnung an die Welt von John Le Carré wählte Boorman dafür die Beschreibungsebene der Spionage: Das Unbewusste des Kalten Krieges entlädt sich dort in der Stube eines Schneiders, der durch seine Geschichten unsichtbare Netzwerke und politische Gespenster reaktiviert. Boorman bearbeitete seinen Gegenstand auf sarkastische Weise, der Regisseur von Kultfilmen wie „Point Blank“ (1967) und „Deliverance“ (1972) spielte gewissermaßen mit den Klischees, die Panama auch heute noch anhaften.
Auf diese Weise hat sich Boorman in die Geschichte der Fremdzuschreibungen von Seiten der USA als deren Kritiker eingeschrieben: Der erste Hollywood-Film, der in Panama entstanden ist, ist zugleich der erste prominente Versuch, den Spieß umzudrehen. Dass Panama nicht lange fackeln würde, selbst die Kontrolle über seine eigene nationalstaatliche Identität zu übernehmen, dürfte niemanden wundern. Doch dass Rubén Blades nun die politische Wende einleiten soll, lässt schon aufhorchen. Der Mann ist nicht gerade als Politiker bekannt, obwohl er 1994 zu den Präsidentschaftswahlen in Panama seine eigene politische Partei gründete und mit 20% der Stimmen drittstärkste Kraft wurde.
Blades ist vielmehr als panamaischer Sänger und Schauspieler berühmt geworden: Als Pionier von Salsa in den USA und als Darsteller in so unterschiedlichen Filmen wie „Mo' Better Blues“ (1990), „All the Pretty Horses“ (2000), „Killing Moves“ (2002), „Empire“ (2002) oder „Once Upon a Time in Mexico“ (2003). Nun, da er von Martín Torrijos zum Minister für Tourismus und Kultur ernannt worden ist, kann er als Politiker nachholen, was er bislang als Künstler zwar nicht versäumt, aber vielleicht nicht in ausreichendem Maße realisieren konnte: Einfluss nehmen auf die Geschicke seines Landes. Dass sein Ziel nicht zuletzt darin besteht, das Image von Panama zu modifizieren, gibt er unmissverständlich auf der Homepage des Panamanian Tourism Institute zu verstehen. Gleich im ersten Satz beklagt er, dass sein Land von der Außenwelt missverstanden wird:
Para muchos, Panamá significó en su tiempo abundancia de peces. Para otros, es solo un Canal. Pero Panamá es mucho más que eso. Es tantas cosas, que se le ha llegado a llamar el puente del mundo, corazón del Universo, espejo de las Américas.
Blades Worte machen klar, dass Panamas geopolitische Ausnahmestellung nun auch in ihrer geo-kulturellen Dimension gewürdigt werden soll. Anders gesagt: Die Schnittstelle der Weltwirtschaft und Weltpolitik soll jetzt beseelt werden. Panama ist dem Selbstverständnis nach nicht (allein) das Nervenzentrum des globalen Machtspiels, sondern vor allem der emotionale Nabel der Welt. Zumindest jedoch der lateinamerikanischen Welt. Und so versucht der Komponist von Alben wie „Bohemio y poeta“ (1979) und „Mundo“ (2002) den Geokörper Panama nun auf eine Weise zum Klingen zu bringen, wie sonst seine Gitarre: Weiche, farbenfrohe Sounds entlockt Blades diesem Körper, die Poster, die seine Behörde publiziert, haben sein musikalisches Spiel jedenfalls in prägnante Bilder übertragen: Malerische Buchten, romantische Kolonialarchitektur, folkloristische Feste.
Das politische Allheilmittel
Auf einem der Motive, die das Panamanian Tourism Institute auf seiner Homepage zur Verfügung stellt, ist ein Stierkampf zu sehen. Das Bild erinnert gleichermaßen an Spanien und die USA: Es evoziert den spanischen Nationalsport und die Viehtreiberromantik der USA. Obgleich es zunächst aus der Reihe zu springen scheint, ist es in Wirklichkeit genauso wie anderen Motive kulturell unspezifisch. Wie gesagt, es erinnert an Spanien und die USA zugleich und wenn man die anderen Bilder betrachtet, könnten jene genauso gut in jedem anderen lateinamerikanischen Land entstanden sein. Wo in Lateinamerika gibt es keine malerischen Buchten, keine romantische Kolonialarchitektur oder keine folkloristischen Feste? Der gemeine Betrachter kann Blades’ Touristik-Bilder letzten Endes genauso wenig zuordnen, wie er beispielsweise die unterschiedlichen indigenen Sprachen Mexikos voneinander unterscheiden kann. Das Spezifische geht unter, aber das muss der Mission von Blades nicht abträglich sein.
In ihrer unspezifischen Eigenschaft sind die visuellen Botschaften seines Ministeriums auf einer Wellenlänge mit der hispanischen Kultur in den USA. Jene findet dort seit 20 Jahren rasend Verbreitung und das gerade deshalb, weil sie die kulturellen Differenzen zugunsten eines Labels ausblendet, das wahlweise „Hispano“ oder „Latino“ heißt. (Die Fantastischen 25). Rubens’ Kampagnen könnten den Nerv dieses großen Marktes treffen und damit in einem Land Erfolge ernten, das Panama zwar fast ein Hundert Jahre lang okkupiert, das aber einen erstaunlich zurückhaltenden Besucherstrom generiert hat: Anfang 1980 waren es international mit etwas über 300.000 - gerade mal genauso viel wie im gleichen Jahr auf Sri Lanka, das zwar im regionalen Vergleich überaus erfolgreich, aber für seine vornehmlich deutschen und englischen Besucher nicht gerade so schnell und einfach erreichbar war wie Panama für US-Amerikaner. Im Jahr 2005 vermeldet Panama 476,269 Besucher, also einen zaghaften Anstieg, der zahlenmäßig selbst hinter einem eher dubiosen Urlaubsland wie Myanmar zurückbleibt.
Das dürfte Rubens anspornen. Allein schon, um den Erwartungen gerecht zu werden, die die Geschichte des Pop-Politik-Transfers an ihn stellt. Sie hat bekanntlich schon zahlreiche bizarre Blüten hervorgebracht. Auf der einen Seite mutieren Politiker zu Popstars: Vom Medienkanzler Schröder bis hin zu Hugo Chávez, der sich mit einer sonntäglichen Sendung in die Herzen aller venezolanischen Haushalte schaltet. Von Angela „Angie“ Merkel, die plötzlich zu Queen-Songs tanzt, bis hin zu einem gewissen Schweizer Botschafter, der mit einer erotischen Ex-Miss Texas High-Society-Maßstäbe gesetzt hat. Auf der anderen Seite finden immer mehr Protagonisten der Kultur- und Unterhaltungsbranche in die Politik: Wir haben in Ländern wie den USA (Reagan) oder auf den Philippinen (Estrada) gesehen, wie Schauspieler zu Präsidenten werden. In Brasilien ist derzeit ein Künstler zum Kulturminister avanciert.
Doch der Popstar in der Eigenschaft des Tourismus-Ministers ist etwas Neues. Etwas, das bisherige Annahmen auf die Spitze treibt. Erstens: Wo politische Macht an in ihre Grenzen stößt, kommt Pop ins Spiel. Anders gesagt: Je enger der politische Spielraum, desto massiver der Rückgriff auf die Symbole des Konsum- und Unterhaltungsuniversums. Zweitens: Wo es um das außenpolitische Image eines Staates geht, kommt der Tourismus ins Spiel. Je ohnmächtiger ein Land im geopolitischen Ringen um Prestige ist, desto stärker versucht es, seinen Einfluss über eine touristisch geprägte Markenidentität in der globalen Aufmerksamkeitsökonomie geltend zu machen.
Das Beispiel Panama zeigt, dass das Hispano- bzw. Latino-Label dazu äußerst tauglich ist. Und wenn man die gegenwärtige SPD-Wahlwerbung eingehender studiert, merkt man, dass auch Schröder auf den Geschmack gekommen ist. Seine allseits bekannte Siegerpose wirkt schwarz auf rot wie ein Flamenco-Konterfei.