Wunsch nach Veränderung

Die Wähler haben geruckelt und der Bundeskanzler hat nach der verheerenden Niederlage von Rot-Grün den Ruck aufgenommen, aber was wird sich verändern?

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Die Wahlen in Nordrhein-Westfalen gingen erwartungsgemäß aus. Die Menschen straften die rot-grüne Regierung ab. Der Wunsch nach einem Wandel war im größten Bundesland vermutlich besonders stark, in dem die SPD bald vierzig Jahre an der Macht war. Beide Koalitionspartner verloren, die SPD besonders massiv. Die Menschen wollen eine andere Politik, aber sie kriegen erst einmal nur andere Politiker. Immerhin haben sie die Braunen außen vor gelassen und sind auf deren Bauernfängerei nicht hereingefallen.

Rot-Grün hat ihre Wähler, frustriert wohl am meisten über die Politik der Bundesregierung, nicht zur Wahl locken können. Auch Münteferings späte Kapitalismuskritik hat zwar eine Diskussion hervorgerufen und manche Zustimmung mit sich gebracht, aber eben keinen Schwung für die Partei, der man keine neue Politik mehr zutraute. Tatsächlich ist vermutlich aus der Sicht vieler relativ egal, wer an der Macht ist, weil sich die wirtschafts- und sozialpolitischen Programme der großen Parteien nicht mehr wesentlich unterscheiden, die Rezepte in etwa gleich sind. Allerdings kann die Umsetzung in den Nuancen doch zu recht tiefgreifenden Veränderungen führen. Manche, die nicht zur Wahl gegangen sind oder nun die Alternative wählten, könnten sich womöglich bald wundern.

Die Situation im Land ist verfahren, die Regierung hat jeden Bonus aufgebracht. Die Menschen wollen einen Wechsel und haben in Nordrhein-Westfalen nun endgültig den schon lange geforderten Ruck ergehen lassen. Zweifelhaft ist, ob die Mehrheit die konkrete Politik der Konservativen und Liberalen tatsächlich unterstützt. Man wird eher davon ausgehen können, dass sich viele von einem politischen Wechsel irgendwie eine neue Dynamik erhoffen, die tatsächlich auch einsetzen kann, schließlich ist sie in hohem Maß psychologisch bedingt, während der Handlungsspielraum der Parteien klein ist.

Bundeskanzler Schröder und SPD-Chef Müntefering haben aus der Sicht der SPD richtig gehandelt und nicht lange mit der Forderung nach Neuwahlen gewartet. Selbst die Grünen waren davon überrascht und dürften düpiert sein, in diese Entscheidung nicht mit einbezogen gewesen zu sein. Es dürfte Schröder und Müntefering klar sein, dass auch dann, wenn Neuwahlen im Herbst über die Vertrauensfrage tatsächlich möglich wären, die Stunde von Rot-Grün als Regierungskoalition erst einmal vorbei sein wird. Bis zum Herbst wird sich nichts mehr Grundlegendes verändern, vielmehr ist die Handlungsfähigkeit noch kleiner als bislang. Das dürfte den Wunsch nach einem Wechsel nur weiter stärken.

Schröder forderte in seiner Erklärung zu Recht, dass die Bürger nach dem massiven Wahlsieg der Opposition die Möglichkeit haben müssen, über die umstrittene Reformpolitik der Bundesregierung abzustimmen. Die Bürger werden gegen diese und die Regierung stimmen, aber auch hier wieder nicht notwendig deswegen auch für die Politik der Konservativen und Liberalen. Vermutlich wird sich auch eine schwarz-gelbe Regierungskoalition bald zerschleißen, wenn sich nicht bald ein Aufschwung einstellt, den sich diese dann natürlich zurechnen wird. Gespannt wird man sein können, ob ein wirtschaftlicher Aufschwung tatsächlich auch zu einem massiven Abbau der Arbeitslosigkeit führen wird. Aber das sind Fragen, die man abwarten muss.

Taktisch klug im Sinne der Partei aber ist sicherlich von Müntefering und Schröder, mit vorgezogenen Neuwahlen der schleichenden Selbstzerstörung der SPD Einhalt zu gebieten. In der Opposition wird sie sich wieder eher auf ihre traditionelle politische Ausrichtung konzentrieren können, nachdem sie es in den Augen vieler nicht geschafft hat, einen Wandel herbeizuführen, der den Sozialstaat durch Anpassung an die neuen Bedingungen erhält. Jetzt ist die Opposition gezwungen, sich nicht nur schnell zu einem Kanzlerkandidaten und einer Regierungsmannschaft zu bekennen. Jetzt muss sie auch klar ein programmatisches Profil zeigen (und auch deutlich werden lassen, welche Position sie etwa außenpolitisch in Bezug auf die EU, die UN, die USA und die Konfliktherde wie Irak und Iran vertreten will), sie kann nicht mehr herumlavieren und letztlich alle Probleme der Regierung zuschreiben.

Es gibt also einen kleinen Ruck, der aber noch bis zum Herbst anhalten müsste, um sich auszuwirken. Es könnte sich nur herausstellen, dass entgegen der Erwartungen die kleinsten Änderungen in der Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik geschehen werden, die jetzt im Mittelpunkt standen. Alles andere war ausgeblendet. Und über die Veränderungsrichtung könnte man sich aus dem Grund Gedanken machen, dass die CDU besonders bei den Wählern über 60 Jahren mit 51 Prozent vorne liegt.