Yoga unterm Hakenkreuz
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Der Sachbuchautor Mathias Tietke über Adolf Hitlers und Heinrich Himmlers Verehrung der indische Kriegerethik
Mathias Tietke (geb. 1959 in Wittenberg) ist Journalist, Sachbuchautor und Yogalehrer. Nach einer Ausbildung zum Möbeltischler in Thüringen wurde ihm auf Betreiben der Staatssicherheit der DDR ein Literaturstudium verweigert. Nach dem Fall der Mauer reiste er mehrmals nach Indien und absolvierte eine vierjährige Yogalehrerausbildung in Deutschland.
In mehreren Büchern beschäftige er sich mit der Geschichte des Yoga sowohl international als auch hierzulande. Drei davon behandeln Yoga in der DDR und im Nationalsozialismus ("Yoga im Nationalsozialismus. Konzepte, Kontraste, Konsequenzen", 2011; "Yoga in der DDR. Geächtet, Geduldet, Gefördert", 2014; "Yogi Hitler. Der Einfluss von Yoga und indischer Philosophie auf die Ideologie des Nationalsozialismus", 2021). Zurzeit arbeitet er an einem Buch über Yoga in der Bauhaus-Bewegung.
Herr Tietke, was bedeutet Yoga für Sie?
Mathias Tietke: Vom Begriff her heißt es "verbinden". Ursprünglich bezog sich das auf das Anschirren der Pferde, bevor Krieger den nächsten Überfall ausführten. Im übertragenen Sinn ist das eine aktive Handlung, die eine klare Richtung hat und die Kräfte bündelt.
Womit Sie gleich den kriegerischen Gedanken ansprechen, den wir später noch vertiefen werden. Aber was bedeutet das konkret persönlich?
Mathias Tietke: Vom Kräftebündeln hat sich der Begriff weiterentwickelt: Anstatt sich im Denken über Vergangenheit oder die Zukunft zu verlieren - was war gestern, was muss ich später noch erledigen? -, fokussiert man sich auf den gegenwärtigen Moment.
In der eigenen, natürlich westlich geprägten Erfahrung kommen die Körperübungen dazu. Das heißt, ich brauche eine Yogamatte, einen rutschfesten Untergrund. Dort kann ich den "Krieger" üben oder den "Sonnengruß". Ich tue etwas Gutes für meine Wirbelsäule, für meine Gesundheit, und seien es nur 15 bis 20 Minuten am Tag. Dazu kommt das Erlernen von Entspannung, das man auch bei Konflikten anwenden kann.
Durch meine Indien-Reisen kam schließlich eine höhere, eine philosophische oder spirituelle Dimension dazu, die mir genauso wichtig ist. Hierfür spielen auch die antiken Yogasutras von Patanjali eine Rolle. Darin geht es um "samadhi", was manche mit "Erleuchtung" gleichsetzen. Ich verstehe das im Sinne von Aufklärung:
Man versucht, sich von Konditionierungen und Manipulationen freizumachen. Man schaut beispielsweise durch das hindurch, was die Familie, die Schule, die Gesellschaft von einem erwartet, und findet seinen eigenen Weg. Auch Statussymbole verlieren dann an Bedeutung. Ich reflektiere, trete zurück, komme zur Besinnung.
Dieses Begriffliche und Persönliche, die Körperübung und die Besinnung – hängen die miteinander zusammen oder sind das verschiedene Dinge?
Mathias Tietke: Für mich gehört das zusammen. Als Freischaffender habe ich fast täglich die Aufgabe, meine Prioritäten festzulegen. Worauf konzentriere ich mich? Ich will vermeiden, mich in zu vielen Dingen zu verlieren und sie dann nur oberflächlich zu behandeln. Yoga ist für mich das Gegenteil von Oberflächlichkeit.
Ich orientiere mich nicht nur nach außen, sondern suche die Antworten in mir. Ähnliche Gedanken finden Sie übrigens auch im Christentum. Im Neuen Testament heißt es: "Sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch."
Dabei kann es helfen, den Fernseher ein paar Wochen auszulassen, den Computer oder das Smartphone eine Zeit lang nicht zu benutzen. Wenn ich mich darauf besinne, was für mich wichtig ist, entscheide ich mich vielleicht dafür, für ein paar Tage auf äußere Reize wie Fernsehen, Computer und Smartphone zu verzichten. Ich nehme mir bewusst die Zeit und den Raum, mich zu besinnen.
Aber dadurch, dass Sie auf der Matte ein paar Körperübungen machen, erlangen Sie nicht automatisch Selbsterkenntnis, oder?
Mathias Tietke: In den erwähnten Yogasutras ist das eine von acht Stufen. Diese versetzt mich in die Lage, eine geraume Zeit ohne Beschwerden stillzusitzen, gleichmäßig zu atmen, und die Sinne nach innen zu bringen.
Yoga an sich ist kein Selbstzweck. Ich übe Sonnengrüße nicht, um Sonnengrüße zu machen. Die Übungen helfen mir dabei, mich zu fokussieren. Dann kann ich meditieren und erkenne Dinge, die ich über das analytische Denken allein nicht erreiche.
Dann kann ich beispielsweise durchschauen, von wem ich permanent manipuliert und konditioniert werde und sagen: "Das brauche ich nicht! Ich finde meinen eigenen Weg und stehe dazu."
Das hat auch eine ethische Komponente, die man schon im Buddhismus findet. Dafür steht die Gewaltfreiheit zentral: keine Gewalt im Denken und Handeln. Durch Ethik, Körper- und Atemübungen werden schließlich tiefere meditative Zustände möglich.
Hitler von Ariosophen inspiriert
Behalten wir die Frage im Hinterkopf, wie sich Gewaltfreiheit mit dem Bild verträgt, die Pferde anzuschirren, um das nächste Dorf zu überfallen. Wie kamen Sie überhaupt darauf, die Rolle von Yoga im Nationalsozialismus zu untersuchen?
Mathias Tietke: Vor über 15 Jahren war ich auf einem Kongress des Bundesverbands Deutscher Yogalehrer in Frankfurt am Main. In einem Gespräch zwischen Vorstand und Indologen meinte einer der Wissenschaftler, man müsse sich einmal mit Yoga im Nationalsozialismus beschäftigen. Später diskutierten wir noch die verbreitete Meinung, die Herkunft des Yoga hänge mit den Ariern zusammen und mit dem Hakenkreuz.
Zuerst dachte ich: "Auf keinen Fall mache ich das!" Ich wollte mich nicht so intensiv und so lange, vielleicht für zwei Jahre, mit dem Nationalsozialismus befassen. Die Frage, ob das Hakenkreuz der Nazis irgendwie mit Yoga zusammenhängt, ließ mich dann aber nicht mehr los.
Ich fand schließlich heraus, dass dieses Zeichen in mindestens sechs verschiedenen Hochkulturen als Glückssymbol oder als Zeichen für die aufgehende oder untergehende Sonne verwendet wurde. Das lässt sich für einen Zeitraum von mindestens 6.000 Jahren zeigen.
Adolph Hitler hat sich nachweislich nicht auf das Hakenkreuz der Inder bezogen. Hier inspirierten ihn die Ariosophen und das Germanische. Er hielt es für ein starkes Symbol für seine Zwecke. Darüber schrieb ich einen Artikel und daraus entstand in mir die Frage, wo die Geschichte des Yoga in Deutschland anfängt.
Und was kam dabei heraus?
Mathias Tietke: Man kann das bis zu 200 Jahre in die Vergangenheit zurückverfolgen. Ein guter Freund Arthur Schopenhauers, der Philosoph Karl C. F. Krause, praktizierte Yoga und hat auch darüber geschrieben, was Schopenhauer wiederum reflektierte.
Im 20. Jahrhundert ist dann 1937 ein entscheidendes Jahr. Damals gründete der russische Immigrant Boris Sacharow in Berlin-Schöneberg die erste Yogaschule Deutschlands, die "Schule für indische Körperertüchtigung".
Das faszinierte mich, dass er das mitten in Berlin, also mitten in der Machtzentrale der Nazis ausüben konnte. Er hatte deutschlandweit sehr viele Schüler, denen er Lehrbriefe schickte. Heute würde man das "Fernunterricht" nennen. Das hat er bis zum Kriegsende durchgehalten.
Mit diesem Fund wendete ich mich an einen Buchverlag, den Verlag Ludwig in Kiel, und machte einen Vorschlag für ein größeres Werk. [Das erschien 2011 als "Yoga im Nationalsozialismus. Konzepte, Kontraste, Konsequenzen", Anm. d. A.] Da hatte zufälligerweise die Lektorin des Verlags gerade mit Yoga begonnen und ihre Mutter ist Historikerin.
Mit deren Auftrag zog ich in die Bundesarchive in Berlin und Koblenz, in die Staatsbibliothek und das Zeitschriftenarchiv.
Dort wurden Sie fündig?
Mathias Tietke: Ja. Ich habe insgesamt über 6.000 Seiten der Weißen Fahne, einer damaligen Lebensreformzeitschrift mit Auflagen zwischen 100.000 und 200.000, sowie den Völkischen Beobachter durchgearbeitet und wirklich sehr viel gefunden. Es war so viel Material, dass ich dazu noch ein zweites Buch schreiben konnte. [Das gerade erschienene Yogi Hitler. Der Einfluss von Yoga und indischer Philosophie auf die Ideologie des Nationalsozialismus, Anm. d. A.]
Es gäbe noch viel mehr. Allein in Koblenz sichtete ich elf laufende Archivmeter über Heinrich Himmler und den Indologieprofessor Jakob Wilhelm Hauer, der an der Universität Tübingen lehrte. Darüber könnte man ein wohl tausendseitiges Buch schreiben.
Für das zweite Buch interessierte mich vorwiegend Adolf Hitler, über den ich zehn Jahre vorher nichts gefunden hatte. Das liegt auch daran, dass Hitler seine Spuren verwischte. Eher zufällig stieß ich dann im "Völkischen Beobachter" auf einen Artikel über Albert Schweizer, in dem behauptet wird, Hitler hätte die Kraft für sein Werk aus der Lektüre der indischen Upanishaden [alte philosophischer Texte, Anm. d. A.] bezogen. Das war allerdings nur eine Quelle, die man schnell angezweifelt hätte.