Zehn Sekunden zwischen Heiratsantrag und Vergewaltigung

Seite 2: Sex und Landesverrat

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Schade, dass Captain Lochner, der moralisierende Polizist in In a Lonely Place, nie beim Radiomoderator Pence zu Gast war. Das hätte ein interessantes Gespräch ergeben. Verstöße gegen puritanische Moralvorstellungen werden von Polizisten wie ihm mit strafbaren Handlungen verknüpft, weil die Charaktere im Amerika des zu der Zeit noch namenlosen McCarthyismus leben, der das Sexuelle kriminalisierte, wenn es sich außerhalb der bürgerlichen Ehe von Mann und Frau abspielte. Seit Trumps Wahlsieg hat das auf eine fast unheimliche Weise wieder an Aktualität gewonnen.

Lochner legt sich instinktiv auf Dix Steele als Mörder fest, weil Steele für ihn die Verdorbenheit Hollywoods verkörpert und ohne Trauschein mit sittenlosen Frauen schläft. Ehebruch ist das nicht. Ob man es trotzdem verbieten sollte? Dann lässt Lochner Laurel Gray beschatten und erfährt, dass sie nun dauernd in Steeles Wohnung ist. Damit steht für ihn fest, dass sie gelogen hat, als sie Dix ein Alibi gab - nicht so sehr, weil verliebte Frauen das eben machen, sondern vielmehr, weil in Lochners Welt das eine kriminelle Verhalten (Sex vor der Ehe) zum anderen führt (Falschaussage bei der Polizei). Lochner ist sichtlich angewidert, als Laurel offen zugibt, dass sie ein Verhältnis mit Dix Steele hat.

In a Lonely Place

Mike Pence müsste das gut nachvollziehen können. Um der Sünde wirkungsvoll zu begegnen isst und trinkt er nur mit Frauen, wenn seine Gattin Karen mit dabei ist. Im Lichte dieser Information sieht man die erste Szene mit Laurel im Polizeirevier ganz anders. Ungeniert nimmt sie den Kaffeebecher in die Hand, aus dem einer der Männer im Raum zuvor getrunken hat. Andrew Solt, der von Nick Ray durch solche Regieeinfälle düpierte Drehbuchautor, lag völlig richtig. So etwas macht nur eine Schlampe. Bald danach teilt Laurel mit Dix das Bett.

In a Lonely Place

Falls Newt Gingrich doch noch Gehör mit seiner im Wahlkampf erhobenen Forderung findet, den Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten wiederzubeleben, sollte man sich das näher anschauen. Im Verstoß gegen die Moralvorschriften verbirgt sich der Landesverrat. Darum schnüffelten die McCarthyisten auf der Jagd nach Subversiven auch im Sexualleben der Verdächtigen herum. Gingrich kennt sich aus. Als er noch der Star des radikalen Flügels der Republikaner war versuchte er, Bill Clinton des Amtes zu entheben, weil der Präsident doch "sex with that woman" (Monica Lewinsky) gehabt hatte.

Pence, Dobson, DeVos, Gingrich - sie alle wollen nicht so sehr zurück ins 19. Jahrhundert oder gar ins Mittelalter (da gab es in Amerika nur Indianer), sondern in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Wohin Trump will ist unklar, außer ins Weiße Haus natürlich. Das ist ihm gelungen. 81 Prozent der weißen Fundamentalisten haben für ihn gestimmt. In einigen umkämpften Bundesstaaten könnte das wahlentscheidend gewesen sein, und damit womöglich für das ganze Land. Sollte Trump für eine zweite Amtszeit kandidieren werden ihn Pence und seine evangelikalen Weggefährten daran erinnern.

Generation Zero

Auch Stephen Bannon, jetzt Trumps Chefstratege, ist ein Freund der 1950er. Bannon hängt der Vorstellung von einem zyklischen Geschichtsverlauf an, die er von William Strauss und Neil Howe übernommen hat, den Autoren von The Fourth Turning: An American Prophecy. What the Cycles of History Tell Us About America's Next Rendezvous with Destiny. The Fourth Turning ist der letzte Teil einer Trilogie, mit der Howe und Strauss zeigen wollen, dass die US-amerikanische Geschichte (und nicht nur diese, irgendwie geht das zurück bis zu König Artus und Homer) in Zyklen von jeweils 80 bis 100 Jahren abläuft, die wiederum in vier Drehungen ("Turnings") unterteilt sind wie das Jahr in vier Jahreszeiten, oder so ähnlich jedenfalls.

Es geht los mit einem Hoch und endet mit einer Krise, begleitet von Kriegen wie dem Unabhängigkeitskrieg, dem Bürgerkrieg und dem Zweiten Weltkrieg. Nach dem Absturz im Winter (Fourth Turning) fängt alles von vorne an und es geht wieder aufwärts. Das letzte Frühlingshoch erlebten die Amerikaner in den zwei Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Demnach sind sie jetzt im Krisenwinter, oder der Frühling hat schon angefangen. Das Neue steht vor der Tür, oder es hat die Tür bereits eingetreten. Wie sich daraus ein Film machen lässt demonstriert Generation Zero (2010), erschaffen von Stephen Bannon.

Das Epos erklärt uns die Finanzkrise. Einer der Experten, die ihren Senf dazugeben dürfen wie Prediger bei einer Erweckungsveranstaltung, ist Newt Gingrich. Er weiß, dass Bürokraten versucht haben, die freie Marktwirtschaft zu regulieren, und das war schlecht. Einem echten Konservativen fällt da gleich Roosevelt mit seinen Sozialstaatsambitionen ein. Der New Deal, sagt eine Expertin, hat selektiv bestimmte Gruppen gefördert (offenbar die falschen) und die Gewerbetreibenden vergessen - wahrscheinlich, weil Roosevelt den Kommunismus einführen wollte, was dann von den McCarthyisten verhindert wurde.

Schuld an der Finanzkrise sind die Hippies. Das Unglück begann nach dem Krieg, als die Kinder zu gluckenhaft erzogen wurden und - siehe Flower Power etc. - nicht mehr lernten, was Zucht und Ordnung heißt. Die Logik der Beweisführung hat sich mir nicht erschlossen, aber es geht auch mehr darum, an rechte Verschwörungstheorien anzuknüpfen und Vorurteile zu aktivieren. Es hilft, wenn man schon vorher der Überzeugung war, dass die 1960er Jahre nur Unheil über die Welt gebracht haben, mit Frauenemanzipation, sexueller Revolution und Bürgerrechtsbewegung.

Generation Zero

Die '68er lebten einen hemmungslosen Hedonismus aus. So wurden etwa bei Happenings die nackten Brüste junger Frauen bemalt, obwohl die zum Stillen von amerikanischen Babys da sind (positives Gegenbild ist ein glücklicher Vater, dessen Gattin soeben Zwillinge geboren hat). Die protestantische Arbeitsethik wurde durch das Lustprinzip ersetzt. In der Finanzkrise, sagt ein Experte, haben wir im echten Leben eine Dramatisierung jener Ideen erfahren, die in den 1960ern populär wurden. Kein Wunder, dass es dann gierige Banker gab, denen der eigene Profit wichtiger war als die Folgen ihrer Gier für die amerikanische Familie.

Manchmal kommt man sich vor, als sei man bei der Amtseinführung von Donald Trump gelandet. Der neue Präsident überraschte mit einer Rede, in der er im Stile eines Höllenpredigers das apokalyptische Bild eines am Boden liegenden Landes an die Wand malte, das er zu neuer Größe führen werde. Bannons Film liefert dazu die Illustrationen. Hochhäuser stürzen ein, ein Hai verschlingt einen Klumpen Fleisch, Gemüse verschrumpelt, Fabriken rosten vor sich hin, und sogar im Zeitraffer in die Höhe wachsende Einfamilienhäuser bringen uns an den Rand des Abgrunds, weil Schwarze mit Immobilienkrediten versorgt wurden, obwohl sie sich ein Haus nicht leisten konnten.

Saul Alinsky ruiniert Amerika

Im "reinen Kapitalismus" wäre das nicht passiert. Wir leiden jetzt aber unter dem Vermächtnis von Saul Alinsky. Was ist das für einer? Saul Alinsky war ein Bürgerrechtler und ein Organisationsgenie. Er zeigte benachteiligten Gruppen, wie man sich zusammentut und so organisiert, dass man seine Interessen wirkungsvoller vertreten kann. In den 1950ern half Alinsky dabei, den Bewohnern der schwarzen Ghettos von Chicago eine Stimme zu geben, die auch gehört wurde. Das war so erfolgreich, dass es bald in anderen Städten nachgeahmt wurde.

Das Konzept des Community Organizing hatte großen Einfluss auf die Counter Culture der 1960er. Studenten lernten von Alinsky, wie man an der Universität eine Interessengruppe gründet und was man tun muss, um seine Ziele zu erreichen, statt frustriert in der Ecke zu sitzen und sich darüber zu ärgern, dass man mit schönen Worten abgespeist wurde und sich nichts ändert. Zu seinem Konzept gehörte es, den Ärger ins Establishment zu tragen und dieses zu Gegenreaktionen zu provozieren, die man dann für sich nutzen konnte. Das machte Alinsky zu einem Vordenker der Protestbewegung.

Die dazu passende, in Generation Zero wieder einmal durchgekaute Verschwörungstheorie geht so: Die junge Hillary Rodham (später Clinton) hat eine Abschlussarbeit über Saul Alinsky geschrieben und diesen zu ihrem Mentor erkoren. Auch Barack Obama ist einer seiner Anhänger (der junge Obama leitete in Chicago eine gemeinnützige, von Alinskys Ideen beeinflusste Organisation, die Kurse zur Verbesserung der Lese- und Schreibfähigkeit anbot, arbeitslos gewordene Fabrikarbeiter auf die Rückkehr in den Arbeitsmarkt vorbereitete und Trainingsprogramme zur Vermittlung von Führungskompetenzen veranstaltete).

Alinskys 1971 erschienenes Buch Rules for Radicals (Untertitel: Ein pragmatischer Leitfaden für realistische Radikale) wurde in den Händen von Hillary Clinton und Barack Obama zur Gebrauchsanweisung für das Ruinieren von Amerika. Gingrich wird nicht müde zu erzählen, dass die Clintons und Obama die freie Marktwirtschaft zerstören und in God’s Own Country einen "europäischen Sozialismus" einführen wollen. Ich bin dafür, dass die neue Bildungsministerin Generation Zero auf den Lehrplan setzt. Am besten, man zeigt Bannons Opus in einer Endlosschleife, nur unterbrochen durch das Schulgebet.

Generation Zero verfolgt eine Überwältigungsstrategie. Man wird mit Untergangsszenarien, Expertengerede und unheilschwangerer Musik geflutet, bis man nicht mehr kann. Der kleine (weiße) Mann und die (weiße) Mittelschicht müssen leiden, während sich langhaarige Randalierer und Bürgerrechtler mit der Polizei anlegen (arme Polizei), Flugzeuge abstürzen, dunkle Wolken übers Land ziehen und hedonistische Casino-Kapitalisten (die Produkte der antiautoritären Erziehung) die Roulettekugel rollen lassen. Doch das Positive gibt es auch.

Generation Zero

Die US-Flagge flattert im Wind. Man darf sich an Bildern von glücklichen Eltern und ihren glücklichen Kindern laben. Nach dem Winter kommt der Frühling, so die Botschaft, und mit ihm die Wiedergeburt der autoritären Familie der 1950er (Info für Nostalgiker: In den Fifties wurden Kinder nicht als Kinder betrachtet, sondern als kleine Erwachsene; entsprechend diszipliniert hatten sie sich zu verhalten). Mutti kümmert sich um die lieben Kleinen (viele kleine Erwachsene) und gibt Vati einen Kuss, wenn er zur Arbeit geht. Wir erfahren, dass die Frauen das so wollten.

Wer etwas anderes behauptet ist unamerikanisch und ein von Alinskys Ideen infizierter Radikaler. Die "Alinsky-Gruppe", erläutert einer von den Experten, stellte die USA als eine böse, ungerechte, sexistische und rassistische Gesellschaft dar, um einen Vorwand für die Vernichtung des politischen Gegners zu haben und die Macht an sich zu reißen. Es war aber ganz anders. Nach den Entbehrungen in den von der Weltwirtschaftskrise geprägten 1930ern und dem harten Leben im Zweiten Weltkrieg wünschte sich die amerikanische Frau nichts sehnlicher, als am Herd zu stehen und die Kinder zu versorgen.

Die amerikanische Frau war damals die weiße Mutter weißer Kinder in der Vorstadt, wo die Schwarzen höchstens den Müll abholten. Als die Welt noch in Ordnung war hielt die Frau das Haus sauber, während der Mann das Geld verdiente. Aus dem Zweiten Weltkrieg gingen zwei Visionen für die Zukunft hervor, sagt Gingrich. Die eine war erfolgreich und brachte die Amerikaner auf den Mond. Die andere, sagt der Film, führte nach Woodstock, wo hemmungslose junge Frauen im Sommer '69 den BH auszogen und sich mit ebenso hemmungslosen jungen Männern im Schlamm wälzten.

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