Zehn Sekunden zwischen Heiratsantrag und Vergewaltigung
Seite 5: Pornographie und Serienmord
Mit der Verteidigung der Kunst- und Meinungsfreiheit nehmen Pence und seine Gesinnungsgenossen es nicht so genau. Evangelikale und ultrakonservative Katholiken fordern seit Jahren, Filmszenen zu verbieten, in denen jemand auf die Polizei schießt und dergleichen. Wenn demnächst ein geisteskranker Mensch mit seinem Gewehr einen Polizisten umbringt werden sie wissen, was zu tun ist. Nicht der Waffenbesitzer ist das Problem, es sind die Medien durch das schlechte Vorbild, das da geboten wird. Dasselbe gilt für die Homosexualität, die sich ausbreitet, seit sich Schwule und Lesben in Film und Fernsehen tummeln und zur Nachahmung animieren dürfen.
Die interessante Frage ist, wann und wo die Verbote beginnen sollen. In den Netzwerken der religiösen Rechten wird in immer neuen Varianten die "Währet den Anfängen"-Geschichte aufgetischt, seit Dr. Dobson 1989, am Tag vor dessen Hinrichtung, Ted Bundy interviewte und das Video gegen eine Spende von 25 Dollar pro VHS-Kassette allgemein zugänglich machte. Bundy berichtet da, wie er zum Serienmörder wurde und hat eine Botschaft, die Dr. Dobson nur gefallen kann. Nicht in der gesunden amerikanischen Familie mit Vater, Mutter und vier Geschwistern ging es los, sondern im Lebensmittelladen um die Ecke.
Dort kam der 12-jährige, 1946 geborene Ted erstmals mit "softer Pornographie" in Berührung. Das müsste also 1958 gewesen sein. Was man da wohl für unzüchtige Bilder zu sehen kriegte, im Zeitungsstand des Lebensmittelhändlers? Egal. Derart angereizt stöberte der junge Ted im Müll der Nachbarn, wo er hin und wieder Bücher mit Gewaltpornographie fand. Er gewöhnte sich an diese Sachen, wurde süchtig nach ihnen und wollte schließlich selber tun, was er bisher nur gesehen oder gelesen hatte. Am Ende tötete er (mindestens) 28 junge Frauen und Mädchen.
Dr. Dobson zufolge erfuhr Ted Bundy durch die Gewaltpornographie eine Desensibilisierung, die vergleichbar ist mit dem, was Deutsche im Dritten Reich dazu brachte, im Auftrag der Nazis Kinder, Frauen und Juden umzubringen, obwohl die Täter keine Psychopathen waren. Das ist noch abenteuerlicher als die kausale Verbindung zwischen Pornographie und Serienmord, hat aber aus Demagogensicht den Vorteil, dass es wie gehabt (in der McCarthy-Ära) die Sexualität mit Verbrechen und totalitären Ideologien vermengt. Wenn es nicht der Faschismus ist, dann eben der Kommunismus.
Man kann von Dr. Baehr nicht erwarten, dass er ein Bewertungsportal für christlich wertvolle und nichtkommunistische Pornofilme eröffnet. Ausweislich der von den Gläubigen gefahrenen Kampagnen ist es auch nicht so sehr die Pornoindustrie, die sich Sorgen machen muss. Das ergibt sich schon aus Dr. Dobsons Gefahrenanalyse. Wenn nämlich die Gewaltpornographie (oder das, was sich Dobsons Hörer darunter vorstellen) die Pforte zum Serienmord ist, erfordert es dann nicht die Verantwortung des Christenmenschen, dort anzusetzen, wo alles anfing, beim Zeitungsstand im Lebensmittelladen des Jahres 1958?
Ohne die nackten Frauen im Playboy, so die Logik (das erste Heft erschien 1953, mit Marilyn Monroe zum Aufklappen), hätte Bundy nicht den Müll der Nachbarn durchwühlt (ob die Besitzer der dort gefundenen Bücher auch Serienkiller waren?), er wäre nicht pornographiesüchtig geworden und hätte niemanden umgebracht, denn ein Verrückter war er nicht, mehr ein Verführter. Wenn man das weiterdenkt sind früher oder später die hüpfenden Brüste von Ginger Rogers Eleanor Powell und Rita Hayworth dran, und von der DVD mit In a Lonely Place muss die nackte Schulter von Gloria Grahame verschwinden, die unschuldige Amerikaner schon 1950 in einen unsittlichen Erregungszustand versetzte.
Ehering als Brandzeichen
In a Lonely Place beginnt als die Geschichte des Drehbuchautors Dixon Steele, um dann nach und nach Laurel Gray und ihr Dilemma in den Mittelpunkt zu rücken. Es ist das Dilemma einer Frau, die selbst über ihren Körper und ihr Leben bestimmen will (ohne die von Dr. Dobson propagierte Führerschaft des Mannes), dabei aber an einer Gesellschaft scheitert, in der die Männer gar nicht daran denken, ihr dieses Recht einzuräumen. Der Immobilien-Baker baut ihr als Statussymbol einen Swimmingpool, und Dix kündigt den Kauf eines Hauses an, um das sie nicht gebeten hat, weil man nach der Hochzeit mehr Platz brauche als bisher.
Gemeint sind die Kinder, die Laurel ihm als Mrs. Dixon Steele gebären soll. Kinder waren fester Bestandteil eines von den rechten Ideologen unserer Tage für zeit- und alternativlos erklärten American Dream, der nach dem Zweiten Weltkrieg erfunden wurde, um die Frau zurück an den Herd zu bringen und raus aus dem Berufsleben (mit eigenem Einkommen), wo der amerikanische Mann nun wieder seinen angestammten Platz beanspruchte. Traditionelle Frauenberufe blieben davon unberührt. Die Kriegsveteranen wollten nicht auf Friseuse umschulen, sondern zurück in die Fabrik oder in das Büro mit Sekretärin.
Ray integriert das in den Film, indem er nach der ersten Liebesnacht eine Schreibmaschine als häufig gezeigtes Requisit in Laurels Wohnung stellt. Für die Schreibarbeiten wird sie nicht bezahlt (Geld bedeutet Unabhängigkeit), sie erhält von Dix ausgesuchte Geschenke. Laurel tippt aus Liebe für ihn die Manuskriptseiten ab, stellt jedoch bald fest, dass damit ein Muster für ihre Beziehung etabliert wird. Nachdem er ihr das Ja zu seinem Heiratsantrag abgepresst hat schenkt er ihr einen Ring, den sie bis ans Ende ihres Lebens tragen soll. Der Film präsentiert uns das als eine Drohung, nicht als romantischen Gedanken. Man fragt sich, ob dieser Ring mehr Liebesgabe ist oder doch eher ein Zeichen, wem die Trägerin gehört.
Dix gerät vor Wut fast außer sich, als er bemerkt, dass Laurel den Ring abgezogen hat. Seine Hände zittern, und der Kameramann Burnett Guffey betont durch die Ausleuchtung noch einmal Bogarts Augenpartie wie in der Szene, in der Dix sich vorstellt, wie der Mörder Mildred Atkinson getötet hat (und Brub beinahe seine Gattin erwürgen würde). Mit fortschreitender Handlung übersetzt Ray die strukturelle Gewalt, deren Opfer Laurel wird (als Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft), zunehmend in eine körperliche. So wird sichtbar, was sonst verborgen bleibt, weil es in den Strukturen steckt und als normal gilt.
Ich lebte ein paar Wochen
Die private Liebesgeschichte von Dix und Laurel, die eine des Erstickens ist und uns mit Hilfe von zwei Wohnungen und einem Innenhof erzählt wird, ist durch das Telefon mit der Außenwelt verbunden. Am anderen Ende sitzt die Polizei (und zwischendurch auch Martha, die bei der Ideologiemassage dazu rät, den Immobilientycoon zu heiraten und nicht den Drehbuchautor, weil er Grundstücke besitzt und mehr Geld). Dix hat völlig die Kontrolle über sich verloren, ist in einer Mischung aus rasender Eifersucht und Verlustangst in Laurels Schlafzimmer eingedrungen und gerade dabei, Laurel zu erwürgen, als es wieder einmal klingelt.
Dix erwacht aus der mörderischen Trance, verlässt das Schlafzimmer und geht an den Apparat. Brub ruft an, um zu sagen, dass der wahre Täter, der das in Lochners Augen gar nicht sein konnte, weil er ein braves gutbürgerliches Leben führte und vor dem Einschlafen ein Stück Kuchen von der Mutter aß, überraschend beschlossen hat, sich zu erschießen. Gründe unbekannt. Als schlechter Schütze hat er die Lunge getroffen und nicht das Herz. Deshalb konnte er ein Geständnis ablegen. Das ist voll bitterer Ironie.
Die Polizei, die Dix mit ihren unsauber geführten Ermittlungen an den Rand des Wahnsinns (und darüber hinaus) getrieben hat, verhindert jetzt, dass er zum Mörder wird. Andernfalls hätte der Chef der Mordkommission ihn selbst dazu gemacht. Im Drehbuch ist das noch so. Dix entdeckt, dass Laurel vor ihm weglaufen und nach New York fliegen will, weil sie Angst hat, dass er ein verrückter Mörder ist wie von Lochner behauptet. Er erwürgt sie. Brub kommt, um ihn festzunehmen. Dix sitzt an der Schreibmaschine und schließt sein Manuskript mit dem Vierzeiler ab, von dem er bisher nicht wusste, wo er ihn unterbringen sollte: "I was born when she kissed me/I died when she left me/I lived a few weeks/While she loved me."
Ray hatte das bereits gedreht, als er zu der Überzeugung kam, dass der Film so nicht enden durfte. Romanzen, fand er, müssen nicht mit Mord und Totschlag aufhören. Sie enden so, wie er es gerade selbst erlebt hatte, in seiner Ehe mit Gloria Grahame. Also improvisierte er einen neuen Schluss. Es ist ein Schluss geworden, der sich aus der Logik des Films ergibt und nicht aus der Logik einer Kriminalgeschichte, die In a Lonely Place trotz Polizei und einer aus dem Auto geworfenen Frauenleiche nie sein will. Strukturelle Gewalt wird als physische Gewalt ausagiert, und am Schluss stirbt nicht die Frau sondern die Liebe, die in der dargestellten Welt nicht überleben konnte.
Dix wirkt völlig leer (wie nach einem Orgasmus, über der Szene liegt eine düstere Vergewaltigungsmetaphorik), wenn er ans Telefon geht. Brub teilt ihm mit, dass seine Unschuld erwiesen ist und Lochner sich entschuldigen möchte. "Ein Mann will sich bei dir entschuldigen", sagt Dix zu Laurel. Sie spürt noch Dix’ Hand an ihrem Hals, als sie den Hörer nimmt. "Ich wollte Ihnen nur sagen, wie leid es mir tut, dass ich Sie dieser Tortur unterziehen musste. Der Verdacht gegen Mr. Steele ist komplett ausgeräumt", sagt Lochner. Das ist der Hohn. Lochner musste niemanden einer Tortur unterziehen. Er musste nur korrekt ermitteln, statt seinen Vorurteilen nachzugeben, Laurel als Zeugin zu beeinflussen, Psychoterror auszuüben und Dix durch einen Freund ausspionieren zu lassen.
"Gestern hätte das so viel für uns bedeutet", sagt Laurel in den Hörer und schaut hinüber zu Dix, der an der Wohnungstür steht. "Jetzt spielt es keine Rolle mehr. Es spielt gar keine Rolle mehr." Dix verlässt die Wohnung, geht die Treppe hinunter und über den Hof. Laurel blickt ihm mit Tränen in den Augen hinterher und spricht den Dialog aus dem Drehbuch, ohne die vier Zeilen zu Ende zu bringen, weil die Poesie der Filmkunst im echten Leben angekommen und daran zerschellt ist: "Ich lebte ein paar Wochen/während du mich liebtest … Good-bye, Dix." Die Leinwand verdunkelt sich zur letzten Abblende, während Dix durch einen Torbogen verschwindet.
"Das Publikum", sagt Ray im Dokumentarfilm I’m a Stranger Here Myself, "soll sich selber überlegen, was mit Bogey als nächstes passieren wird, wenn er den Apartmentkomplex verlassen hat." Wird er zum Säufer werden, einen Oscar kriegen, sich umbringen, doch noch eine Frau ermorden oder zum Therapeuten gehen? Man weiß es nicht. Nur ein gemeinsames Leben mit Laurel, das steht fest, wird es für ihn nicht mehr geben. Ein so trauriges Ende wie dieses gab es selten. Es zerreißt einem das Herz, wenn man das sieht.
Wenn das Publikum schon am Überlegen ist kann es gleich noch darüber nachdenken, woran die Liebe gestorben ist und ob wir das wiederhaben wollen. Soll das Gestern zum Morgen werden? Entsprechende Angebote gibt es, nicht nur im Amerika von Mike Pence und Donald Trump. Nicholas Ray ist ein gutes Gegenmittel. Wenige Regisseure nähern sich der Fragilität ihrer Charaktere so unerschrocken wie er. Manchmal ist das schwer auszuhalten. Erträglich wird es dadurch, dass Ray, einer der großen Romantiker Hollywoods, die Hoffnung nie aufgegeben hat, dass das mit der Liebe doch klappen könnte.
In a Lonely Place wirbt für mehr Toleranz, für mehr Respekt gegenüber anderen Leuten und ihren Lebensentwürfen, indem er zeigt, was die Alternative ist. Ein grandioser Film. Bitte mehr davon. Let’s Make Hollywood Great Again!
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