Zehn Sekunden zwischen Heiratsantrag und Vergewaltigung
- Zehn Sekunden zwischen Heiratsantrag und Vergewaltigung
- Sex und Landesverrat
- Heiratsantrag mit Staubsauger
- Ruinierte Existenzen
- Pornographie und Serienmord
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An einem einsamen Ort, Teil 4
Teil 1: An einem einsamen Ort: Der American Dream zwischen Humphrey Bogart und Donald Trump
Teil 2: Freies Unternehmertum, zwei Frauenleichen und ein Blumenträger
Teil 3: Unsittliche Verhältnisse, schwarze Nachbarn in der Pianobar und der lange Weg ins Schlafzimmer
Auf der letzten Station unserer Reise durch die amerikanische Kultur- und Seelenlandschaft treffen wir die neue Bildungsministerin, den Chefideologen von Donald Trump und den Mann, der für Barack Obama und Hillary Clinton den Leitfaden zum Ruinieren der Vereinigten Staaten von Amerika schrieb. Wir erfahren, dass die Brüste tanzender Frauen gefährlich sind und Pornographie zum Serienmord animiert. Nicholas Ray zeigt, wie man mit zwei Wohnungen und einem Innenhof eine Beziehungsgeschichte erzählt. Dixon Steele macht Laurel Gray einen Heiratsantrag. Laurel erkennt, dass sie mit Dix nicht leben kann.
Gutscheine für den Fundamentalismus
Das eigentliche Drama auf der politischen Bühne der USA spielt sich nicht in irgendwelchen Tweets ab. Diejenigen, die darauf hoffen, dass Trump über dubiose Russlandkontakte stolpern wird wie einst Richard Nixon über den Einbruch im Watergate-Komplex, oder dass ihm das Regieren zu mühsam wird und er deshalb zurücktritt, könnten noch feststellen, dass The Donald das kleinere Übel und die Republikanische Partei das eigentliche Problem ist. Mike Pence wird dann Präsident sein. Seine bisher vielleicht folgenreichste Tat vollbrachte er, als sich im Senat keine Mehrheit für Betsy deVos fand, weil sogar zwei Republikanerinnen gegen sie stimmten, nachdem sie bei der Anhörung durch eine beeindruckende Ahnungslosigkeit geglänzt hatte.
Mit seiner Stimme als Senatspräsident durchbrach Mike Pence das Patt zugunsten der "Milliardärin und Philantropin", wie die Dame immer genannt wird. Es wäre unfair, Pence zu unterstellen, dass er die aus einem christlich-fundamentalistischen Milieu stammende Betsy deVos nur deshalb ins Amt der Bildungsministerin hievte, weil ihn deren Familie mit Spenden in Millionenhöhe unterstützt hatte, als er noch Gouverneur von Indiana war. Die beiden liegen ideologisch auf einer Linie. Ein beträchtlicher Teil der Spenden floss in ein Gutscheinprogramm, das eine wichtige Säule von Pences Regierungshandeln in Indiana war. Betsy deVos ist eine marktradikale Evangelikale, die seit Jahren daran arbeitet, das amerikanische Schulsystem zu privatisieren. Das funktioniert durch Gutscheinprogramme und Charter-Schulen, die ursprünglich die Antwort darauf sein sollten, dass die öffentlichen Bildungseinrichtungen marode sind. Charter-Schulen werden mit Steuergeld finanziert und von privaten Unternehmern betrieben, wodurch - so die Idee - alles besser und effizienter wird. Das gefällt besonders den Republikanern, die den Staat so weit wie irgend möglich zurückdrängen wollen. Das Resultat ist zumindest umstritten.
Manche Charter-Schulen sind bei den Eltern so gefragt, dass die Plätze durch Losentscheid vergeben werden müssen. Andere ködern Schüler mit Geschenken wie einem Smartphone oder einem Fahrrad. Befürworter wie Gegner finden Argumente für ihre Position, weil die schulischen Leistungen hier besser und dort schlechter sind als vorher. In manchen Bundesstaaten sind die Charter-Schulen Non-Profit-Organisationen. In anderen wie in Michigan, DeVos’ Heimatstaat und Experimentierfeld, sind sie gewinnorientiert. Eine staatliche Aufsicht ist unamerikanisch und also Teufelszeug.
Das Prinzip ist einfach: Je mehr Schüler angemeldet sind und je weniger sie den Betreiber kosten, umso höher der Gewinn. Der Betrag, den der Staat pro Schüler bezahlt, wird vom Budget der öffentlichen Schulen abgezogen. Ein Allheilmittel ist der Kampf um Marktanteile erkennbar nicht. In landesweiten Rankings fallen die Schüler aus Michigan immer weiter zurück, seit die Charter-Schulen in großem Stil eingeführt wurden. Die Verfechter des neuen Systems ficht das nicht an. Sie streiten entweder ab, dass die Zahl der Analphabeten ständig zunimmt oder begreifen das als eine notwendige Durchgangsstation auf dem Weg zur Besserung.
Ausweislich ihrer bisherigen Aktivitäten als Großspenderin und der dadurch möglich gewordenen Einflussnahme auf politische Entscheidungen ist davon auszugehen, dass Betsy deVos ihr Amt als Ministerin nutzen wird, um das staatliche Schulsystem weiter zu schwächen. Sie wird wohl versuchen, das von Mike Pence in Indiana und bisher auch in einem Dutzend weiterer Bundesstaaten eingeführte Gutscheinprogramm auf die gesamten USA auszudehnen. Eltern erhalten vom Staat einen Gutschein für ihr Kind und entscheiden selbst, bei welcher Schule sie ihn einlösen.
Das ist ein eleganter Weg, die Wahlfreiheit und die freie Marktwirtschaft mit der Religionsfreiheit zu kombinieren, oder mit dem, was die Fundamentalisten darunter verstehen. Nicht alle, aber viele Evangelikale haben sich in der etwas wehleidigen Überzeugung eingerichtet, dass ihre in der Verfassung verbrieften Grundrechte eingeschränkt werden, wenn die Abtreibung erlaubt ist, Lesben heiraten dürfen, Transsexuelle die freie Toilettenwahl haben oder ein Restaurantbesitzer wegen Diskriminierung belangt werden kann, wenn er sich weigert, schwule Gäste zu bedienen (und wahrscheinlich auch, wenn ein Schwarzer Präsident ist, der ein in Kenia geborener Muslim sein soll).
Andererseits haben sie ein Problem damit, dass die Verfassung eine Trennung von Religion und Staat verlangt. Die Finanzierung religiöser Bildungseinrichtungen aus Steuermitteln verstößt gegen das Gesetz. Mit den Gutscheinen lässt sich das unterlaufen. Eltern können sie einlösen, wo sie wollen. Damit ist noch längst keine - durch den ersten Zusatzartikel zur Verfassung verbotene - Staatsreligion etabliert, wie Dr. James Dobson sie wohl gern hätte. Aber das allmähliche Aufweichen der Trennung von Kirche und Staat ist ein Schritt auf dem Weg dorthin. Man muss weiter denken als bis zum nächsten Tweet von Donald Trump.
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Familienplanung
Um einen Bibelspruch abzuwandeln: An ihrer Politik sollt ihr sie erkennen! Das Gutscheinprogramm, das für die neue Bildungsministerin ebenso ein Herzensprojekt ist wie für den Vizepräsidenten, dem sie ihr Amt verdankt, weckt üble Vorahnungen. Die Produzenten, die sich dafür entschieden, aus Margaret Atwoods A Handmaid’s Tale eine TV-Serie zu machen, hatten ein gutes Gespür. Der Report der Magd ist eine Antiutopie und erzählt von einer puritanischen Theokratie, die auf dem Staatsgebiet der USA entstanden ist.
Das Buch erschien 1985. "Leute wie Mike Pence waren schon damals gegen die Rechte der Frauen oder der Minderheiten und für einen starken Polizeistaat", sagt Margaret Atwood in einem Interview mit der Zeit (6.4.2017). Damals, also 1985, bereitete sich der vom Katholiken zum wiedergeborenen Christen gewandelte Pence auf eine politische Karriere vor, die zunächst nicht recht in Gang kommen wollte. Nach zwei gescheiterten Kandidaturen für einen Sitz im Repräsentantenhaus wurde er Moderator einer patriotischen Radio-Talkshow, in der er forderte, Ehebruch unter Strafe zu stellen, ehe er 2001 doch noch in den Kongress einzog.
Im Wahlkampf hatte er vorgeschlagen, das Geld für die Behandlung von Aidskranken zu streichen und stattdessen - im Geiste der christlichen Nächstenliebe - in Therapien zu stecken, mit denen Schwule von der "Krankheit" der Homosexualität geheilt werden sollen. Als Abgeordneter stimmte er gegen eine Erhöhung des Mindestlohns und gegen Mietzuschüsse für Arme. Steuergeld für Arme, auch für eine bezahlbare Krankenversicherung, ist Verrat am freien Unternehmertum und außerdem schlecht für die Alimentierten, weil es zur Faulheit verführt. Der Gott der Fundamentalisten ist ein Marktradikaler.
Pence brachte Gesetzesinitiativen zum Verbot von "Homo-Ehe" und Abtreibung ein und startete einen Feldzug gegen Planned Parenthood, eine gemeinnützige Organisation, die in den USA die meisten Abtreibungen vornimmt, was aber nur einen Teil des Angebots ausmacht. Planned Parenthood (zu deutsch: Familienplanung) betreibt mehr als 600 Kliniken, in denen Frauen, die sich das sonst oft nicht leisten könnten, Verhütungsmittel erhalten, sich beraten lassen können, Untersuchungen auf HIV oder zur Gesundheitsvorsorge angeboten bekommen. Für die Patientinnen ist das viel billiger als in anderen Bereichen des Gesundheitssektors, weil knapp die Hälfte des Budgets von Planned Parenthood aus der Staatskasse kommt.
Pence versucht seit Jahren, Planned Parenthood und anderen Kliniken, die Abtreibungen anbieten, die staatliche Förderung zu entziehen. 2011 scheiterte er mit einem entsprechenden Gesetz, weil es von einem Bundesrichter gestoppt wurde. Auch vielen seiner Parteifreunde war Pence damals zu radikal. Nichts aus seiner Regierungszeit als Gouverneur von Indiana weist darauf hin, dass er seiner Positionen abgeschwächt hat. Es fällt nur nicht mehr so auf, wie radikal er ist, weil die Republikanische Partei insgesamt so weit nach rechts gerückt ist.
Donald Trump, früher ein Abtreibungsbefürworter, hat versprochen, das Werk seines Vizepräsidenten zu vollenden und Planned Parenthood die Steuergelder zu streichen, weil er verstanden hat, wie wichtig die evangelikalen Wähler für ihn sind. Den Fundamentalisten wird das nicht genügen. Wenn man sich mit ihren gesellschaftspolitischen Positionen vertraut macht dämmert es einem, dass der Kampf gegen die Abtreibung nur Teil eines größeren Projekts ist. Der Sex soll zurück in die Ehe, wo er in der göttlichen Ordnung hingehört, die Frau zurück in den Haushalt. Ob Gott Pence das persönlich gesagt hat wie einst Dr. James Dobson weiß ich nicht.
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