Zeit für einen Kleinen Braunen

Der "Fremdenverkehr" in Österreich kennt viele Facetten

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Ah, der Mai, Fliederzeit, Wien öffnet die Tore für den Fremdenverkehr. Kommen Sie, alle freuen sich auf Ihren Besuch. Das Hundertwasserhaus steht bereit, die Fiaker warten, die Habsburgerfassaden strahlen. Und die Polizei schwingt schon die Knüppel.

Aber keine Sorge. Das gilt doch nicht IHNEN. Sie sind ja ein Mexikaner. Wie meinen Sie? Sie sind aus Deutschland? Aber natürlich, so doch heißen die Deutschen. Weil: es "meg sie kaner", verstehen Sie? Gut der Witz, nicht wahr? Aber Ihre D-Mark ist natürlich willkommen. Also machen Sie sich's gemütlich.

Lassen Sie sich Zeit. Zeit für einen kleinen Braunen. Ach, Sie wissen gar nicht was das ist? So nennt man hier einen Kaffee. Den typischen Wiener Kaffee, den man nachher mit einem Glas Wasser hinunterspült. Es gibt auch einen großen Braunen. Das ist auch ein Kaffee. Ein großer Brauner kann in Wien gar nichts anderes sein als ein Kaffee. Es sei denn, Sie sind selber ein großer Brauner.

Das müssen Sie natürlich lernen zu unterscheiden. "Den" großen und "die" kleinen Braunen, die gibt es heute ja nicht mehr. Die sind heute alle - BLAU. Sie heißen auch nicht mehr Nazis, wie früher. Sie haben sich die Freiheit genommen, sich einen neuen Namen zu geben. Oder genauer gesagt, sie haben sich die "Freiheitlichkeit" genommen, sich einen neuen Namen zu NEHMEN. Deswegen heißen sie heute "die Freiheitlichen".

Ausgenommen, sie arbeiten bei der Polizei, was ja viele Blaue tun, dann heißen sie "die Polizei". Dann sind sie nur innerlich blau. Wenn SIE aber ein großer Brauner sind, oder auch nur ein kleiner Brauner, wenn Sie äußerlich braun, also auf der HAUT braun sind - dann nennt man Sie in Wien nicht mehr einen Kaffee, sondern einen Neger. Dann ist es vorbei mit der Gemütlichkeit, mit dem Hundertwasserhaus, und dem Flieder. Dann beginnt der österreichische Fremdenverkehr.

Und das geht so:

Sie sind ein Diplomat aus dem Sudan - Sie werden im Rahmen einer Identitätsüberprüfung im Stadtzentrum von Wien ins Kommissariat gebracht. Dort werden Sie von Beamten mit Fäusten ins Gesicht geschlagen und an Ihrer Krawatte in einen Raum gezerrt. Sie müssen sich entkleiden. Man verweigert Ihnen einen Anruf an die Botschaft des Sudans. Als Sie das Kommissariat verlassen wollen, um ein öffentliches Telefon zu finden, werden Sie von mehreren Beamten zurückgeschleppt und dabei an Rücken und Armen mehrmals geschlagen. Die ärztliche Untersuchung ergibt Blutergüsse an der rechten Schulter sowie Blutergüsse und einen "Cut" an der Unterlippe.

Oder so:

Sie und Ihr Mann sind gar nicht aus Afrika. Sie sind beide Roma und leben schon lange in Wien. Sie werden beide in Ihrer Wohnung durch Polizeibeamte geschlagen, die gekommen sind, um Ihren Mann zu verhaften. Die Beamten beginnen, auch SIE zu schlagen, als Sie fragen, was Ihr Mann denn getan hätte? Sie beide werden rassistisch beschimpft und gefragt, wann Sie denn "endlich" nach Hause fahren würden. Dabei leben Sie als Ehepaar bereits seit 16 Jahren in Österreich. Die ärztliche Untersuchung ergibt bei Ihnen Blutergüsse an beiden Ellenbogen, dem linken Handgelenk, der rechten Hand, dem rechten Schenkel, der linken Fessel, sowie Schwellungen an Kopf, Oberkiefer und Oberlippe. Sie werden schließlich wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt angezeigt.

Oder so:

Sie sind österreichischer Staatsbürger afrikanischer Herkunft und werden im Wiener AKH (Allgemeines Krankenhaus) wegen Knochentuberkulose stationär behandelt. Sie verlassen das Spital für ein paar Stunden, um dringende Einkäufe zu erledigen und fahren mit der U-Bahnlinie 6. Sie begegnen einer Polizei-Kontrolle. Die Beamten vermuten in Ihnen einen Drogendealer. Die AKH-Papiere lassen die Polizei kalt. SIE protestieren und werden im Gegenzug beschimpft, geschlagen, und schließlich verhaftet. Es werden Ihnen Handfesseln angelegt; Sie werden wegen Erregung ungebührlichen Lärms angezeigt; dass Sie schreien, weil Ihnen die Handfesseln sehr starke Schmerzen wegen Ihrer schweren Knochenerkrankung bereiteten, interessiert dabei niemanden.

Oder so:

Sie sind österreichischer Staatsbürger und "Professor" an einem Wiener Gymnasium. Sie werden auf einer Fahrt zum Westbahnhof von sieben Beamten der Spezialtruppe "Cobra" angehalten. Sie zeigen den Herren Ihren österreichischen Pass; die verlangen aber nach Ihrem alten Pass. Sie haben ihn (selbstverständlich) längst nicht mehr und möchten die Dienstnummern der Cobra-Leute wissen. Daraufhin werden Sie rassistisch beschimpft und beleidigt, Sie werden verhaftet und zur Polizeistation zwecks Überprüfung Ihrer Daten geführt. Ein Beamter sagt zu Ihnen, Sie sollen "kuschen", denn er könne mit Ihnen "ohnehin alles machen, was ich will". Sie werden wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt angezeigt.

Oder so:

Sie sind ein Fahrradbote, bulgarischer Staatsbürger, Psychologiestudent. Sie fahren bei Rot über die Kreuzung und werden mit einer Geldstrafe von umgerechnet 75 Mark belegt. Da Sie lediglich Ihren Studentenausweis bei sich haben, werden Sie festgenommen und aufs Kommissariat gebracht. Man beanstandet die mangelnde Funktion Ihrer Fahrradglocke, Sie werden beschimpft, beleidigt und bekommen einen Tritt gegen das Schienbein. Beim Verlassen des Kommissariats stellen Sie fest, dass der Reifen Ihres Rads aufgeschlitzt wurde. Sie kehren zurück, möchten Anzeige erstatten, doch die Anzeige wird nicht entgegengenommen. Sie bestehen darauf und werden schließlich in eine Zelle eingesperrt. Sie müssen sich völlig entkleiden, der Beamte möchte Ihnen auch Brille und Ohrring abnehmen. Sie weigern sich; es kommt zu einem Handgemenge; man legt Ihnen Handfesseln an und sperrt Sie für mehrere Stunden in die Gummizelle ein.

Oder so:

Sie sind Taxifahrer und ägyptischer Staatsbürger. Sie "schneiden" mit Ihrem Wagen einen Polizisten, der gerade eine private Fahrt unternimmt. Der Beamte stellt Sie, schlägt Ihnen mit den Fäusten ins Gesicht und beschimpft Sie. Sie glauben dem Mann nicht, dass er Polizist ist und wehren sich. Daraufhin setzt Ihnen der Beamte vor Zeugen eine Glock-Pistole an den Kopf mit den Worten "Wenn Du das noch einmal machst, brenn' ich Dir eine auf, Du Sautschusch!" Anschließend zeigt er Sie wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt an.

Oder so:

Sie sind österreichischer Staatsbürger afrikanischer Herkunft und Arzt. Sie werden nach einem Verkehrsvergehen von mehreren Polizisten beschimpft und derart geschlagen, dass Sie neun Tage im Krankenhaus behandelt werden müssen. Die Ärzte stellen Gehirnerschütterung, Genitalprellungen und manches andere fest. Die Beamten begründen den Übergriff damit, dass Sie sich gewehrt, gebissen und gespuckt hätten. Die Beamten versehen weiterhin ihren Dienst.

Oder so:

Sie sind "Schwarzafrikaner". Sie werden von Beamten der Wiener Polizei angehalten und in einen Raum der Wiener Linien in der U-Bahnstation Schottentor gebracht. Dort, so behaupten die Beamten, leisten Sie massiven Widerstand, und verletzen dabei sich selbst und die Beamten. Fünf Zeugen der Amtshandlung geben unabhängig voneinander an, Sie seien von den Beamten beschimpft und misshandelt werden. Ein großer, stämmige Polizist, auf Ihnen kniend, hätte Sie angeschrien: "Du dreckige Negersau, di mach i fertig." Währendessen hätte ein kleinerer Kollege mit dem Gummiknüppel auf Ihr Gesicht und Ihren Kopf eingedroschen, Sie mit den Schuhen getreten und sei Ihnen schließlich ins Gesicht gestiegen. Alle fünf Zeugen werden wegen Verleumdung angeklagt.

Oder so:

Auch Sie sind "Schwarzafrikaner" und werden deshalb festgenommen. Im Zuge der Festnahme kommen Sie "unter ungeklärten Umständen" zu Tode. Die Beamten der niederösterreichischen Kriminalabteilung geben an, Sie hätten bei der Festnahme massiven Widerstand geleistet. Zeugen der Amtshandlung geben an, Sie hätten am Boden gelegen und seien von mehreren Beamten misshandelt worden. Gegen die Beamten der Polizei werden keine Erhebungen durchgeführt.

Oder so:

Sie sind ebenfalls "Schwarzafrikaner". Sie sind 25 Jahre alt und stammen aus Nigeria. Sie heißen Marcus Omofuma. Sie suchen in Österreich um politisches Asyl an. Sie werden als angeblicher "Drogendealer" verhaftet, und sollen als "Schubhäftling" mit dem Flugzeug nach Sofia abgeschoben werden. Von dort soll Sie ein weiteres Flugzeug nach Lagos bringen. Sie wehren sich, und werden von drei Beamten im Flugzeug mit Klebestreifen an Ihren Sitz fest gebunden. Man klebt Ihnen den Mund zu, und anscheinend sogar die Nase. Als Sie Sofia erreichen, sind Sie tot. Eine Obduktion in Bulgarien stellt fest: "Spuren eines Klebebandes in den Nasenlöchern lassen darauf schließen, dass eine normale Atmung nicht möglich war." In Österreich wird Ihr Tod auf eine vorher nicht bekannte Herzschwäche geschoben. Bei neun vorausgegangenen Schubhäftlingen, die ebenso behandelt wurden, gab es keinen Todesfall, meint die Polizei. Die Beamten sind nach einem längeren Urlaub heute wieder im Dienst.

Was war also das Verbrechen dieser Menschen? Nichts weiter. Sie alle hatten die falsche Hautfarbe. Sie alle waren ein wenig ZU braun. Im Vergleich zu den "weißen" Österreichern. In Südafrika nannte man eine solche Politik "Apartheid". In Österreich hat man für Rassismus noch kein eigenes Wort.

Unterdessen aber wird Marcus Omofuma auch heute noch, zwei Jahre nach seinem Tod, von Österreichs Großem Blauen als "Drogendealer" bezeichnet. Ein österreichisches Gericht hat ihm das kürzlich untersagt. Omofumas kleine Tochter, die in Deutschland lebt, und ihre Mutter, haben ihn geklagt. Sie haben, für einen kurzen Moment, RECHT bekommen. Es ist ein kleiner Triumph. Zeit für einen kleinen Kaffee mit Zucker und Sahne.

Doch diese endlosen Beispiele, wahllos aus den Jahren 1997, 1998 und 1999 herausgegriffen, sind nur einige, wenige, von Aberdutzenden immergleichen Fällen. Pikanterie am Rande: damals herrschte in Österreich noch eine tadellos demokratische, von einem SPÖ-Kanzler geführte Regierung. Heute sind die kleinen und größeren "Blauen" alle selber in der Regierung.

Wenn SIE also als Tourist in diesem Sommer nach Österreich kommen, denken Sie daran. Nehmen Sie immer Ihren Pass mit. Und schonen Sie Ihre Haut. Bleiben Sie im Schatten, setzen Sie sich nicht zu sehr der Sonne aus. Für braune Menschen ist kein Platz in Österreich.