Zeitbombe unter Tage

Seite 3: Ostentative Sorglosigkeit aller Beteiligten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach einem "Expertengespräch", das am 25.10. 2013 unter Beteiligung der Aufsichtsbehörde der Untertagedeponie, der Landesbergdirektion/Regierungspräsidium Freiburg, dem Bundesamt für Umwelt (Schweiz) und den "unabhängigen Gutachtern" stattfand, fasste die SWS AG in einer "Information" vom 28.10.2013 abschließend zusammen: "Alle Beteiligten" seien sich "einig, dass die gewonnenen Erkenntnisse die Fortschreibung des Langzeitsicherheitsnachweises gewährleisten. Somit bestehen gegen einen sicheren Weiterbetrieb der Untertagedeponie nach wie vor keine Bedenken. Damit wurde das Ziel, die Langzeitsicherheit bis Herbst zu bewerten, erreicht. Die Gutachten können jetzt formal fertiggestellt und den Aufsichtsbehörden vorgelegt werden."

Diese Darstellung kommentierte der Geologe Jürgen Kreusch: "Die Information der SWS v. 28.10.13 zur UTD mag stimmen oder auch nicht - solange kein Zugriff auf die entsprechenden Unterlagen möglich ist, kann man die Aussagen der SWS nur glauben oder halt anzweifeln. Die SWS gibt ja nur die Information ihrer Gutachter wieder. Sie sollte die die Aussagen unterfütternden Gutachten für jeden zugänglich ins Internet stellen! Über die Verhältnisse bei Kochendorf verliert die SWS offenbar kein Wort. Und bei Kochendorf ist die Situation nicht gut - und es besteht die Verbindung Versatzbergwerk Kochendorf - UTD Heilbronn." (siehe oben)

Die ostentative Sorglosigkeit "aller Beteiligten" steht in auffälligem Kontrast zur Reaktion der Verantwortlichen in einem anderen, minder schweren Fall: Als im Sommer diesen Jahres ein etwa 20 Kubikmeter großer und 40 Tonnen schwerer Gesteinsbrocken von der Decke einer der unterirdischen Strecken des Atomlagers im Salzstock Asse in Norddeutschland stürzte, sah der Asse-Betreiber, das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), das "als neues Warnzeichen, dass die Zeit drängt". Ab den sechziger Jahren wurde im Salzbergwerk Asse Atommüll eingelagert. Nachdem dort Wasser zutrat, müssen nun Tausende von Tonnen nuklearen Abfalls aus dem Berg geholt werden, die Kosten gehen in die Milliarden.

Wo Hohlräume existieren, so Kreusch, tritt früher oder später oft Wasser ein, ein "Löserfall" (ein beliebig großer Salzbrocken löst sich an der Decke und fällt zu Boden) kann ein Hinweis auf eine derartige Gefahr sein, muss es aber nicht. Ein Löserfall "ist im Salzbergbau nichts Ungewöhnliches", weiß Jürgen Kreusch. "Der Grund für solche Löserfälle liegt in gebirgsmechanischen Vorgängen, speziell in der Ausbildung von Auflockerungszonen um Hohlräume im Gebirge (bzw. des Bergwerks)." Allerdings könne "es manchmal auch sein, dass Löserfälle in gebirgsmechanisch besonders beanspruchten Bereichen vorkommen. Solche Bereiche können Schwächezonen der Salzbarriere darstellen. Solche Schwächezonen sind natürlich im Falle einer Untertagedeponie absolut unerwünscht, denn sie könnten z.B. zu Lösungszuflüssen führen."

Dass die zuständige Behörde bis heute keine Angaben darüber gemacht hat, "ob der Löserfall auf eine besonders beanspruchte Zone hinweist", und warum er der "Grund für die Überarbeitung/Fortschreibung des Langzeitsicherheitsnachweises ist", hält auch Jürgen Kreusch für eigenartig.

In Heilbronn hatten die heruntergestürzten Gesteinsmassen das 250fache Volumen des im Salzstock Asse heruntergestürzten Gesteinsbrockens - doch der Betreiber, die SWS AG und die Stadtoberen von Heilbronn, wiegeln ab.

Das Szenario, dass in der Folge von größeren Gesteinsabbrüchen oder gar Wassereinbrüchen in den Giftmüll-Kammern die dort lagernden Gifte ins Grundwasser gelangen und den Boden und die Nahrungskette kontaminieren könnten, schließen die Verantwortlichen unisono aus. Dabei berufen sie sich u.a. auf ein von der DeutschenMontanTechnologie (DMT) im Auftrag des Landesbergamtes Baden-Württemberg erstelltes "Gutachten zur Beurteilung der Umwelteinwirkungen der zur Sicherung der Grube eingesetzten Versatzstoffe unter Berücksichtigung der hydrogeologischen Situation" (im folgenden DMT-Gutachten genannt). Das DMT-Gutachten, das eine wesentliche Grundlage im Rahmen des seinerzeitigen bergrechtlichen Genehmigungsverfahrens für den Versatz von Hohlräumen im Westfeld der Grube Kochendorf war, kam zu dem Ergebnis, dass die langfristigen Auswirkungen des vorgesehenen Versatzmaterials auf Grundwasser und Biosphäre unbedenklich seien.

Nach Ansicht unabhängiger Experten wie Jürgen Kreusch ist das keineswegs der Fall. Kreusch ist Mitverfasser eines Gutachtens11 der Gruppe Ökologie Hannover GmbH, die im September 1994 von der Stadt Neckarsulm beauftragt worden war, das DMT-Gutachten daraufhin zu überprüfen, ob dessen methodischer Ansatz "stimmig ist, ob die abgeleiteten Aussagen zur Langzeitsicherheit des Gutachtens nachvollziehbar sind und ob das Gutachten sonstige inhaltliche Schwachpunkte bzw. Unklarheiten mit sicherheitsrelevanter Bedeutung enthält".

In ihrem alternativen Gutachten für die Stadt Neckarsulm halten Kreusch und seine Mitautorin Ilse Albrecht fest:

Die vorgesehenen Versatzmaterialien, speziell die Rückstände der MVA [Müllverbrennungsanlage: A.B.] enthalten Schadstoffe, die nach dem Absaufen des Grubengebäudes in der Nachbetriebsphase durch Wasser mobilisiert und schließlich in Richtung Biosphäre transportiert werden können. Dies kann zu einer Kontamination des Grundwassers im Hauptgrundwasserleiter Oberer Muschelkalk führen. Die im DMT-Gutachten durchgeführten Untersuchungen und Überlegungen zu den Auswirkungen des Versatzes auf Grundwasser und Biosphäre führen zu dem Ergebnis, daß eine nachweisbare Kontamination des Hauptgrundwasserleiters nicht zu besorgen sei. Die Überprüfung des DMT-Gutachtens zeigt jedoch, daß die darin dargestellten Untersuchungen, Überlegungen und Schlußfolgerungen eine Vielzahl unklarer und nicht nachvollziehbarer Gesichtspunkte beinhalten. Dies führt insgesamt dazu, daß die Unbedenklichkeit der vorgesehenen Maßnahme für Grundwasser und Biosphäre mit den Ausführungen im DMT-Gutachten nicht nachgewiesen werden kann.

Insbesondere die folgenden Aspekte tragen nach Kreusch/Albrecht zu dieser Bewertung bei:

  1. "Die Überlegungen im DMT-Gutachten stützen sich auf ein Szenario, das höchstens zufällig die langfristig sich im Grubengebäude einstellenden Verhältnisse richtig beschreibt. Andere, ebenfalls plausible Szenarienansätze (v.a. andere Konvergenzrate, andere Zuflußmenge ins Grubengebäude, anderer Chemismus des zufließenden Wassers, andere Ausbreitungswege und -mechanismen) werden ohne Begründung nicht berücksichtigt.
  2. "Bei der Ermittlung der Auswirkungen kommt der geochemischen Barriere (Löslichkeit der Schadstoffe im Grubenwasser, Rückhaltung der Schadstoffe an den Gesteinen) große Bedeutung zu. Die Vorgehensweise im DMT-Gutachten […] ist jedoch nicht geeignet, die tatsächliche langfristige Wirksamkeit der Barriere nachzuweisen."
  3. "Die Berechnungen zur Verdünnung von Schadstoffen im Hauptgrundwasserleiter beruhen auf Annahmen, die mit den tatsächlichen hydrogeologischen Verhältnissen nicht übereinstimmen […] Die Berechungen sind deshalb ohne Aussagekraft."
  4. "Die Ausführungen im DMT-Gutachten zu möglichen Verbindungen zwischen Grubengebäude und Zwischendolomit bzw. Hauptgrundwasserleiter sind generell dadurch gekennzeichnet, daß die standortspezifischen hydrogeologischen Verhältnisse kaum zur Kenntnis genommen werden. Auf die tatsächliche Bedeutung z.B. von möglichen Störungszonen zwischen Salzlager und Hauptgrundwasserleiter als bevorzugter Transportweg für Schadstoffe wird praktisch nicht eingegangen."
  5. "Die mögliche Bedeutung der Verbindungsstrecke zum benachbarten Grubenfeld Heilbronn, der Wetterstrecken und des Schachtes für die Ausbreitung von Schadstoffen wird im DMT-Gutachten nicht berücksichtigt ..."
  6. "Die isotopenphysikalische Bestimmung des Grundwasseralters liefert zwei verschiedene Befunde. Der hinsichtlich der Langzeitsicherheit günstigere Befund (40.000 Jahre) wird als der Richtige angesehen. Dies ist nicht akzeptabel, solange nicht einer der beiden Befunde abgesichert worden ist …".
  7. "Das DMT-Gutachten bezieht sich allein auf den Versatz des Westfeldes und die dafür vorgesehenen Versatzstoffe. Das Westfeld stellt jedoch einen geringen Teil der insgesamt zu verfüllenden Hohlräume dar. Der Versatz aller Hohlräume mit heute im einzelnen noch unbekannten Stoffen kann insgesamt dazu führen, daß ein deutlich größeres Schadstoffinventar zur Mobilisierung und Ausbreitung zur Verfügung steht. Die alleinige Berücksichtigung des Versatzes des Westfeldes führt deshalb mit großer Wahrscheinlichkeit zur Ermittlung von zu geringen Auswirkungen auf Grundwasser und Biosphäre …"

-

Doch das Gutachten von Kreusch/Albrecht fand keine Beachtung. Jürgen Kreusch: "Unser kritisches Gutachten wurde einfach weggewischt." Eine Überprüfung des Langzeitsicherheitsnachweises nach dem Stand von Wissenschaft und Technik der Versatzdeponie Kochendorf hält Jürgen Kreusch für notwendig.

Warnung aus der Schweiz vor der Einlagerung von Sondermüll in ehemalige Salzbergwerke

Eine ähnliche Position wie Kreusch vertritt sein Schweizer Kollege Marcos Buser. Der Geologe und renommierte Atomkritiker, der in Zürich ein Institut für nachhaltige Abfallwirtschaft betreibt, hatte bereits im Dezember 1997 in einem detaillierten Gutachten für das Schweizerische Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) - heute Bundesamt für Umwelt (Bafu) - vor der Einlagerung von Sondermüll in ehemalige Salzbergwerke gewarnt.

Anfang der 1990er Jahre hatten deutsche Bergwerksbetreiber ihre Bestrebungen zur Akquisition von Rauchgasreinigungsrückständen und anderer zum Versatz zugelassener Abfälle auf ausländischen Märkten verstärkt. Dabei wurden auch Kontakte zu schweizerischen Betreibern von Kehrrichtverbrennungsanlagen geknüpft bzw. intensiviert, so dass sich das Schweizerische Bundesumweltamt bald mit einer Reihe von Anträgen zur Zulassung des Exports von Rauchgasreinigungsrückständen in deutsche Versatzbergwerke konfrontiert sah. Es beauftragte daraufhin im Dezember 1997 ein deutsch-schweizerisches Expertenteam mit einer Expertise zur Evaluation des Versatzes von Schweizer Sonderabfällen in deutschen Salzbergwerken. Gestützt auf das Gutachten entschied das Schweizer Umweltbundesamt, den Export dieser Stoffe nicht auszuweiten und nur die Einlagerung in Untertagedeponien zu bewilligen.

Bei den deutschen Bergbaubehörden löste das Gutachten seinerzeit "einen regelrechten Skandal" aus, erinnert sich Buser, "sahen sich diese doch "plötzlich mit völlig neuen Fragestellungen konfrontiert, Fragen, die sie zuvor nie überlegt hatten, vor allem mit der Frage der langfristigen Sicherung der Bergwerke und hier insbesondere mit der Frage der hydraulischen Gefährdung." Diese Gefährdung werde "systematisch unterschätzt", so der Geologe, indem Worst-Case-Szenarien, wie etwa ein mögliches Eindringen von Wasser entlang undicht gewordener Schachtverschlüsse, einfach ausgeschlossen würden.

Den im Januar 2013 in der UTD Heilbronn entdeckten Gesteinsabbruch beurteilt der Schweizer Geologe, anders als das baden-württembergische Landesamt für Geologie, Rohstoff und Bergbau, als durchaus dramatisch: "Wenn sich Gesteinsmassen von einem derartigen Volumen lösen, dann zeigt das, dass sich das Gebirge verformt und dass eine messbare Veränderung im Spannungsfeld stattfindet." Mittel- oder längerfristig werde sich das wiederholen, "sofern die Hohlräume offen sind, und zwar nicht nur an einer Stelle, sondern an vielen Stellen", prognostiziert Buser. Das "Risiko des hydraulischen Kurzschlusses" werde dadurch "immer größer werden, das heißt, dass irgendwo, zum Beispiel an alten, an natürlichen tektonischen Störungsflächen kleine Verschiebungen stattfinden und dass mit der Zeit, in 100, 200, 500 Jahren, eher früher als später, einmal Wasser in diese Grube eintritt."

Man wisse, "dass auch in Deutschland eine sehr große Anzahl alter Bergwerke abgesoffen ist, seit 1856 statistisch gesehen sogar jedes zweite Bergwerk". Diese Probleme könne man "heute zwar technisch sehr viel besser beherrschen, aber sobald eine Grube verschlossen ist und sich selbst überlassen bleibt, nimmt die Gefährdung natürlich wieder zu." "Nach den neuesten Berechnungen sind allerdings die Konvergenz-, also die Senkungsbewegungen an der Oberfläche bzw. die Bewegungen im Salzbergwerk Heilbronn-Kochendorf viel größer als ursprünglich prognostiziert."

Über die Folgen eines solchen Szenarios hätte spätestens der verheerende Großbrand im Kali-Bergwerk Stocamine im Elsass im September 2002 auch den Heilbronner Verantwortlichen die Augen öffnen können. Bis dahin galt Stocamine als eine der sichersten Sondermülldeponien. In der Folge des Brandes setzte das französische Umweltministerium eine Expertengruppe zur Überprüfung der Langzeitsicherheit des Bergwerks ein. Die dreizehn Experten, darunter auch Marcos Buser, kamen einhellig zu dem Schluss, dass ein Wassereinbruch, also ein Absaufen der Grube nicht verhindert werden könne.

Es muss davon ausgegangen werden, dass beim Einsickern von Wasser in die Grube aufgrund der verschiedenen Druckgefälle ein hydraulischer Kreislauf entsteht, der Schadstoffe wieder nach oben bringt. Das würde langfristig zu einer erheblichen Grundwasserkontamination, namentlich mit Quecksilber und Arsen, führen. Als Konsequenz forderte die Expertengruppe deshalb zumindest eine Teilsanierung, also die Entfernung der quecksilberhaltigen und arsenhaltigen Abfälle aus der Grube.

Buser

Ein mögliches Absaufen der Grube, wie hier für Stocamine prognostiziert, wird von den Betreibern und den politisch Verantwortlichen in Heilbronn und dem Land Baden-Württemberg kategorisch ausgeschlossen. Buser sieht das anders:

Die Gruben Kochendorf und Heilbronn liegen sehr nahe an der Oberfläche - 200 oder 250 m Überdeckung sind nicht viel. Zudem gibt es eine Verbindungsstrecke zwischen den Bergwerken Heilbronn und Kochendorf. Diese Verbindungsstrecke wurde eingerichtet, um Kosten zu sparen, weil das Gesetz aus Sicherheitsgründen für ein Bergwerk zwei Schächte verlangte, und da hat man entschieden, diese beiden Bergwerke zusammenzulegen. Seitens der Geologen war das von Anfang an umstritten. Stellen Sie sich vor, Sie verbinden ein Bergwerk über Kilometer hinweg, und sie queren tektonische Störzonen, das ist heikel in Bezug auf die Langzeitsicherheit. Das heißt, wenn in diesem sehr komplexen System auf einmal Wasser zutritt […], dann haben sie aufgrund von Druckdifferenzen das Szenario, dass das Wasser versickert und an anderer Stelle wieder herausgepresst wird. […] Das heißt, langfristig müssen Sie damit rechnen, dass eine Kontamination des Grundwassers mit gravierenden Konsequenzen stattfinden wird. Die Frage ist nur, wann sich dieser Störfall ereignet.

Buser hält es daher für einen "gravierenden Fehler", "ein Bergwerk mit Sonder-Abfall zu verfüllen", um es auf diese Weise zu stabilisieren, "vor allem in dichtbesiedelten Gebieten". Marcos Buser widerspricht damit auch der Einschätzung von Stefan Alt vom Öko-Institut Darmstadt, wonach Salzbergwerk-deponien mangels Alternativen die beste Lösung für toxische Abfälle, die sich nicht weiter behandeln lassen, seien. Der Schweizer Geologe plädiert vielmehr für ein grundsätzliches Umdenken in der Abfallpolitik.