Zeitungssterben: Deutschland auf dem Weg zur Medienwüste?
Lokaljournalismus am Abgrund. Studie belegt dramatischen Rückgang unabhängiger Lokalzeitungen seit 1992. Warnung vor einer Nachrichtensteppe.
Man könnte die Frage ein wenig bösartig stellen: Wer außer älteren, oft alteingesessenen Bürgern, die viel Zeit haben, liest noch Lokalzeitungen?
Der Frage liegt ein behagliches Klischee zugrunde, das des älteren Mannes, der bei einer Tasse Tee oder Kaffee über einer Zeitung gebeugt ist, vielleicht gar versunken, und sich dann bei seiner Frau – die Kinder sind schon geflüchtet – über die Aufregung über ein Straßenschild, das unbenannt werden soll, eine Baustelle oder die Planung des öffentlichen Nahverkehrs erzürnt. Dann beginnt eine Debatte (die schnell ins Persönliche ausarten kann).
Das wäre die anekdotische Seite eines Phänomens, das seit Kurzem für neue Aufmerksamkeit sorgt: Zeitungen mit regionalem Bezug werden aus finanziellen Gründen nicht mehr ausgeliefert. Aktuell trifft das die "Märkische Allgemeine" aus Brandenburg.
Heraufziehendes Unheil für aufgeklärte Meinungsbildung
Sie erscheint künftig montags nur mehr in digitaler Form. "Hohe Zustellkosten und die Schwierigkeit, überhaupt genügend Zusteller zu finden", werden als Gründe für den "schleichenden Print-Rückzug" genannt (meedia).
Nun ist die Märkische Allgemeine keine pure Lokalzeitung, auch wenn sie einen deutlichen regionalen Schwerpunkt hat, so berichtet sie auch überregionale, politische Themen. Doch trifft das Problem der Zustellkosten und der abnehmenden Zahl der Abonnenten besonders die Lokalzeitungen.
Die Krise, wie bereits berichtet, zieht größere Kreise. Manche sehen hier heraufkommendes Unheil für die demokratischen Grundträger in Deutschland.
Der Senator für Kultur und Medien in Hamburg, Carsten Brosda, warnt:
Ohne eine fundierte journalistische Berichterstattung vor Ort bricht auch eine wichtige Säule der Demokratie weg. Das ist eine dringende Warnung an die Medienpolitik und ein Auftrag, die Bedingungen des Journalismus vor Ort zu verbessern.
Brosda äußert dieses zur Veröffentlichung einer Studie, die dem Niedergang des Lokaljournalismus eben nicht anekdotisch, sondern wissenschaftlich nachgegangen ist.
Die "Nachrichtensteppe"
Die Studie der Hamburg Media School, unterstützt von Netzwerk Recherche, der Rudolf Augstein Stiftung, Transparency International Deutschland und der Hamburger Behörde für Kultur und Medien wollte eine systematische Erhebung und eine verlässliche Datenbasis zur aktuellen Entwicklung des Lokaljournalismus.
Eine aktuelle Entwicklung im deutschen Zeitungsmarkt zeigt eine Tendenz, die Experten als "Versteppung des Lokaljournalismus" beschreiben. Laut einer neuen Studie der Hamburg Media School, welche die Veränderungen in der Landschaft der Tageszeitungen seit der Wiedervereinigung dokumentiert, gibt es auf Kreisebene in Deutschland zwar noch keine Nachrichtenwüsten – also Regionen ohne jegliche lokale Tageszeitung –, allerdings ist ein signifikanter Rückgang unabhängiger Lokalzeitungen zu verzeichnen.
Um die Dimension des Problems anschaulich zu machen, greift die Studie, verantwortet von Christian Wellbrock und Sabrina Maaß, zu einem Vokabular, das aus der Berichterstattung des Klimawandels vertraut ist: "Versteppung und Verwüstung". Erwarten uns also Schrecken beinahe biblischen Ausmaßes angesichts des Klimawandels in der Medienlandschaft?
Ja, möglicherweise, wenn es übel weitergeht, aber da müsste weit mehr zusammenkommen als das "Verschwinden der Lokalzeitung", bedeutet die "Wüstenradar"-Studie, und: nein, noch ist es nicht so weit.
"Nachrichtensteppe" wird verwendet, um Regionen zu beschreiben, die nur noch rudimentär von lokalem Journalismus versorgt werden und von weiterer Verödung bedroht sind.
Der Lagebericht: Noch nicht so schlimm wie in den USA
Wer sich auf die Schnelle selbst ein Bild machen will, kann auf einer interaktiven Karte sehen, wie es um die Präsenz von Lokalzeitungen im Land steht. Das ist anhand der Farben rasch zu sehen. Wobei hier Rosa für eine Verarmung und nicht für eine schöngefärbte Welt steht.
Die Daten, welche die Studie ermittelt hat, zeigen einen eindeutigen Rückgang. Die Forschung dokumentiert eine "Versteppung" der Medienlandschaft auf lokaler Ebene, mit einem deutlichen Rückgang unabhängiger Tageszeitungen von durchschnittlich 2,26 pro Landkreis im Jahr 1992 auf nur noch 1,83 im Jahr 2023. Die Anzahl der "Einzeitungskreise" hat sich im gleichen Zeitraum von 134 auf 187 erhöht, wobei besonders ländliche Gegenden betroffen sind.
Doch konnte die Studie konnte bisher keine negativen Auswirkungen des Rückgangs auf politische Partizipation oder Verwaltungsleistung feststellen.
Dies wird damit erklärt, dass die Lage noch nicht so schlimm ist. Im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es in Deutschland noch keine Regionen ohne lokale Tageszeitung.
Dennoch sieht man die Gefahr einer Unterversorgung mit kritischen Artikeln aus der Nähe zum lokalen Geschehen zunehmendes Problem und verweist dabei auf die USA, wo es bereits "Nachrichtenwüsten" gibt, die gut erforscht sind, weshalb sie Schlimmeres erwarten lassen.
Grundsätzlich sind negative Effekte einer schwindenden Lokalberichterstattung auf die Funktionsfähigkeit der demokratischen Gesellschaft zu erwarten. Diesen in einigen anderen Ländern bereits nachgewiesenen Zusammenhang gilt es in Deutschland zu überprüfen.
Studie Wüstenradar
Als Reaktion auf diese Entwicklung schlagen die Studienverantwortlichen verschiedene Maßnahmen vor, um dem Rückgang entgegenzuwirken, darunter die Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Journalismus, Innovationsförderungen und Anreize für die Beschäftigung von Journalistinnen und Journalisten.