Zentrale Mittelmeerroute: Weniger Überquerungsversuche und weniger Tote
Die Hauptroute ist nun die westliche Route nach Spanien - aktuelle Zahlen von der Internationalen Organisation für Migration
Auf der Webseite der Internationale Organisation für Migration (IOM) kann man die Zahlen zur Migration auf den Mittelmeerrouten erfahren, wie sie sich bis Ende Oktober entwickelt haben. Die IOM unterteilt in die westliche Mittelmeerroute mit Spanien als Ankunftsland, die zentrale Mittelmeerroute mit Italien und die östliche mit Griechenland (zu einem sehr kleinen Teil auch Zypern) als EU-Ankunftsländer.
Es zeigt sich, wie auch seit Wochen berichtet wird, dass die Überquerung des Mittelmeeres Richtung Spanien zur Hauptroute geworden ist. Insgesamt meldet die IOM von Anfang Januar bis Ende Oktober dieses Jahres 97.857 Ankünfte von Migranten, die über alle drei Mittelmeerrouten gekommen sind.
Fast die Hälfte davon, genau 47.433, kamen in Spanien an. In Italien waren es 23.016 und auf der östlichen Mittelmeerroute 27.408. Schaut man auf frühere Vergleichswerte, so kann man für Italien feststellen, dass es in einem Jahr so viele Bootsflüchtlinge aus Nordafrika nach Italien geschafft haben wie vor Juli 2017 in einem Monat.
Ziemlicher Druck im Namen Italiens und der EU
Es war der damalige italienische Innenminister Marco Minitti, der im Juli 2017 für einen aufsehenerregenden Rückgang der Ankunftszahlen um etwa die Hälfte sorgte (zuvor waren es 22.000). Mittlerweile ist Matteo Salvini Leiter des Innenministeriums und sein Vorgänger Minitti hat mittlerweile seine Memoiren geschrieben.
Dort ist zu lesen, dass Minitti auch im Namen der EU mit ziemlichen Druck vorging, um die Kommunen davon zu überzeugen, Abstand von den Schleusern zu halten, ansonsten würde man finanzielle Verluste riskieren. Es halten sich darüber hinaus Annahmen, wonach auf der anderen Seite Milizen Geld versprochen wurde, wenn sie die Geschäftsseite wechseln und aufpassen, dass keine Migrantenboote mehr ablegen.
Schon Minitti wurde vorgeworfen, dass er den NGO-Schiffen übel mitspielte. Sein Nachfolger Salvini schraubte die Hindernisse für die Seenotrettung noch höher. Rettungsschiffe mussten lange Dramen mit geretteten Migranten an Bord durchstehen, bevor sie einen Hafen anlaufen durften. Selbst bei aus Seenot Aufgenommenen an Bord eines Schiffs der italienischen Küstenwache zogen sich die Verhandlungen sehr in die Länge, bis sie europäischen Festlandsboden betreten konnten.
Salvinis "Null-Migranten"-Politik
Das alles wurde von Medien gut dokumentiert und international verbreitet, so dass, wohl nicht gerade zum Ärger Salvinis das Signal verbreitet wurde, dass Seenotrettungen auf der zentralen Mittelmeerroute nur mit einigem Risiko und langwierigen Verhandlungen, großem Sträuben allerseits, nicht nur auf italienischer Seite, dazu führen, dass die Geretteten in Europa anlanden.
Da NGO-Schiffe seit der Amtszeit des italienischen Innenministers auch auffällig oft Schwierigkeiten mit Flaggenstaaten bekommen, wird auch hier die Hand Salvinis als Strippenzieher hinter den Kulissen vermutet. Salvini bestreitet stets; gerne mit einem Witz der Art, dass er die Vorwahl von Panama gar nicht kenne.
Die Vorwürfe der hohen menschlichen Kosten, die gegen Salvinis "Null-Migranten-Politik" angeführt werden und für die der Migrationswissenschaftlern wie Matteo Villa belastendes statistisches Material beisteuerte, laufen darauf hinaus, dass durch Salvinis Politik der Härte mehr Menschen umkommen.
Deutlicher Rückgang bei den absoluten Zahlen
Schaut man sich die vom IOM ermittelten Zahlen an, so wäre der Vorwurf hauptsächlich mit dem Hinweis auf eine hohe Dunkelziffer und der Tragik jedes einzelnen Falles aufrechtzuhalten, ansonsten zeigt sich ein deutlicher Rückgang. 1.267 Tote notiert das IOM für die zentrale Mittelmeerroute von Anfang Januar bis Ende Oktober.
Die Zahlen für die letzten Jahre, inklusive 2014, liegen derart weit darüber - 2014: 3.089, 2015: 2.861, 2016: 3.743 und 2017: 2.749 -, dass sie wahrscheinlich in den verbleibenden zwei Wintermonaten kaum erreicht werden.
Für Oktober 2018 werden vom IOM 7 Tote registriert. Eine Erklärung dafür, die ins Auge sticht, ist, dass es offenbar sehr viel weniger Boote gibt, die Richtung Italien ablegen. Insgesamt notiert IOM in diesem Jahr (also bis einschließlich Oktober) 23.016 Ankünfte in Italien. Im letzten Jahr waren es ungleich mehr: 117.043.
Auch bei den versuchten Überquerungen zeigt sich ein deutlicher Unterschied. Für 2017 notiert die IOM 135.060 "attempted crossings", für die ersten zehn Monate 2018 40.119.
Allerdings gibt es eine Ziffer, die weder bei der Gesamtdarstellung aller drei Routen, noch bei einer anderen Mittelmeerroute derart gestiegen ist: der Anteil der Toten in Relation zu den versuchten Überquerungen. Der ist im Gesamtbild der drei Routen mit 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr gleichgeblieben.
Größte Steigerung des Anteils von Toten auf der zentralen Route
Bei der östlichen Route hat er sich von 0,1 Prozent auf 0,3 Prozent gesteigert und bei der westlichen Route, wo es 89 Tote im Oktober gab und 99 im September, von 0,6 Prozent auf 1,1 Prozent (insgesamt gab es im letzten Jahr mit 155 vergleichsweise wenig Tote, in diesem Jahr sind es bislang 564).
Bei der zentralen Mittelmeerroute gibt es eine beachtliche Steigerung von 1,2 Prozentpunkte auf einem ohnehin erhöhten Wert, da die Route sehr viel länger und gefährlicher ist: Im letzten Jahr waren es 2,0 Prozent. Für dieses Jahr werden bisher 3,2 Prozent als "Proportion of deaths vs attempted crossings" angegeben.
Es gibt, da die Rettungsschiffe sehr viel weniger geworden sind, auch weniger Zeugen für Unglücke und mehr Arbeit für die libysche Küstenwache, die aus Seenot Gerettete und in der Nähe der Küste Aufgegriffene wieder zurück nach Libyen bringt. Informationen darüber, ob sich die peinigenden Umstände in den Sammellagern für Migranten verbessert haben, müsste man suchen, wahrscheinlich vergeblich. Das Thema selbst steht momentan nicht im Fokus der Berichterstattung.