Zentrierung
Nationale und globale Ereignisse
Der Tod und das Begräbnis von Diana waren ein Massenereignis. Die Medien haben die Macht, Menschen auf der ganzen Welt emotional an einem Ereignis zu beteiligen. Paul Treanor sieht darin eine Tendenz zur Zentrierung. Die Welt - und die Menschen - werden uniformer.
Zentrierung ist die Tendenz offener Gesellschaften, eine einzige Kultur, vornehmlich eine bereits bestehende vorherrschende Kultur, zum Monopol zu machen. Die Anregung zu diesem Beitrag kam vom Dianas Begräbnis und der öffentlichen Reaktion auf ihren Tod. Einige vergleichbare Ereignisse und Institutionen habe ich angeführt. Ich behaupte, daß eine offene Gesellschaft dazu neigt, eine gemeinsame und uniforme Kultur hervorzubringen. Alle Menschen sind an denselben Ereignissen und Aktivitäten beteiligt. Die Gesellschaft nähert sich dem Ideal der Nationalisten aus dem 19. Jahrhundert, das durch die Forderung von Novalis, nationale Uniformen einzuführen, an sein Extrem geführt wurde.
Vgl. auch Virus der kollektiven Trauer
Was bedeutet Zentrierung konkreter? Man stelle sich eine Welt vor, in der der Dalai Lama, die Spice Girls, der Pabst. Madonna und Chelsea Clinton während der Eröffnung der Diana-Cyberolympiade für junge Aktionäre gemeinsam singen - und alle in Freudentränen ausbrechen. Das ungefähr bedeutet Zentrierung.
In einer Welt aus Nationalstaaten ist das allgemeine Muster der Zentrierung eine Verdichtung der nationalen Kultur mit einer schwachen "globalen" Komponente. Es gibt Staatsbegräbnisse (von Nationalstaaten), bislang aber noch nichts, was einem "globalen Begräbnis" gleichgekommen wäre. Und es gibt auch kein "geschlechterspezifisches Begräbnis", das den gleichen Rang wie ein nationales hat.
Jedes Begräbnis ist ein bestimmtes Ereignis, das mit dem Tod einer Person zusammenhängt. Institutionalisierte Ereignisse sind ein besserer Ausdruck der Hierarchie. Es gibt nur wenige globale Ereignisse, aber zwei haben einen besonderen Rang: die Olympischen Spiele und die Weltausstellungen. Das Internationale Olympische Komitee schützt den Titel wirksam: es gibt nur alle vier Jahre Olympische Spiele, wodurch ihre Bedeutung zunimmt. Ihre Eröffnung ist das größte geplante Medienereignis. Mindestens ein Fünftel aller Menschen auf der Erde werden 2004 der Eröffnungszeremonie in Athen zuschauen. (Der Fußballweltmeisterschaft gelingt dies nicht, weil Fußball in den USA nicht populär ist.) Die Olympischen Spiele und die Weltausstellungen werden durch nationale Einheiten (Gruppen und Pavillions) organisiert. Es gibt keine Bedrohung der nationalen Souveränität - und ihre Bedeutung werden zunehmen, wenn die Welt allgemein stabil bleiben sollte.
Eine offene globale Gesellschaft würde mehr Ereignisse wie die Olympischen Spiele öfter und mit der Beteiligung von mehr Menschen inszenieren. Das geschieht bereits bei den Weltausstellungen, die immer mehr Menschen besuchen. Neben dieser Tendenz würde es auch nicht geplante oder kurzfristig geplante Ereignisse geben. Mega-Konzerte für wohltätige Zwecke sind ein Beispiel solcher kurzfristig geplanten Ereignisse mit großer Reaktion. Das erste Konzert dieser Art war das "Konzert für Bangladesh" in den 70er Jahren, das bekannteste ist das "Live Aid"-Konzert. In einem Prozeß der globalen Zentrierung werden mehr Menschen auf mehr Ereignisse öfter emotional reagieren.
Die Zentrierung wird zur Vermehrung der "Kennedy-Wirkungen" beitragen. Alle Amerikaner, die zu dieser Zeit älter als 10 Jahre gewesen sind, können sich genau daran erinnern, wo sie waren, als Kennedy erschossen wurde. Diese Wirkung hängt vom Ansehen der jeweiligen Person oder des jeweiligen Ereignisses ab. Wer erinnert sich daran, wo er war, als Ayatollah Talleghani oder sogar Ayatollah Khomeini gestorben sind.
Doch derartige Zentrierungswirkungen können in eine Hierarchie eingebettet sein. Sie sind normalerweise eher national als international. Wahrscheinlich werden sich die meisten Polen daran erinnern, wo sie waren, wenn sie hören, daß Lech Walesa gestorben ist. Es gibt nationale Hilfskonzerte für eine nationale Katastrophe, und sogar lokale Konzerte für lokale Katastrophen. Unterhalb der Weltausstellung gibt es eine Bundesgartenschau oder eine Jahrtausendausstellung. Aber diese Hierarchie ist wiederum für die gegenwärtige Welt spezifisch. Gab es jemals ein Frauenkonzert für eine Katastrophe von Frauen? Die Zentrierung wird öfter eine größere Zahl dieser Ereignisse als kollektive Reaktion auf den Tod oder eine Katastrophe inszenieren. Die Erinnerung wird von einer Reihe von lokalen, regionalen, nationalen und globalen emotionalen Reaktionen auf negative Ereignisse beherrscht werden. Wichtig daran ist, daß alle diese Reaktionen kollektiv sein werden und sich gleichen.
Negative Ereignisse werden ebenso wie positive auf der angemessenen Ebene eingeordnet werden. Naturkatastrophen sind normalerweise nationale Ereignisse. Eine Katastrophe hat einen globalen Rang erworben, weil viele Menschen wissen, daß sie näherrückt: das Erdbeben in San Francisco. Es ist voraussehbar, daß viele Menschen daran emotional beteiligt sein werden, wenn es sich schließlich ereignet. Es wird wahrscheinlich ein globales Konzert für San Francisco geben. Und wie beim Begräbnis von Diana werden vermutlich viele zu den Botschaften der USA gehen und Blumen ablegen.
Monumente, räumliche Symbole und Namen sind weitere Bereiche für die Zentrierung. Es gibt auch nicht von ungefähr Bereiche, um die sich die Nationalisten des 19. Jahrhunderts kümmern. Die Theorie des Nationalismus hebt die Trennung von anderen Nationen hervor, aber der Symbolismus sollte meist zur inneren Einheit führen. Auf jeden Fall existiert eine Tendenz zum Bau von mehr Monumenten. Die Vermehrung der Holocaust-Erinnerungsstätten ist bereits Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Dennoch sind Monumente wie die Erinnerungsstätten für Diana am Kensington Palast und in Althorp keine historischen Denkmäler. Sie bringen eine gegenwärtig empfundene kollektive Stimmung zum Ausdruck. Und sie sind wieder ein Beispiel für eine Kategorie. Der Vorschlag, den Heathrow Airport umzubenennen, ist dafür typisch. Wahrscheinlich wird sich jede Stadt in England eine "Diana Road" im nächsten Jahr zulegen. Heathrow, Europas größter Flughafen, ist auf nationaler Ebene dafür das Äquivalent.
Niemals wurde ein Flughafen nach einer politischen Ideologie, einem moralischen Prinzip oder nach Millionen von anderen Möglichkeiten genannt. Es gibt keinen Gerechtigskeitsflughafen oder keinen Föderalistischen Flughafen. Nationale Flughäfen wurden nach nationalen Persönlichkeiten, einige wenige nach bekannten Persönlichkeiten wie Kennedy von verbündeten Staaten genannt. Daher gibt es eine Tendenz zur Hierarchisierung von Monumenten (und "nominellen" Monumenten wie umbenannten Straßen). Meistens sind es nationale, nur selten auch globale Monumente. Wichtig daran ist wieder die Einheitlichkeit: es wird kein Anti-Diana-Monument geben.
Ein letztes Beispiel für die Zentrierung ist ein Massenverhalten, das nicht mit Berühmtheiten, mit Tragödien oder Katastrophen verbunden ist. In Holland werden neue Straßentunnels unter einem Fluß für ein Wochenende geöffnet, so daß die Menschen in ihnen laufen können. Man muß gar nichts weiter machen: eine Musikgruppe spielt und Eis wird verkauft. Das ist alles. Dennoch ziehen solche Ereignisse bis zu 250000 Menschen an. Es ist das Wesen einer offenen Gesellschaft, daß unerwünschte Extreme und mögliche Alternativen herausgefiltert werden. Was übrig bleibt, ist ein zentrierendes Ereignis: der Gang durch einen Tunnel, die Olympischen Spiele im Fernsehen oder eine Reise mit den Kindern, um für Diana Blumen zu hinterlegen.
Andy Warhole sagte einmal, daß jeder für 15 Minuten berühmt sein werde. Aber das stimmt nicht. Eine kleine Gruppe von Menschen wird für lange Zeit sehr berühmt sein.
Die normale Theore behauptet, indem sie oft dieses Zitat von Andy Warhole benutzt, daß die Gesellschaft fragmentiert, plural und multipel sei, daß feste Identitäten, die Massengesellschaft, die Nationen verschwunden seien. Aber auch das stimmt nicht. Je offener die Welt wird, desto gleichförmiger wird sie - nicht, weil sich die nationale Tradition auflöst. Es gibt weiterhin Trauerfeiern in der Westminster Abbey. Sie wird gleichförmiger, weil der Widerstand gegen die Zentrierung schwindet.
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer