Zögerlicher Iran – kommt der Gegenschlag?
Israel greift mit der Tötung von Hassan Nasrallah indirekt Iran an. Warum eine Antwort aus Teheran bisher ausblieb. Eine Analyse.
Pager-Angriff, Raketeneskalation, der Tod von Hisbollah-Oberhaupt Hassan Nasrallah – Israel geht, spätestes mit dem Vorgehen gegen die libanesische-proiransche Miliz „Hisbollah“ militärisch in die Vollen. Zwar bleibt aktuell eine israelische Bodenoffensive, wie es sie 2006 zuletzt im Libanon gegeben hatte, aus, doch kann von einer beruhigten Lage in der gesamten MENA-Region keine Rede sein.
Khamenei blieb vage
Bei ZDF-heute vertrat Fabian Hinz, seines Zeichen Research Fellow des Thinktank International Institut for Strategic Studies (IISS), die These, dass Israel die „Eskalationsdominanz“ besitze. Hinz vertrat dabei das altbekannte Narrativ, dass sich die Hisbollah-Einrichtungen zwischen Zivilisten verstecken –„dementsprechend seien Angriffe gegen solche Anlagen immer mit zivilen Opfern verbunden“ (ZDF). Ferner rechnet Hinz mit der „Ausweitung des Konfliktes“.
Zur aktuellen Eskalation und dem militärischen Versuch der IDF den Süd-Libanon als potenzielle Gefahrenquelle für den israelischen Staat insgesamt und sein Gebaren in Palästina unschädlich zu machen, äußerte sich auch das geistige (wie auch politische) Machtzentrum des schiitischen Iran – Ajatollah Ali Khamenei.
Khamenei blieb vage, sprach von Rache, Widerstand und dass man nicht in die Knie gehen werde. Einen Zeitpunkt, eine Taktik oder gar konkrete Ziele nannte er nicht. Gespannt wartet die Welt – insbesondere nach der Tötung von Hamas-Leader Ismail Hanija – gespannt auf eine eindeutige Reaktion des 88,5-Millionen-Einwohner-starkenden BRICS-Plus Staat.
Der schiitische Halbmond – die iranische Vorverteidigungsachse schiitischer, nicht-staatlicher Milizen und halbstaatlicher Akteure im Irak, dem Libanon und dem Jemen sowie in Gaza – könnte daran entscheidenden Anteil haben. Bisher blieben militärische Gegenschläge beschränkt. Die augenscheinliche Zurückhaltung aus Teheran hat seine Gründe.
"Erhebe dich und töte zuerst"
Wie der israelische Buchautor Ronen Bergman in seinem Werk "Der Schattenkrieg" über den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad berichtet, gibt dieser als eines seiner Motti "Erhebe dich und töte zuerst" heraus. Was am 31. Juli ins Werk gesetzt wurde, klingt wie die Blaupause dessen. Ismail Hanija wurde – wahrscheinlich durch eine israelische Drohne – getötet.
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Er befand sich zu dieser Zeit in Teheran, in einem Gasthaus der Revolutionsgarden um der Amtseinführung des iranischen Präsidenten Masud Pezeshkian beizuwohnen. Insbesondere in der kulturell-tief verankerten persischen Gastlichkeit und dem Sicherheitsversprechen – ein unfassbarer Affront und eine Provokation ohne Vergleich.
Doch bei weitem kein Einzelfall: getötete iranische Atomwissenschaftler, Militärs oder Raketenforscher, der Angriff auf General Suleimani, die Pager-Manipulation – laut der Journalistin Karin Leukefeld tötete der Mossad gezielt mindestens 2700 Personen, insbesondere iranische Funktionsträger.
Dies verfehlt seine Wirkung nicht – in Teheran geht die Angst um, wer potenziell der Nächste sein könnte. In eine iranische Antwort, muss der israelische Gegenschlag – auf allen Ebenen - eingepreist werden.
Ein Flächenbrand und seine Kosten
Insbesondere jedoch ist der iranischen Führung bewusst, dass eine Antwort einen Flächenbrand auslösen kann. Dies hätte immense Folgen für die iranische Zivilgesellschaft und könnte das gesamte System der Theokratie ins Wanken bringen – für die klerikal-politische Klasse steht der eigene Machterhalt an erster Stelle.
Seit dem Fall Jina Mahsa Amini kommt der Iran sozialpolitisch selten zur Ruhe, auch wenn Massenproteste abgerissen sind. Innenpolitisch plagen die als schwach einzustufende neue Regierung – zerrieben zwischen Außenpolitik und konservativen Hardlinern - gewaltige Sorgenfalten. Bei einer durchschnittlichen Inflation von 40 Prozent verfällt der iranische Rial täglich und mit ihm der Lebensstandard einer Gesellschaft, die seit Generationen nur Sanktionen und Hindernisse kennt.
Hoch im Kurs stehen aktuell Verhandlungen mit den USA rund um eine Neuauflage des JCPOA. Ein Ziel, welches augenscheinlich auch Präsident Pezeshkian zu verfolgen getrachtet und welches mit einer kriegerischen Eskalationsantwort an Israel in den Bereich des politischen Wunschdenken verortet werden dürfte.
Dabei prognostiziert der Internationale Währungsfond (IWF) dem Iran – bei einer großen, jungen, gut ausgebildeten Bevölkerung - gewaltige Wachstumschancen – Rückgang der Inflation um 15 Prozentpunkte, Anstieg der Exporte um 7 Prozent und ein Wachstum des Leistungsbilanzsaldo um 12,8 Prozent.
In diese positive Rechnung sind die Chancen einer BRICS+ und BRI Teilnahme eingepreist, mit einem Krieg um Jahrzehnte zurückgeworfen. Zumal China wie Russland Ruhe in der Nachbarschaft wünschen und insbesondere Peking intensiv in und um Gaza diplomatisch aktiv ist.
Nachvollziehbare Drohkulisse
Darüber hinaus ist die militärische Drohkulisse rund um den Iran – von den iranischen Urlaubsinseln im Persischen Golf bis an die Schwarzmeerküste – erheblich ausgebaut worden. In den Gewässern, in denen auch das gigantische South Pars Ölfeld des Iran (geteilt mit Katar bewirtschaftet) beheimatet ist, kreuzen US-amerikanische Flugzeugträger mit F-35 C Kampfjets sowie atomarbestückte U-Boote.
Entfernung bis Teheran keine 1500 Kilometer. Klar ist Teheran zudem – dies wurde durch mehrfache Stellungnahmen deutlich – dass man dem israelischen Militarismus jede Aktion, zur Not auch ohne die Zustimmung aus dem Pentagon, zutraut.
Trotz aller Aufrüstungen könnte der Iran in einem symmetrischen Krieg insbesondere gegen die Allianz Israel-USA nicht bestehen.
Es ist also begründbar und zu erwarten, warum die iranische Zögerlichkeit fortdauern dürfte. Als sicher kann gelten, dass der Iran an seiner transnationalen Phalanx des "Widerstandes" festhalten wird und diese nach Kräften restrukturieren wird. Eine Art Lebensversicherung zum Ausbalancieren der Bedrohlichkeiten.
Jedoch sollte man – in Washington, Berlin oder Tel-Aviv – Zurückhaltung nicht mit Schwäche verwechseln. Die iranische Führung kalkuliert nüchtern, die Gefahr eines großen Krieges war nie größer als aktuell – viel mehr Boden kann Teheran ohne Gesichtsverlust nicht abgeben.
Mit diesem Wissen, erscheint die Äußerung von Unionsfraktionsvizechef und Außenpolitiker Wadephul (CDU), der den israelischen Angriff auf den Libanon im Deutschlandfunk als "schwer nachvollziehbar" bezeichnet hatte, in einem realistischeren Lichte.
Der Tote auf dem Weg nach Jerusalem
Fraglich bleibt, wie der wichtigste ideologische Bezugspunkt der libanesischen Hisbollah – der schiitische Iran und seinen geistigen Führer – auf die Eliminierung des Generalsekretäres der Hisbollah reagieren wollen oder werden. Nasrallah, dessen Bild oft in einer Ahnenreihe mit den beiden Ayjatollah Khomeini und Khamenei mit Hochachtung durch die Straßen nicht nur im Iran getragen wird, hinterlässt eine kaum füllbare Lücke.
Seine mehr als 30 Jahre an der Spitze des wichtigsten halbstaatlichen Akteur bringt den Iran in eine eskalative Situation – zwar wird man sich trotz der aktuellen Lage bewusst sein, was der kommende Schritt kosten mag, jedoch gerät man immer mehr in die Zwänge aus Ideologie, erstarkender Ultrakonservativen und dem eigenen Gesichtsverlust.
Nasrallah, der als Toter auf dem Weg in das – aus Sicht der Hisbollah – zu befreiende Jerusalem als Hauptstadt des Staates Palästina als Märtyrer gestorben ist, hinterlässt nicht nur einen Zedernstaat in Staatstrauer, sondern einen Iran der im UN-Sicherheitsrat eine Sondersitzung beantragte. Die Antwort aus Washington: Biden forderte eine Waffenruhe. Weltenbrand oder Frieden – Tel Aviv wird entscheiden.