Zoff um "Manifest für Frieden" geht weiter
Der Aufruf von Wagenknecht und Schwarzer sorgt für Kontroversen. Wer sich distanziert, wer sich heranwanzt – und wer sich von der Distanzierung distanziert.
Die Auseinandersetzung um das "Manifest für Frieden" geht weiter – gesamtgesellschaftlich und innerhalb der Partei von Mitinitiatorin Sahra Wagenknecht (Die Linke), die den Aufruf am 10. Februar als Privatperson mit der Feministin Alice Schwarzer veröffentlicht und für eine Großdemonstration am kommenden Samstag in Berlin geworben hatte.
Der Parteivorstand der Linken bleibt auf Distanz: "Ganz konkret fehlt uns in dem Aufruf die klare Abgrenzung nach rechts, die nämlich augenblicklich dazu führt, dass namhafte Nazis und rechte Organisationen diesen Aufruf unterstützen und massiv zu der Demo am 25. mobilisieren", sagte Bundesgeschäftsführer Tobias Bank am Montag in Berlin.
Stattdessen seien Parteimitglieder aufgerufen, rund um den Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 an dezentral organisierten Protesten teilzunehmen. Kernforderungen seien der Abzug russischer Truppen aus der Ukraine, aber auch, dass "die Bundesregierung anstatt aufzurüsten die Eskalationsspirale endlich durchbrechen muss", sagte Bank.
Banks Hinweis auf "namhafte Nazis und rechte Organisationen" bezog sich allerdings nicht auf die Erstunterzeichner, die von den Initiatorinnen bewusst ausgesucht wurden. Mehr als 566.000 weitere Personen hatten das Manifest bis zu diesem Montagnachmittag auf der Kampagenplattform Change.org unterzeichnet.
Einer der 69 Erstunterzeichner, der Politologe Johannes Varwick, ist allerdings inzwischen abgesprungen, ohne sich vom Inhalt zu distanzieren. Er trage die Stoßrichtung des Manifests weiter mit – unter den weiteren Unterzeichnern seien jedoch "zunehmend Personen dabei, mit denen ich nicht gemeinsam genannt werden mochte", hatte Varwick zur Begründung erklärt.
Unter anderem hatte der AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla das Manifest unterzeichnet. Daraufhin hatte Wagenknecht allerdings gegenüber dem Spiegel klargestellt, dass sie keine Unterstützung von der AfD wünscht. Die Liste der Erstunterzeichner – die vom linken bis ins konservative Lager reicht – mache deutlich, "mit wem wir zusammenarbeiten und von wem wir uns Unterstützung erhoffen – und von wem eben auch nicht", so Wagenknecht.
Hin und Her: Rechte sehen "spektakuläre Kehrtwende"
Diese Distanzierung war einigen ihrer Parteifreunde nicht deutlich genug. Hinzu kam wenig später ihre Antwort auf die Frage, was sie täte, wenn 10.000 Rechtsextreme auf ihre Kundgebung kämen: Es sei jeder willkommen, "der ehrlichen Herzens für Frieden und für Verhandlungen demonstrieren möchte", sagte Wagenknecht kurz darauf in einem Doppelinterview mit Schwarzer, das am 16. Februar von Spiegel Online veröffentlicht wurde. Rechtsextreme Flaggen und Symbole seien aber tabu, stellte sie klar.
Ähnlich hatte sich auch der Erstunterzeichner Oskar Lafontaine, Ex-SPD- und Linke-Politiker sowie Wagenknechts Ehemann, im Gespräch mit einer Influencerin dazu geäußert. "Da gibt es keine Gesinnungsprüfung", hatte Lafontaine erklärt.
Als "spektakuläre Kehrtwende" und Wiedereinladung der AfD wird dies beim ultrarechten Compact-Magazin sowie beim dazugehörigen Internetsender Compact-TV verstanden. Dort wurde am Samstag berichtet, Lafontaine habe jetzt "alle AfD-Anhänger und patriotische Andersdenkende eingeladen".
Political Stalking?
Zuvor hatte Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer, "das patriotische Lager und das Lager der Querdenker" dazu aufgerufen, die Kundgebung am 25. Februar am Brandenburger Tor zu "fluten" – und zwar "mit Deutschlandfahnen".
Dabei nutzte er Formulierungen, die an einen Stalker erinnerten: Man solle der Veranstaltung nicht "wie enttäuschte Liebhaber" fernbleiben, nicht sagen "Die will uns nicht, da gehen wir nicht hin", sondern Wagenknecht "helfen", da sie selbst vor der "Querfront" noch ein bisschen zurückschrecke. Der ganze Platz müsse voll sein mit Deutschlandfahnen, betonte Elsässer.
Wagenknecht verteidigt sich in linker Tageszeitung
Eine Anfrage von Telepolis, wie das Organisationsteam darauf reagieren wolle, ließ Wagenknecht nun fast drei volle Werktage unbeantwortet. Allerdings musste sie sich auch mit heftigen Vorwürfen auseinandersetzen, die sich gegen den friedenspolitischen Inhalt des Manifests selbst richteten.
Dagegen verteidigte sie sich und die Erstunterzeichner in der linken Tageszeitung junge Welt: "Panzer bringen keinen Frieden, wir brauchen Diplomatie statt Waffen – mit dieser Forderung treffen wir einen Nerv", schrieb sie in einem Gastkommentar für die Wochenendausgabe. "Das zeigen auch die gereizten Reaktionen in etablierten Medien: Naiv und zynisch sei das Manifest, unmoralisch und gefährlich ihre Initiatoren, welche angeblich Putin in die Hände spielen und sich über Beifall und Unterstützung von rechts freuen", so Wagenknecht weiter.
Wer reitet voller Schadenfreude darauf herum, dass auch der AfD-Chef Chrupalla das "Manifest für Frieden" online unterzeichnet hat – und verliert kaum ein Wort über die Erstunterzeichner des Manifests aus dem Spektrum von SPD, Union oder Grünen? Und wen stärkt man, indem man populäre Forderungen nach Frieden und Diplomatie als AfD-nah diffamiert?
Sahra Wagenknecht in einem Gastkommentar für die junge Welt
Auch prominente Linke-Politiker wie der Bundestagsabgeordnete und Ex-Parteichef Gregor Gysi unterstützen das Manifest und die geplante Kundgebung. Beides sei "in einer Atmosphäre der Kriegshysterie dringend notwendig", twitterte Gysi, der zur Zeit außenpolitischer Sprecher der Fraktion ist und in der Partei bisher nicht zum "Wagenknecht-Lager" gezählt wird, vergangene Woche.
Die Distanzierung von der Distanzierung
Zwei weitere Fraktionskollegen von Wagenknecht und Gysi – Klaus Ernst und Alexander Ulrich – distanzierten sich am Wochenende bereits von der Distanzierung des Parteivorstands.
"Eine Linke, die sich von der größten friedenspolitischen Aktion seit Jahren distanziert, hat jeden Anspruch, Friedenspartei zu sein, aufgegeben", schrieben sie in einer gemeinsamen Pressemitteilung. "Sie braucht sich dann auch nicht mehr zu wundern, dass ihr die Wähler und Sympathisanten massenhaft weglaufen." Der Parteivorstand habe sich mit dieser Entscheidung "aufs peinlichste blamiert".
"Nazis, Schwurbel, Terfs, SED-Nostalgiker:innen"
Eine eher kleine, scheinbar karnevalsbegeisterte Gruppe namens "Antiverschwurbelte Aktion" ruft unterdessen via Facebook und Telegram zu einer Gegendemo zu der Großkundgebung am Brandenburger Tor auf.
Interessierte werden aufgefordert, sich als Echsen zu verkleiden und Kartons mitzubringen, um einen symbolischen "antiverschwurbelten Schutzwall" gegen "Nazis, Schwurbel, Terfs, SED-Nostalgiker:innen" zu errichten. Das Kürzel "Terfs" bezieht sich dabei auf Feministinnen aus Alice Schwarzers Spektrum, denen Transfeindlichkeit vorgeworfen wird.