Zombiefrauen fürs Kinderzimmer
Mit "Silent Hill: Shattered Memories" macht Konami seinem Spieltitel alle Ehre und profaniert die Erinnerung an ein großartiges Spielkonzept
Nachdem schon der fünfte Teil der Silent-Hill-Reihe narrativ wieder eher zu den Ursprüngen zurückgekehrt war und die Konstellation „Mann sucht verschwundenes Kind“ des ersten Teils aufnahm, hat man sich bei Konami nun entschlossen, die Story vom ersten Spiel noch einmal aufzugreifen und für die Wii-Konsole kompatibel zu machen. Dabei sind ein paar interessante Konzepte angedacht worden, die dann jedoch wieder den üblichen Controller-Spielchen geopfert wurden.
Silent Hill ist ein verschneites Örtchen. Ein Mann, wir erfahren später, dass er Psychotherapeut ist, gießt sich ein Glas Whiskey ein. Kurz darauf erscheint ein anderer Mann bei ihm – sein Patient. Er hatte einen Autounfall, bei dem seine Tochter verschwunden ist. Auf der Suche nach ihr hat sich seine Heimatstadt Silent Hill in einen labyrinthartigen Albtraum verwandelt: Niemand dort kennt ihn, in seinem Haus wohnen fremde Menschen und von Zeit zu Zeit zerfällt die ohnehin surreale Kulisse des Städtchens und gehäutete Monster-Frauen tauchen auf und verfolgen den Mann und bespringen ihn. Davon berichtet er seinem Psychologen, der ihn zwischendurch immer wieder Fragen zu seiner Person und seinen Vorlieben stellt.
„This Game plays you!“
Der Prolog des Spiels führt nicht nur in die Hintergrundgeschichte ein – er „klassifiziert“ auch den Spieler. Der verzweifelte Vater, dessen Rolle man einnimmt, bekommt zwischen den Spielsequenzen immer wieder Fragebögen vorgelegt oder Bilder gezeigt, die er ausfüllen und ausmalen soll. Je nachdem, wie er sich entscheidet, wird das Spiel ausgestaltet: Führt man einen allzu lockeren Lebenswandel ist die Polizistin, die einem begegnet, trotz Frost und Schneefall mit einem tief dekolletierten T-Shirt bekleidet und eine Bar, die ansonsten verschlossen ist, wird zu einem ersten wichtigen Anlaufpunkt. Ein auf Papier ausgemaltes Haus bekommt in den Spiel-Sequenzen die Farbe, mit der man zuvor das Blatt bemalt hat usw. Die „Warnung“ im Prolog zum Spiel verspricht, dass vom Spieler ein Profil erstellt würde, mit dessen Hilfe seine Angst-Klaviatur besser bespielt werden kann. Facebook goes survival horror ...
Das Spiel ist also in zwei zeitlich unterschiedlichen Settings angesiedelt: Es gibt eine erzählte Gegenwart, in der man beim Therapeuten sitzt und ihm Fragen beantwortet (man kann auch mit der Wii-Mote schütteln, um zu nicken oder zu verneinen); im zweiten Setting befindet man sich in der Erinnerungswelt der Spielfigur, von der sie dem Therapeuten offenbar berichtet, welche im Bericht allerdings (durch den Spieler) erst spielerisch konstruiert wird.
Ein nicht uninteressantes Konzept von aktiver Erinnerungsleistung, das „Silent Hill: Shattered Memories“ hier anbietet: Die „Erinnerungsfragmente“ fügen sich erst zu einer Erzählung zusammen – die gesamte Story ist damit nichts weniger als ein vielleicht neurotisches Memogramm der Spielfigur. Bestimmte narrativer Identitätsbildung (von Paul Riceur bis Kenneth J. Gergen) finden hier ihre Entsprechung. Dass nun in die Konstruktion der sich erinnernden Figur auch „psychologische Aspekte“ des Spielers einfließen, stört dieses Konzept allerdings, denn die Erinnerungsarbeit wird für den Spieler nicht bloß „subjektiv“ gestaltet.
Mediale Störzeichen
Vielmehr werden uns die Spiel-Sequenzen in „Silent Hill: Shattered Memories“ wie die Aufzeichnungen eines Videorekorders präsentiert: Das Bild ist ständig an den oberen und unteren Rändern mit Bildstörungen versehen, die dann besonders stark werden (und dann auch ins Spielbild hineinreichen), wenn es zu brenzligen Situationen kommt. Ob sich Videospielfiguren, würden sie außerhalb von Spielen existieren, in Form von Videofilmen erinnern, ist eine müßige Frage; der Spieler tut es jedenfalls nicht. „Silent Hill: Shattered Memories“ ist aber beständig bemüht, Spielfigur und Spieler zu identifizieren. Der ästhetische Bruch in der Erinnerungsdarstellung erscheint deshalb umso fragwürdiger.
Die Bindung des Spielgeschehens an den Spielerkörper ist durch die Bedienung der Figur mit der Wii-Mote und dem Nunchuck auch somatisch angepeilt. Man steuert die Figur mit einer Taschenlampe, was zum Glück nicht so lähmend langweilig wie im kürzlich erschienen Wii-Spiel Ju-On ausfällt. Für die Koordination im Spiel (Karten, Informationen, Inventory, Speicherfunktionen) besitzt die Spielfigur ein Smartphone. Damit kann man u. a. Fotos von der Parallelwelt aufnehmen, von Gegenständen, die zuvor nur als Schemen (oder eben Bildstörungen des Erinnerungsvideofilms) erkennbar waren. Viele Gegenstände in der Spielwelt besitzen „Erinnerungen“, die sich einem seltsamerweise als SMS auf dem Smartphone mitteilen, sobald man ihnen nahekommt.
Ein interessanter – aber eben auch inkonsequenter – Effekt erscheint, wenn die Spielfigur auf diesem Smartphone angerufen wird: dann klingelt die Wii-Mote, man muss an ihr das Gespräch entgegen nehmen und hört aus ihrem Lautsprecher den Anrufer. In diesem Moment verlässt das Spiel jedoch die 1st-Person-Perspektive und zeigt uns die Spielfigur en toto, wie sie telefoniert. Das wirkt in dem Moment eher als Distanz- denn als Identifikationsgeste.
Control over Substance?
Wie bei vielen Wii-Spielen wirkt es auch bei „Silent Hill: Shattered Memories“ zeitweilig so, als sei das Spiel um die Steuerungsideen herum programmiert worden. Anders lässt es sich nur schwer erklären, warum etliche erfolgreiche Aspekte der Serien-Geschichte im jüngsten Teil gar keine Rolle mehr spielen. Das beginnt bereits bei der Ausgestaltung der Story: Die Vater-sucht-Tochter-Geschichte enthält kaum neue Aspekte und wirkt durch ihre Rahmung (die Nacherzählung beim Therapeuten) auch so, als sei sie nur ein Vehikel um die Erinnerungsarbeit auf Trab zu halten. Rätsel sind bewusst einfach gestaltet – man will dem Spieler nicht zumuten zu einem vergessenen Gegenstand zurückkehren zu müssen und platziert daher benötigte Utensilien (vor allem Schlüssel) immer in direkter Nähe zum Einsatzort. Und auch die Horror-Ästhetiken greifen im jüngsten Spiel kaum noch.
Die einzigen Monster, denen man begegnet, sind Zombie-Figuren mit weiblichem Körper, gehäutet und in den Horrorsequenzen (die Silent-Hill-typisch durch ein Zerbröseln der Heilewelt-Fassade eingeleitet werden) immer plötzlich da und der Figur dicht auf den Fersen. Erreichen sie die Figur, bespringen sie sie und man kann sie durch Schütteln der Wii-Mote abwerfen. Das von den Zombie-Frauen Besprungenwerden laugt die männliche Spielfigur allerdings so sehr aus, dass sie zuerst lahmt und schließlich - sozusagen in einer finalen Refraktärphase - tot zusammenbricht. Am letzten „Savepoint“ beginnt dann ein neuer Versuch. Die Figur kann leider auch nur vor den Monsterfrauen fliehen, sie mit zufällig in der Gegend herumliegenden Fackeln auf Distanz halten oder Teile des Interieurs umwerfen, damit sie in ihrer Verfolgung abgebremst werden.
Warum man gefundene Gegenstände nicht als Waffen benutzen kann – selbst ein gefundenes Jagdmesser lässt sich nur als „Erinnerungsstück“ verwahren – bleibt ein Rätsel (selbst, wenn man sich im psychologischen Profil zuvor als Grobian chauvinistischer dargestellt hat). Der Grusel und die Ausweglosigkeit hätten effektiver gestaltet werden können, hätte man sich etwa an den schwebenden Zombie-Figuren aus „Silent Hill 4: The Room“ orientiert. Die waren ebenso unbesiegbar aber in ihrer Präsenz wesentlich gruseliger. In „Shattered Memories“ aber bleibt nur die Flucht der Figur durch ein gut ausgeschildertes Labyrinth zurück in die „Realität“ von Silent Hill. Die Steuerung dieser Flucht verursacht dabei noch den größten Horror.
Jugend, beweg dich!
Das Lenken der Spielfigur mit Wii-Mote und Nunchuck ist beschwerlich und ermüdet Arm- und Schultermuskulatur recht schnell. So kann „Silent Hill: Shattered Memories“ schnell zu einem recht peinigenden Spielerlebnis werden – vielleicht auch ein somatischer Effekt der Identifikation des Spielers mit der Spielfigur. Auf die für die Serie teilweise recht blutigen Bildästhetiken hat man im jüngsten „Silent Hill“-Spross gänzlich verzichtet. Das Spiel ist mit USK-16 bewertet worden, hätte aber sicherlich auch eine „12“ bekommen – wenn es dann als Horrorspiel wohl auch schwer verkaufbar gewesen wäre.
Zeitgleich mit der Wii-Version erscheint auch eine Variante für die PS2 und die PSP. Hier dürfte interessant sein, wie das Steuerungskonzept auf die nicht bewegungssensitiven Kontroller bzw. das Handheld angepasst werden wird. Wahrscheinlich wird sich erst in diesen Adaptionen zeigen, wie wenig Substanz das Spiel als solches eigentlich besitzt, zieht man die Schüttel-Gimmicks davon ab.
Dieser Artikel basiert auf einem Vorabtest des Spiels im Zuge einer Pressevorstellung Konamis in Berlin. Die Testversion ist noch nicht mit dem später erhältlichen Spiel identisch, das Gameplay und die Spielhandlung in der Testversion sind laut Presseagentur jedoch bereits fertig gestellt.