Zu Tode erstarrt im Netz der ewigen Neinsager

Seite 3: Hartz IV und die Nutznießer der sozialen Misere

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Rund um Hartz IV haben sich nämlich alle möglichen Nutznießer der sozialen Misere in diesem Lande bequem breitgemacht: Fortbildungseinrichtungen, private Arbeitsvermittler, Jobcenters, Rechtsanwälte und Wohlfahrtsunternehmen. Es gibt Hartz-IV-Supermärkte, Hartz-IV-Kleiderkammern und Hartz-IV-Tafeln.

Hartz IV hält eine vor wirtschaftlicher Gesundheit schier aus den Nähten platzende Armutsindustrie am Leben, die auf jeden Fall mehr öffentliche Gelder einstreicht als die Hartz-IV-Empfänger selbst. Auf dem Korpus der Armen und sozial Geschwächten schwärt eine riesige Pestbeule. Und die Hartz-IV-Empfänger sind die unschuldigen Wirtstiere, mit deren Hilfe sich die Pest ausbreitet.

Je mehr Menschen auf staatliche Hilfe angewiesen sind, desto besser geht es dem Hartz-IV-Business. Klar, dass denen nichts wichtiger ist, als sich diese Einnahmequelle zu erhalten. Nach den Erfahrungen mit besonders hartnäckigen Bürokratien ist es nicht einmal abwegig zu vermuten, dass die Hartz-IV-Wirtschaft selbst noch weiter wachsen und gedeihen würde, nachdem der letzte Hartz-IV-Empfänger gestorben ist.

Zu den Ausgabeposten zählen auch virtuelle Supermärkte, die Langzeitarbeitslosen angeblich das geregelte Arbeiten im Einzelhandel beibringen. Menschen, die seit mehr als einem Jahr keinen festen Job haben, sollen sich auf eher spielerische Weise mit den Berufsmöglichkeiten in Ladengeschäften vertraut machen. Wie Kinder lernen Langzeitarbeitslose, im Kaufmannsladen mit Spielgeld einkaufen und verkaufen.

Abwechselnd spielen sie Kunden, Lageristen oder Kassierer. "Was darf’s denn sein?" - "Ich hätte gern ein Glas saure Gurken und eine Zitrone." - "Darf’s auch noch bisschen Wurst sein?" - "Nein, danke." - "Das macht dann zwei Euro dreißig." Das Gemüse, das sie abwechselnd kaufen und verkaufen, ist aus Gummi, der Käse aufblasbar, die Salami aus Papier, der Wein besteht aus gefärbtem Wasser. An der Kasse zahlen sie mit Spielgeld, ganz wie im richtigen Kinderzimmer. Welcher Hirnamputierte hat sich diesen niederträchtigen Schwachsinn ausgedacht?

Dahinter steht die Überlegung, so könne man ernsthaft Langzeitarbeitslose zurück in die menschliche Zivilisation holen. Ja, haben die denn bisher im Urwald gelebt? Arbeitslose sollen lernen, wie es in Supermärkten zugeht und was dort gearbeitet wird - ganz so als ob sie von einem fremden Stern kämen. Die virtuellen Kaufmannsläden verdienen mit dem hirnrissigen Quatsch ordentlich Geld; denn für jeden Kursteilnehmer zahlt die Bundesagentur für Arbeit 500 bis 800 Euro pro Monat - das sind pro Jahr mehrere hunderttausend Euro.

Hartz-IV sollte nach den ursprünglichen Plänen eigentlich auch die Sozialgerichte entlasten. Doch das Gegenteil ist eingetreten. Die Reform bescherte den Gerichten eine wahre Prozesslawine. Allein das größte deutsche Sozialgericht in Berlin verzeichnete 2010 rund 32.000 neue Klagen gegen das Arbeitslosengeld II.

Davon profitieren am meisten die Rechtsanwälte. Die Hartz-IV-Empfänger stellen für sie eine munter sprudelnde Geldquelle dar. Pro Klage bekommen sie mehrere hundert Euro, die natürlich der Steuerzahler zahlt; denn Hartz-IV-Empfänger können zum Nulltarif klagen. Sie müssen nämlich keine Prozesskosten erstatten - und zwar völlig unabhängig davon, ob sie den Prozess gewinnen oder verlieren.

Eine sichere Einnahmequelle ist beispielsweise die Untätigkeitsklage, wenn eine Behörde mit der Arbeit nicht hinterherkommt. Eigentlich sollen Untätigkeitsklagen verhindern, dass Behörden Verfahren absichtlich verschleppen. Bei Hartz IV zieht sich die Vielzahl der Fälle allerdings dadurch in die Länge, dass die Behörden hoffnungslos überlastet sind. Also klagt man wegen Untätigkeit. Ein Anwalt verdient daran auf die Schnelle gut hundert Euro extra. Dem Hartz-IV-Empfänger bringt das dagegen in der Regel wenig oder gar nichts. Aber darauf kommt das ja auch gar nicht an.

Auch die mangelhafte Ausstattung der Arbeitsagenturen mit Computersoftware bringt den Anwälten stete Einnahmen. Das Gesetz schreibt vor, dass alle Zahlungen an Hartz-IV-Empfänger auf glatte Eurobeträge gerundet werden müssen. Doch die Software macht das häufig nicht ordentlich. Und so klagen Hartz-IV-Anwälte gegen alle ungeraden Beträge in den Bescheiden. Die Hartz-IV-Empfänger bekommen so vielleicht ein paar Cent mehr im Monat, die Juristen hingegen mehrere hundert Euro pro Klage. Der Steuerzahler zahlt.

Auch die privaten Arbeitsvermittler profitieren satt und haben sich zu einem florierenden Gewerbe entwickelt, dem es auf jeden Fall besser als den Arbeitssuchenden geht. Sie arbeiten auf Provisionsbasis. Gelingt es, einen Hartz-Empfänger an ein Unternehmen zu vermitteln, bekommt der Vermittler einen Gutschein über 2.500 Euro.

Dabei schien das zunächst eine gute Idee zu sein: Private Vermittler bringen Arbeitslose in Jobs, die Arbeitsagentur bezahlt sie dafür, durch einen Vermittlungsgutschein. Doch die Wirklichkeit sieht - wie so oft - völlig anders aus.

Die privat Vermittelten werden nach kurzer Zeit schon wieder entlassen. Nach einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) bleiben Arbeitslose, die privat vermittelt wurden, zu nur 47 Prozent mindestens sechs Monate lang im vermittelten Job. Und das IAB sieht Mitnahmeeffekte bei Betrieben, die Stellen über private Vermittler mit Einlösung des Vermittlungsgutscheins vergeben, die sie sonst auch besetzt hätten.

Private Arbeitsvermittler und Unternehmer machen mit dem Vermittlungsgutschein trotzdem Kasse, teilweise auch illegal. Die privaten Arbeitsvermittler gehören zu den zwielichtigsten Erscheinungen im Hartz-IV-Business. Laut Statistik der Bundesagentur werden pro Jahr etwa 45.000 Gutscheine abgerechnet. Viele durch Scheinvermittlungen an Scheinfirmen.

In einem bekannt gewordenen Fall funktionierte das so: Eine Gruppe von Leuten betrieb neben ihrer Vermittlungsfirma auch eine angebliche Leiharbeitsfirma. Die Vermittlungsfirma vermittelte an die "Leiharbeitsfirma" und kassierte dafür eine Prämie von der Arbeitsagentur. Sobald das Geld da war, wurde den Betroffenen gekündigt. Und obwohl die die Behörden die Masche durchschauten, konnten sie nichts dagegen tun. Formal war alles in Ordnung. Die vier Männer hatten ihre Frauen zu Geschäftsführerinnen ernannt, um die Wechselbeziehung zwischen ihren Unternehmen zu verschleiern. Erst als die Bande begann, die Unterschriften von Langzeitarbeitslosen zu fälschen, konnte das kriminelle Treiben beendet werden.

Wer naiv ist, könnte glauben, die Politik würde der Branche auf die Finger klopfen. Doch das tut sie nicht. Sie hält unverdrossen weiter daran fest. Privatinitiative und so. Den Parteien der Regierungskoalition kommt das entgegen; denn die privaten Vermittler sind gut für die Statistik. Jeder Erwerbslose, den die privaten Vermittler unter ihre Fittiche nehmen, verschwindet aus den offiziellen Arbeitslosenzahlen.

Wohlgemerkt, nicht jeder, der erfolgreich vermittelt wird. Schon jeder, den der private Vermittler zu vermitteln versucht, auch wenn ihm das nicht gelingt. Der ist dann zwar so arbeitslos wie eh und je, aber laut Statistik ist er in Brot und Arbeit.

Nochmal ganz langsam zum Mitschreiben: Jemand, der als Kunde bei der Agentur für Arbeit registriert ist, gilt als arbeitslos und bekommt Arbeitslosengeld. Jemand, der bei einem privaten Arbeitsvermittler gemeldet ist, bekommt auch Arbeitslosengeld von der Agentur für Arbeit, aber er ist nicht arbeitslos. In der Statistik kommt er nicht als Arbeitsloser vor.

Lügen mit Statistik ist eine hochamtliche Angelegenheit. Wenn sich ein Kabarettist einen solchen hanebüchenen Unsinn als Plot für einen Sketch ausgedacht hätte, würde jeder sagen: Das ist viel zu dick aufgetragen.

Man sagt der offiziellen Statistik nichts Übles nach, wenn man ihr bescheinigt, sie sei eine einzige Fälscherwerkstatt. Sie fälscht die offizielle Arbeitslosenstatistik. Und sie ist auch noch unvorstellbar plump und dumm dabei. Warum? Weil sie es kann. Weil sie sich gar keine Mühe mehr dabei geben muss, wenn sie Zahlen und Daten fälscht. Was die Bevölkerung oder gar die Betroffenen dazu sagen, ist ihr sowieso egal. Das interessiert die Politik schon lange nicht mehr.

Die einst allein für den guten Zweck gegründeten, fast tausend "Tafeln" in Deutschland, in denen ein paar ehrenamtliche Rentner altes Brot und dünne Suppen verteilten, haben sich dank Hartz IV zum Riesengeschäft entwickelt, das mit gutherziger Wohltätigkeit nur noch wenig zu tun hat. Das Prinzip ist bekannt: Die großen Supermärkte geben an die "Tafeln", was sie nicht mehr verkaufen können: Fleisch, Gemüse, Brot.

Mit Hartz IV wurde aus der karitativen Suppenküchen-Bewegung ein Fürsorgekonzern mit mehr als einer Million Stammkunden und einem Filialnetz, von dem viele Discounter nur träumen können. "Tafel" ist als Markenname sogar patentamtlich geschützt. Die Tafeln betreiben einen Fuhrpark mit 4.700 Fahrzeugen, die abholen, was sonst weggeworfen würde.

Bei den meisten Spendern steht nicht Mildtätigkeit, sondern Renditekalkül im Vordergrund. Durch ihre Spenden sparen die Händler Abfallgebühren in Millionenhöhe und können darüber hinaus auch noch jede abgegebene Ware als Spende von der Steuer absetzen. Die Berliner Tafel hat ausgerechnet, dass sie selbst im Jahr noch etwa 40.000 Euro zahlen muss, um Biomüll - Gemüse, das auf dem Weg zur Tafel welk geworden ist - zu entsorgen. Dabei werden längst nicht alle gespendeten Waren an Bedürftige weitergegeben. Selbst für welkes Gemüse stellen die Tafeln eine Spendenquittung aus, die dem Verkaufswert von frischer Ware entspricht.

Bei Vermietern sind Hartz-IV-Empfänger richtig beliebt. Pünktlich zum Monatsersten zahlt die Bundesagentur für Arbeit ihre Miete. Darauf ist Verlass. Im Idealfall unterschreibt der Bedürftige eine Abtretungserklärung. Dann kann der Vermieter sicher sein, dass das Amt ihm die Miete direkt aufs Konto überweist. So summieren sich die von der Arbeitsagentur gezahlten Mietkosten auf über eine Milliarde Euro.

Eine Studie des Bundesministeriums für Arbeit fand, so werde eine Mietkostenspirale in Gang gesetzt. Hartz-IV-Empfänger treten in Konkurrenz zu Niedrigverdienern wie Studenten und Rentnern, die sich höhere Mieten nicht leisten können. Und eine vom Bundesbauministerium geförderte Studie kam zu dem niederschmetternden Resultat, Hartz IV habe "Potenziale für Miet- und Erlössteigerungen" eröffnet, "die häufig auch genutzt werden". Die Konkurrenzfähigkeit der Bezieher von Niedrigeinkommen gegenüber Langzeitarbeitslosen könne sich verschlechtern. Und so muss am Ende wieder der Staat einspringen, damit sich auch Geringverdiener eine Hartz-Wohnung leisten können - in Form von Wohngeld oder Hartz IV für Aufstocker. Es ist eine absurde Welt.

2009 legten die zuständigen Behörden in Berlin fest, dass einem alleinstehenden Hartz-IV-Empfänger eine Monatsmiete von bis zu 378 Euro grundsätzlich erstattet werden sollte. Vorher hatte die Grenze bei 360 Euro gelegen. Die in der Stadt regierende Koalition aus SPD und Linkspartei rühmte sich einer sozialen Wohltat.

Tatsächlich stiegen auf geheimnisvolle Weise von einem auf den anderen Tag die Mieten, oft um genau den Betrag, der durch die neue Erstattungsgrenze möglich geworden war. Es kam wie so oft: Bei den wirklich Bedürftigen blieb nichts hängen. Der Geldsegen aus Steuermitteln kam anderen zugute.

So oder so brummt das Geschäft mit der Arbeitslosigkeit. Milliardenbeträge verschwinden für sinnlose Ein-Euro-Jobs und eine monströse Bürokratie. Während die Arbeitslosigkeit unter qualifizierten Beschäftigten im Konjunkturaufschwung stark zurückgeht, sinkt die Zahl der Hartz-IV-Empfänger kaum. Wer länger als zwölf Monate arbeitslos ist, den sortiert das System offenbar aus. Die Hartz-IV-Reform hat ihr wichtigstes Ziel verfehlt. Sie hat keine deutliche Verkürzung der Arbeitslosigkeitsperioden gebracht.