Zu gut für diese Welt

Von Aufstieg und Untergang eines deutschen Automobil-Pioniers und von der Rückkehr seines Lebenswerks

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"Isabella" - so mancher ältere Herr wird sich bei der Nennung dieses Namens in seinem Sessel zurücklehnen und wehmütig seine Gedanken in die Vergangenheit schweifen lassen. Es ist vielleicht die verflossene Jugendliebe, der er nachhängt - wahrscheinlicher aber eines der schönsten Autos aller Zeiten, eine technische Meisterleistung aus einem Bremer Werk, die noch heute die Fantasie der Automobil-Ästheten bewegt.

Carl F. W. Borgward (links)

Es gibt viele vom Kult umflorte Oldtimer, die Borgward Isabella hat jedoch einen ganz eigenen Charakter, der nicht nur Menschen begeistert, die den Wagen früher besessen haben, sondern durch sein zeitloses Design in zunehmenden Maße auch junge Menschen zu interessieren beginnt. Ein Häuflein Aufrechter ist es, das seit Jahrzehnten das Andenken an das legendäre Modell lebendig hält - in den letzten Jahren verstärkt unter Zuhilfenahme des WWW.

Da gibt es den Dachverband, die Borgward I.G., der allerhand Historie und Bildmaterial bereithält. Da findet sich ein Mitkonstrukteur des Wagens, Peter Kurze, der seine eigenen Erkenntnisse und Erlebnisse aus den Borgward-Jahren in Buchform zugänglich macht. Und es findet sich eine kleine Werkstätte wie die Firma Automobiliar Schreiber, wo seltene Isabella-Varianten wie das Cabrio in einen schier neuwertigen Zustand versetzt werden, so dass die Chance, einem dieser Autos auf deutschen Straßen zu begegnen, von Jahr zu Jahr steigt. Nicht selten, so ist aus Liebhaber-Kreisen zu vernehmen, sieht man ergriffene Menschen begeistert winkend am Straßenrand stehen.

Um der speziellen Faszination der Isabella auf die Spur zu kommen, gilt es, einen weiten Sprung zurück in die Pionierzeit des deutschen PKW-Baus zu wagen. Dort stoßen wir auf die Geschichte eines wahren Willensmenschen, der sein Leben lang nichts anderes wollte, als die besten Automobile zu bauen. Als er das, nach dem tragischen Untergang der Firma, nicht mehr konnte oder besser durfte, starb er kurzerhand. Seine Geschichte ist eng mit der Deutschlands im 20. Jahrhundert verknüpft.

"Die Visitenkarte eines armseligen Narren"

Carl F. W. Borgward wurde am 10.11.1890 in Hamburg-Altona geboren. Der Knabe bekam die frühen Automobile dieser Zeit zu sehen und war tief beeindruckt. Angeblich hat er schon in den Kinderjahren versucht, aus Blech, Zahnrädern und Uhrfedern erste Modelle zu entwickeln. Aber Carl wollte richtige Autos bauen, und auf dieses Ziel hat er schon früh hingearbeitet. Nach einer Schlosserlehre studierte Borgward vier Semester an der höheren Maschinenbauschule in Hamburg, danach verschlug es ihn nach Hannover, wo er als Techniker und Werkmeister arbeitete und nebenher Vorlesungen an der Technischen Hochschule hörte.

1919 wurde er Teilhaber der "Bremer Reifenindustrie GmbH", 1921 übernahm er den Betrieb als selbständiger Unternehmer, um Kühler und Kotflügel für die Hansa-Lloyd-Werke herzustellen. Das Unternehmen hieß bald "Bremer Kühlerfabrik Borgward & Co." und gab 60 Menschen Arbeit. Das erste von Borgward mitkonzipierte Automobil entstand interessanterweise zunächst einmal für den firmeninternen Bedarf. Borgward war aufgefallen, dass die Transporte vom Lager zur Werkstatt zeitraubend und umständlich waren. Also konzipierte er mit seinem Obermeister Klie und dem Betriebsleiter Kynast den "Blitzkarren", ein dreirädriges Transportauto mit 2,2 PS, der immerhin 5 Zentner bewegen konnte. Zunächst wurde Borgward für seine Idee verspottet, der Blitzkarren wurde als "Visitenkarte eines armseligen Narren" verhöhnt. Trotzdem hatte er 1924 schon 100 Stück des verwegenen Gefährts verkauft. Der Kaufmann Wilhelm Tecklenborg trat als Teilhaber in die Firma ein und landete sofort einen guten Coup: Er verkaufte der "Deutschen Reichspost" etliche Exemplare, die daraufhin als Zustellwagen zum Einsatz kamen - ein nicht zu unterschätzender PR-Effekt. Auf der Basis des Blitzkarrens entwickelte Borgward einen etwas kräftigeren Nachfolger: den "Goliath"-Dreiradwagen, der einen Marktanteil bei Nutzfahrzeugen von 25 Prozent erreichte. Der Spott über den armseligen Narren legte sich schnell.

Parallel zum unvermuteten Aufstieg Borgwards mit dem Blitzkarren und dem Goliath war es mit seinem ursprünglichem Auftraggeber, den Hansa-Lloyd-Werken, stetig bergab gegangen. 1929 sperrten die Banken der Firma die Kredite und verkauften ihre Aktienmajorität an die "Goliath-Werke Borgward & Co.", wie die Firma seit 1928 hieß. Die nächste Umbenennung stand aber schon an: Nun firmierte man unter "Hansa-Lloyd-Goliath-Werke Borgward & Tecklenborg" und stellte weiterhin den Hansa-Lloyd-Mittelklassewagen "Konsul" her, aber auch einen kleinen dreirädrigen Personenwagen, den "Goliath Pionier", der gegen Aufpreis mit dem legendären "Schwiegermuttersitz" (außerhalb der Kabine!) ausgeliefert wurde.

Eine entscheidende Wende stellte für Borgward das Jahr 1933 und die Machtergreifung der Nationalsozialisten dar, von deren "Motorisierungsprogramm" er, wie alle anderen Auto-Hersteller auch, entscheidend profitierte. Der Hansa 1100, ein großer Personenwagen mit erlesener Formgebung, war ein großer Erfolg, ganz nebenbei positionierten sich die Werke aber auch als der erfolgreichste deutsche Hersteller von Lastwagen.

1937 überwarfen sich die beiden Geschäftspartner Tecklenborg und Borgward, Tecklenborg ließ sich auszahlen und hatte letztendlich aus einem Einsatz von 10.000 RM vier Millionen gemacht. In der Folge dieser Umstrukturierung wurde auch der Markenname Hansa durch Borgward ersetzt. 1938 wurde ein neues Werk in Sebaldsbrück eingeweiht, das als modernstes deutsches Produktionswerk der damaligen Zeit galt. Der letzte Höhepunkt vor einer langen Zeit der Krise, die durch Hitlers Kriegspläne und -führung ausgelöst wurde. Im selben Ausmaß, wie Borgward zum Beginn des 3. Reichs von den Plänen der Nationalsozialisten profitiert hatte, schadeten ihm und seinem Werk diese nun. Der unpolitische Ingenieur wurde zum Wehrwirtschaftsführer ernannt und zum Eintritt in "die Partei" genötigt.

Im Frühjahr 1939 wurde Borgward bedeutet, dass er nur noch einen Typ Personenwagen herzustellen habe, den neuen Borgward 2300. Davon abgesehen war nur noch die Produktion von kriegswichtigem Gerät erlaubt. Borgward musste nun Panzer und Torpedos bauen. Nach Beendigung des Krieges wurde er drei Jahre lang als Kriegsgefangener interniert, erst 1948 durfte er sein Werk wieder betreten. In Sebaldsdorf lag alles in Trümmern - das Werk war von den Aliierten in Grund und Boden gebombt worden. Mit 400 der früher 8000 Werksangehörigen vollbrachte F. W. das Unglaubliche und war schon im Juli 1948 mit seinen Aufräumarbeiten so weit gediehen, dass wieder Lastwagen produziert werden konnten. Nur wenig später, im März des nächsten Jahres, wurde die erste deutsche Personenwagen-Neukonstruktion nach dem Kriege, der Hansa 1500 auf dem Autosalon in Genf präsentiert. Auch dieser Wagen war seiner Zeit voraus: Zum erstklassigen Design kamen technische Neuerungen wie das erste Automatik-Getriebe, von Borgward "Hansamatic" getauft. Der 1500 war auch das erste deutsche Auto, das auf der Basis einer selbsttragenden Karosserie gebaut wurde. Neben diesem Luxusmodell wurden auch wieder Goliath-Dreiräder gebaut, außerdem ein PKW für den kleinen Geldbeutel: der LP300, der unter dem Spitznamen "Leukoplastbomber" Wirtschaftswundergeschichte schrieb.

Die Firma Borgward hatte Nazi-Regime und Krieg hinter sich gelassen. Probleme bereiteten nur die knappen Rohstoffzuteilungen. Borgward erwies sich als findiger Geschäftsmann und spaltete seine Firma in drei Gesellschaften auf: die "Goliath GmbH", die "Lloyd Maschinenfabrik" und die "Automobil- und Motorenwerke Carl F. W. Borgward GmbH". Nun konnte er die dreifache Ration erwarten.

In den frühen 50ern hatte Carl Borgward begonnen, sich nach neuen Produktionsstätten umzutun. Er erwarb einigen Grund in Bremen-Neustadt, um mit dem Bau neuer Werkshallen dem großen Erfolg seiner Modelle Rechnung zu tragen. Im Jahr 1954 wurde eine verbesserte Version des Hansa 1500 hergestellt, die nicht nur durch ihren Hochleistungsmotor (60 PS, 135 km/h) überzeugte, sondern durch die geschwungene, fast weiblich anmutende Linienführung. Genau diese war es auch, die Borgward und seine Marketing-Abteilung zu ihrem neuen Namen inspirierten: Borgward Isabella. Ein Traumauto war geboren, das auf dem Markt einschlug wie eine Bombe. Ein Wendepunkt in der Firmengeschichte. Borgward wird immer größer (während etwa die Bayerischen Motorenwerke www.bmw.com zur gleichen Zeit kurz vor dem Konkurs stehen) und weitet seinen Tätigkeitsbereich aus. Es gibt Borgward-Rennwagen, Schiffsmotoren - sogar Hubschrauber werden unter Leitung von Dr. Heinrich Focke von den Focke-Wulf-Werken konstruiert. 1959 ist Borgward extrem erfolgreich, besonders im Exportgeschäft. 63,5 Prozent der Produktion werden ins Ausland verkauft.

Im Herbst 1960 kommt es zu ersten Problemen: die Neukonstruktion Arabella weist anfangs Mängel auf, die zwar bald behoben werden, den Ruf des Automobils aber nachhaltig schädigen. So wird es zu einem Verlustgeschäft. Borgward, der seinen Konzern ganz ohne Bankmillionen aufgebaut hat, muss zur Abdeckung des Schadens erste Kredite aufnehmen, die allerdings allein durch Grundbesitz gedeckt sind. Ungünstigerweise sinken nun auch die Exportzahlen. Carl Borgward ist ein sozial denkender Arbeitgeber (seine Arbeiter nennen ihn "unseren Corl") und lehnt Entlassungen ab. Also nimmt er Ende 1960 weitere Kredite zur Überbrückung und Beschäftigungsgarantie auf, für welche die Banken eine Bürgschaft des Bremer Senats verlangen.

Schurkischer Plan des BMW-Konzerns in Verbund mit Deutscher Bank und Springer-Presse?

Im Januar 1961 beginnt ein nur schwer zu durchschauendes Gewirr aus lancierten Gerüchten, Politik/Wirtschafts-Kontakten und Geheimabsprachen. Borgward, der fest an eine Überwindung der Krise glaubt (kein Wunder, die Firma steht immer noch recht gut da) und eine Vergrößerung seiner Werke plant, wird von Pleitegerüchten überrascht, die von der Bild-Zeitung hinausposaunt werden, ohne dass es ernsthafte Anzeichen für einen Konkurs gegeben hätte. Sogar die Tagesschau lässt sich von der Pleiten-Hysterie anstecken. Und die Deutsche Bank, die der Firma von heute auf morgen den Kredit für Februar in Höhe von 10 Millionen DM sperrt. Nun fühlt sich auch der Bremer Senat auf den Plan gerufen und beruft eine Krisensitzung ein, die von morgens früh bis halb zwölf in der Nacht andauert. Der mittlerweile gut 70jährige Borgward kann dem Geschehen offensichtlich nicht mehr im ganzen Umfang folgen und begeht zum Ende der Konferenz seinen kapitalen Fehler: Er unterschreibt eine "entschädigungslose Abtretung der Werke an den Bremer Senat", da er der Überzeugung ist, es ginge um die Rettung seiner Werke, um den Fortbestand der Arbeitsplätze und das Überleben seiner geliebten Automobile. Weit gefehlt.

Denn der Senat hatte nichts besseres zu tun, als Borgward das Betreten des Firmengeländes zu untersagen und einen Mann von der Konkurrenz, nämlich Johannes Semler, seines Zeichens Aufsichtsratsvorsitzender von BMW, als Wirtschaftsprüfer und Leiter der "Sanierung" einzusetzen. Man stelle sich vor: Dieser "Fachmann" leitete wegen einer Summe von 10 Millionen das Konkursverfahren ein, während gleichzeitig die Borgward-Händler Deutschlands dem Senat anboten, Autos im Wert von 37,5 Millionen sofort abzunehmen! Ein Angebot, das nicht einmal ernsthaft erwogen wurde. Die Firma wurde abgewickelt, die Werke verkauft. Und die Bayerischen Motorenwerke hatten einen ernsthaften Konkurrenten weniger.

Wie sinnlos das Sterben dieser großen deutschen Marke war, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die Firma nicht eine müde Mark Schulden hinterlassen hat, jeder Gläubiger, Gesellschafter und Arbeiter wurde auf Heller und Pfennig ausgezahlt - und nachdem alle ihren Teil bekommen hatten, blieben sogar noch einige Millionen übrig! Verloren waren 23.000 Arbeitsplätze und verloren war das Lebenswerk eines großen deutschen Ingenieurs. Der letzten Isabella, die vom Band lief, hatten die Werksarbeiter ein Schild mit der Aufschrift "Du warst zu gut für diese Welt" umgehängt. Carl Borgward starb am 28. Juli 1963, während seine Werkshallen demontiert wurden:

Sein Herz hing an Automobilen. Als es für ihn keine mehr zu bauen gab, machte es nicht mehr mit.

Peter Michels im Buch "Borgward PKW"

BMW-Semler dagegen hat sich selbst für seine "Hilfe" eine Viertelmillion DM als Honorar überwiesen. Noch heute gibt es Menschen, die wegen dieser Geschichte BMW aus tiefstem Herzen verachten - inwieweit das Debakel allerdings lediglich Semler's totaler Unfähigkeit entsprang oder aber einem schurkischen Plan des Münchener Konzerns in Verbund mit Deutscher Bank und Springer-Presse, bleibt einstweilen ungeklärt.

Mit der Isabella ist Carl Borgward jedoch unsterblich geworden. In ihr vereinen sich alle Firmen-Trademarks wie erstklassige und innovative Verarbeitung und zeitlos edles Design zu einem Auto, dass in technischer Hinsicht mit jedem beliebigen Mittelklassewagen der Jetztzeit mithalten kann (zum Vergleich: der Motor hat die selben Leistungswerte wie der eines VW Golf: 1,5 ccm / 75 PS). Andreas Schreiber, durch jahrelange Erfahrung in der Restauration zum Experten geworden, weist auf das steigende Interesse an dem sagenumwobenen Automobil hin: "Noch vor ein paar Jahren waren es vornehmlich ältere Leute, die das Auto früher selbst gefahren haben, die sich dafür interessierten. In letzter Zeit erhalten wir mehr und mehr Anfragen von jüngeren Leuten, welche die große Zeit der Isabella gar nicht miterlebt haben können. Über das Internet melden sich mittlerweile Borgward-Fanatiker aus aller Herren Länder." Von den etwa 200 000 gebauten Exemplaren sind es wohl 1000, die heute noch bzw. wieder Deutschlands Straßen befahren, so schätzt er.

Auch ein Blick ins Web zeigt auf, wie groß das Interesse an dem Wagen heute ist. Es gibt Fanclubs, Werkstätten und Borgward-Treffen nicht nur in Deutschland, auch in Südafrika oder in Neuseeland wird der Isabella gehuldigt. Für viele Fans wäre ein Wiederaufleben der legendären Firma das Größte überhaupt. Dann allerdings würde sich die Geschichte wiederholen, denn das Prinzip Borgwards, für faire Preise extrem hohe Qualität zu liefern (und das bei humanen Produktionsbedingungen), würde in der heutigen Zeit noch weit größere Probleme aufwerfen. Interessant eigentlich, dass ein Mann, der mit seiner Firma Nationalsozialismus und Krieg überlebt hat, vom Kapitalismus in die Knie gezwungen werden konnte.