Zukunftsweisende Allianz zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Syrien?

Das Zweckbündnis der zwei ganz unterschiedlichen Systeme auf Druck von außen könnte die Region verändern und die Politik im Irak beeinflussen

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Anlässlich des Besuches des syrischen Präsidenten, Bashar Assad, letzte Woche im Iran bekräftigten beide Länder ihre Allianz gegen die „Verschwörungen“ der USA und Israel. Mit für Syrien ungewohnt scharfen Worten sprach Bashar Assad von den „bösen Zielen der USA und der Zionisten“. Der syrische und der iranische Präsident, Mahmoud Ahmadinedschad, waren sich einig, dass die Region auf der Hut sein müsse, denn „die Feinde wollen Uneinigkeit und Konflikte unter Muslimen kreieren“. Ein Zeichen von Stärke oder Zweckoptimismus von zwei Präsidenten, deren politischer Untergang nur noch eine Frage der Zeit ist?

In den letzten Wochen und Monaten wurde viel darüber spekuliert, ob und wann nun endlich die USA und/oder Israel den Iran angreifen. Auf alle Fälle noch vor dem Rücktritt Tony Blairs, meinen einige, da die Unterstützung des britischen Premiers, bekanntlich uneingeschränkter Befürworter im „Kampf gegen den Terror“, unbedingt nötig sei. Andere halten einen Angriff jederzeit möglich. Gerade Israel lässt sich in Dingen, bei denen es um die nationale Sicherheit und Existenz geht, nichts vorschreiben.

Bashar Assad und Mahmoud Ahmadinedschad: Freunde aus Not. Bild. Fars News

Geht es nach offiziellen Verlautbarungen „plant die USA keinen Krieg gegen den Iran“. Man würde auch keinen Grund dafür suchen, betonte Verteidigungsminister Robert Gates am vergangenen Donnerstag auf einer Pressekonferenz im Pentagon. Das muss man ja auch nicht mehr, der Grund liegt bereits vor: Die iranische Regierung liefert Waffen an schiitische Aufständische im Irak, mit denen US-amerikanische Truppen angegriffen werden. „Dagegen werde ich etwas tun“, erklärte Präsident George W. Bush letzten Mittwoch, obwohl er nicht beweisen könne, dass die Waffenlieferungen von oberster Stelle in Teheran angeordnet sind.

Alles ist offen. Die USA brauchen nur zum opportunen Zeitpunkt Beweise für eine direkte Beteiligung der iranischen Regierung an den Waffenlieferungen finden und der Kriegsgrund wäre perfekt. Was als Beweise gelten, dabei sind die USA bekanntermaßen flexibel. Jeder erinnert sich noch an die nicht vorhandenen bio-chemischen Waffenlager Saddam Husseins. Eine Episode, die sich übrigens nahtlos in die US-Kriegsgeschichte einreiht. Nachdem Ende des II. Weltkriegs gab es zahlreiche dieser fingierten Kriegsgründe. Der „Tonkin-Zwischenfall“, mit dem der Vietnamkrieg der USA im August 1964 startete, ist wohl einer der bekanntesten.

Vor Kriegen ist das Propagandamuster immer gleich. Zuerst erfolgt die Dämonisierung des Feindes als Inkarnation des Bösen, dem man aus einem höheren Grund (Demokratie, Freiheit) entgegentreten muss. Reicht das reale Bedrohungspotential des Feindes als Kriegsgrund nicht aus, wird es entweder erfunden oder eine feindliche Aggression inszeniert. Gleichzeitig versichert man der Öffentlichkeit, dass man einen „menschlichen Krieg“ führe. Zwischen US-Präsident Lyndon B. Johnson zu Beginn des Korea-Kriegs 1950 und Präsident George W. Bush vor der Irak-Invasion 2003 gibt es in der Argumentation kaum Unterschiede. Das Böse besiegen, keine zivilen Opfer, die eigene Freiheit sichern und den Anderen die Freiheit bringen. Zwischen 1950 und 2003 liegen eine Reihe von Militäreinsätzen, die man nach ähnlichen Strickmustern der Öffentlichkeit so präsentierte: Granada, Panama, Haiti, El Salvador, Honduras, Dominikanische Republik, Libyen oder auch Jugoslawien.

Im Iran und Syrien ist man sich gewiss bewusst, dass die Weichen für einen Militäreinsatz gestellt sind. Umso verwunderlicher die Entschiedenheit, mit der man als Gegner der USA und Israels auftritt. Neben dem Chaos im Irak, mag auch der Libanon-Krieg ein Grund dafür sein. Im vergangenen Sommer verpasste der gemeinsame Verbündete, Hisbollah, Israel einen Denkzettel. Statt das Problem der schiitischen Guerilla, wie von Israel angekündigt, ein für alle Mal zu lösen, ist der Libanon ein neuer Krisenherd. Das Fortbestehen der von den USA gestützten Regierung unter Premierminister Fuad Siniora hängt seit Ende des Krieges am seidenen Faden.

Trotz aller Pluspunkte für die Allianz von Syrien und Iran ist und bleibt sie ein unbequemer Faktor im strategischen Plan der USA für den Nahen Osten, den man lieber heute als morgen loswerden möchte. Eine Allianz, die Washington ironischerweise selbst erzeugt hat. „Ich habe keine andere Wahl“, soll Bashar Assad Professor David Lensch von der Trinity Universität gesagt haben. „Ich brauche auch Freunde.“ Nach dem Versuch der USA, Syrien in der internationalen Staatengemeinschaft zu isolieren und 2004 mit wirtschaftlichen Sanktionen politisch gefügiger zu machen, suchte sich das Land notgedrungen neue Freunde. Nahe liegend, dass man sich mit einem Gegenspieler des Weißen Hauses zusammen tut.

Einheit von Sunniten und Schiiten

Die guten Beziehungen zwischen Iran und Syrien sind ein Zweckbündnis von Staaten, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Syrien ist offiziell eine säkulare, sozialistische Republik, mit mehrheitlich sunnitischer Bevölkerung. Iran eine islamische Republik, in der das Oberhaupt (Ayatollah Khameini) ein schiitischer Geistlicher ist.

Auf rund 3 Milliarden Dollar schätzte man im Jahr 2004 die ökonomische Kooperation beider Länder. Damals planten iranische Firmen nur den Bau von mehreren Zementfabriken und Elektrizitätswerken in Syrien. Die sozialistische Republik sollte dem Iran im Gegenzug als Umschlagsplatz für Güter in andere arabische Länder dienen, mit denen Syrien ein Freihandelsabkommen besitzt. Nach nur wenigen Jahren erstreckt sich nun die Zusammenarbeit von der Telekommunikation bis zum Bildungswesen. Jedes Jahr kommen mehr Pilger aus dem Iran nach Syrien. Letztes Jahr waren es etwa eine Million, die die schiitischen Heiligtümer in Damaskus besuchten, deren Instandhaltung der Iran mit großzügigen Summen unterstützt.

Am 15. Juni 2006 unterzeichneten beide Länder ein militärisches Verteidigungsabkommen. Genaue Details des Abkommens wurden nicht bekannt geben. Der iranische Verteidigungsminister sagte damals nur, der Iran „betrachte die Sicherheit Syriens als seine eigene“ und iranische „Verteidigungskapazitäten sollten auch die von Syrien sein“. Im Klartext kann das nur heißen: Der Bündnispartner wird mit Waffen versorgt, insbesondere mit Raketen, die zu den Prunkstücken iranischer Militärtechnologie gehören. Die syrische Luftabwehr ist gänzlich veraltet, wie ein israelischer Flugzeugangriff im Oktober 2003 auf ein vermeintliches palästinensisches Ausbildungslager in der Nähe Damaskus zeigte (Angriffsziel Syrien?). Ob die militärische Kooperation so weit geht, Raketen des iranischen Typs Shahab-3 auf syrischem Territoriums zu stationieren, ist zu bezweifeln. Israel und die USA dürften dies nicht zulassen. Die Shahab-3 hat eine Reichweite von 2000 Kilometern.

Neben dem verstärkten militärischen Austausch setzen Iran und Syrien auf ihren Einfluss auf die politische Entwicklung im Irak. Auch hier haben die USA ungewollt den Iran zu einem der wichtigsten, politischen Akteure gemacht. Nach dem Fall Saddam Husseins und der Installierung einer von Schiiten dominierten irakischen Regierung besitzt der Iran indirekt Mitspracherecht bei Entscheidungen. Iran ist das religiöse Zentrum der Schiiten, Religion das verbindende Element. Der irakische Grand Ayatollah Ali Sistani wird keine wichtige Entscheidung treffen, ohne die Reaktion vom iranischen Ayatollah Khameini mit ins Kalkül zu ziehen. In vielen Fällen wird es zwischen beiden auch einen Meinungsaustausch geben. Wenn nicht direkt, so doch über Mittelsmänner.

Bei el Sadr, dem jungen Anführer der Mahdi-Armee, sind die Verbindungen zum Iran noch prägnanter. El Sadr teilt den revolutionär-religiösen Impetus des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad, der diesen bisher nur mit verbalen Entgleisungen über Israel, den Holocaust und die USA Luft machen konnte. El Sadrs Mahdi-Armee dagegen lieferte sich mehrfach Scharmützel mit US-Truppen und soll an Entführungen und Attentaten beteiligt gewesen sein. Eine Unterstützung des schiitischen Widerstands im Irak durch Waffenlieferungen und Logistik aus dem Iran würde nicht überraschen.

Solange im Irak kein Frieden herrscht, sind die militärischen Kräfte der USA gebunden, machen einen Angriff auf Iran oder auch Syrien unwahrscheinlich und geben den beiden Zeit, an ihrer Rolle als „regional player“ zu basteln. Iran ist plötzlich ein adäquater Gesprächspartner für Ägypten oder auch Saudi Arabien. Nebenbei wird fleißig und ungeachtet aller internationalen Proteste am Atomprogramm gearbeitet. Syrien versucht sich als Verhandlungspartner im Libanon und im Irak. Wer will schon eine zweite Front eröffnen, wenn die eine nicht einmal annähernd unter Kontrolle ist?

Auffallend in der gemeinsamen Erklärung des iranischen und syrischen Präsidenten bei ihrem Treffen in Teheran, war die Betonung der notwendigen Einheit zwischen Sunniten und Schiiten. Die Schuld an den sektiererischen Auseinandersetzungen im Irak wurde den USA gegeben. „Probleme zwischen Schiiten und Sunniten im Irak und Libanon zu erzeugen“, sagte Bashar Assad explizit in einer Unterhaltung mit dem ehemaligen iranischen Präsidenten, Akbar Hashemi Rafsanjani, „ist die letzte Karte, die Amerika und seine Alliierten ziehen. Sie versuchen ihr Scheitern mit Falschpropaganda zu vertuschen.“

Bereits Ende Januar hatte Bashar Assad bei einem Bagdad-Besuch ähnlich argumentiert. Im gemeinsamen Statement mit dem irakischen Präsidenten Talabani hieß es, man sei übereingekommen, „die Einheit des Iraks zu erhalten und alle Formen von Terrorismus, die sich gegen irakische Zivilisten, Infrastruktur, Pilgerstätten, Armee und Sicherheit richten, zu verdammen“. Ein offensichtlich freundlicherer Ton gegenüber der irakischen Regierung. Bisher hatte Syrien einen bedingungslosen Abzug aller US-Truppen gefordert, bevor man über Lösungen im Irak nachdenken könnte.

Ein Wechsel in der syrischen Politik, der nicht ohne Absprache mit dem iranischen Bündnispartner möglich gewesen wäre und auf eine neue, gemeinsame Strategie hindeutet. Man beendet die gewaltsamen Auseinadersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten, um danach konzertiert gegen die USA als bestimmende Invasionsmacht vorzugehen. Syrien hat nach wie vor Kontakte zu sunnitischen Gruppen im Irak, allen voran zur Baath-Partei von Saddam Hussein, deren ehemalige Mitglieder in den reichen Vororten von Damaskus residieren. Iran könnte mit den schiitischen Milizen im Irak verhandeln und zur Mäßigung gegenüber Sunniten aufrufen.