Zukunftswerkstatt Griechenland
Im Konflikt mit der griechischen Regierung testete die Eurogruppe ihre Strategie des Finanzkriegs und kreierte das EU-Modell einer kontrollierten Demokratie
Vor etwa vier Jahren nahm die europäische Öffentlichkeit entsetzt zur Kenntnis, in welchem Ausmaß die Finanzmärkte das Handeln demokratischer Regierungen beeinflussen. Damals war viel davon die Rede, dass Finanzmarktakteure die Regierungen der Eurozone vor sich her trieben. Inzwischen ist der Finanzkrieg auf einer anderen Ebene angekommen. Menschen verschiedener europäischer Länder lassen sich gegeneinander aufhetzen. Deutsche Steuerzahler gegen griechische Rentner und Arbeitslose. Die Treibjagd wird von europäischen Politikern selbst veranstaltet - gegen eine demokratische Regierung eines europäischen Landes, die nicht bereit war, die Kosten der von den Finanzmärkten verursachten Krise noch länger auf den Rücken der einfachen Leute abzuladen. Dabei gibt es längst ein für Schuldnerländer und Steuerzahler gleichermaßen geniales Lösungskonzept.
Der erste größere Schock liegt über zwanzig Jahre zurück und ging als "Pfundkrise" in die Geschichtsbücher ein. Damals, im Jahre 1992, zwang der Großspekulant George Soros mit einer Zehn-Milliarden-Dollar-Wette die Bank of England, das britische Pfund auf ein Niveau abzuwerten, das er für marktkonform hielt. Die Spekulation brachte ihm eine Milliarde Dollar Gewinn, aber das war Nebensache. Soros hatte gezeigt, wie man mit Geld Staaten in die Knie zwingen kann.
Knapp zwanzig Jahre später, in den Anfängen der Eurokrise, kehrte diese Erfahrung mit Wucht in die europäische Geschichte zurück. Inzwischen waren die Finanzmärkte umfassend dereguliert worden. Jetzt war es nicht ein einzelner Spekulant, sondern eine ganze Herde von Hedgefonds, die europäische Staaten zu einem politischen Kurswechsel zwangen und die deutsche Bundeskanzlerin dazu brachten, die "marktkonforme Demokratie" auf ihre Agenda zu setzen.
In den vergangenen Monaten haben wir erlebt, wie es aussieht, wenn an die Stelle von Hedgefonds Gläubigerstaaten treten, die sich als deren gelehrige Schüler gebärden. In ihrem Kampf gegen die reformorientierte Syriza-Regierung in Griechenland hat die Eurogruppe in vielerlei Hinsicht genau jene Methoden angewandt, mit der das Finanzkapital Staaten unter seine Kontrolle bringt.
Wenn Finanzspekulanten "short gehen", dann wetten sie in der Regel auf den Absturz der Aktien eines Unternehmens, ganzer Aktienindizes, von Währungen oder Staatsanleihen. Mit ihren finanziellen Transaktionen können sie selbst zu diesem Absturz beitragen oder ihn sogar herbeiführen.
Strategie des Schlechtredens einer Regierung
In einer ersten Phase steht dabei oft eine Strategie des Schlechtredens im Vordergrund, wie sie vor Jahren etwa von den Rating-Agenturen mit durchschlagendem Erfolg praktiziert wurde: Da wird lauthals verkündet, dass Banken in einer Schieflage seien, oder dass Staaten ihr aktuelles Rating wohl nicht mehr lange halten könnten. Man muss von scheinbar kompetenter Stelle nur oft genug verlautbaren, dass eine Bank in Schwierigkeiten sei, um sie wirklich dahin zu bringen.
Ähnlich wurde die Syriza-Regierung in die Zange genommen: Schon nach wenigen Verhandlungsrunden war es gelungen, sie als einen Haufen inkompetenter, realitätsferner, unzuverlässiger Neurotiker darzustellen, die ihr Land nur in den Ruin treiben können. Man zeigte sich "genervt" über Gianis Varoufakis und "fassungslos" über Alexis Tsipras. Man sprach von "Tsipras und seinen Kumpanen", wenn die griechische Regierung gemeint war, die insgesamt als "unfähig" und "überfordert" dargestellt wurde, wenn nicht gar als Ansammlung von "Tricksern" und "Betrügern".
Während die griechische Regierung stets betonte, dass sie nicht aus dem Euro austreten wolle, wurde - vor allem von deutscher Seite - immer wieder die Perspektive eines "Grexit" gezeichnet, oder auch die eines "Graccident", eines unvorhergesehenen Herausfallens aus dem Euro, das quasi über Nacht geschehen könne.
Durch das Schlechtreden wird erreicht, dass sich das Geld zurückzieht. Angesichts der andauernden Grexit-Spekulationen begannen die griechischen Bürger, im höchsten Maße verunsichert, ihre Ersparnisse in Sicherheit zu bringen. Das griechische Bankensystem blutete allmählich aus. Die EU hätte dieses Ausbluten jederzeit stoppen können, indem sie eine Garantie auf die Einlagen der Bankkunden ausgesprochen, die Grexit-Spekulationen beendet und ihre gesamte Tonlage gegenüber Griechenland verändert hätte. Aber das war nicht beabsichtigt. Die Banken waren die Schwachstelle, mit der man die gesamte griechische Wirtschaft in den Abgrund stürzen konnte.
Am 18. Juni erschienen Presseberichte über ein nicht-öffentliches Treffen der Euro-Finanzminister. Es hieß, ein Vertreter der EZB habe gesagt, er sei sich nicht sicher, ob die griechischen Banken am kommenden Montag noch in der Lage seien zu öffnen. Wer diese vertraulichen Sätze geleakt hat, ist nicht bekannt. Die Folgen waren dramatisch. In den Tagen danach verdreifachten sich die Abhebungen.
Den Rest erledigte die EZB. Sie hatte bereits früh begonnen, die griechischen Banken von der regulären Kreditfinanzierung abzuschneiden. Als sie dann auch noch die ELA-Notkredite einfror, war die griechische Regierung gezwungen, die Banken zu schließen und die Auszahlungen auf 60 Euro zu begrenzen.
Endlich gab es die Bilder, die die komplette Unfähigkeit einer linken Regierung vermeintlich bestätigten: Menschenschlangen vor Geldautomaten, gebrechliche Senioren, die stundenlang auf die Auszahlung eines Teils ihrer Rente warten mussten. Aufgrund der Liquiditätssperre befand sich die griechische Wirtschaft bereits nach wenigen Tagen im freien Fall. Unternehmen konnten ihre Lieferanten nicht mehr bezahlen. Innerhalb kurzer Zeit entstanden Versorgungsengpässe. Solidaritäts-Kliniken konnten ihre Spenden nicht mehr abheben, um die nötigen Medikamente zu kaufen. Die Strategie der Gläubiger war ein durchschlagender Erfolg.