Zum Training für schnelle Kriseneinsätze benötigt
Trotz früherer Versprechungen von SPD-Politikern will die Bundeswehr das sogenannte Bombodrom in Brandenburg nicht aufgeben
Jetzt also doch: Die Bundeswehr wird das sogenannte Bombodrom in Brandenburg nicht aufgeben. Entgegen allen Versprechen, die SPD-Politiker noch vor nicht all zu langer Zeit abgegeben hatten, sollen Truppenübungsplatz und Luft-Boden-Schießplatz weiterhin genutzt werden. Bei den Grünen stieß die Entscheidung von Verteidigungsminister Peter Struck auf Unverständnis. Bürgerinitiativen kündigen an, mit zivilem Ungehorsam Bombenabwürfe verhindern zu wollen.
Die Bundeswehr braucht den Truppenübungsplatz, um auch in Zukunft Krisenintervention durchführen zu können, wie die Erklärung aus dem Verteidigungsministerium deutlich macht:
Der 11.899 ha große, im Nordwesten des Landes Brandenburg gelegene Truppenübungsplatz Wittstock ist für das kontinuierliche Üben der Luftwaffe unverzichtbar. Allein durch die Nutzung des dort vorhandenen Luft-Boden-Schießplatzes können die Luftfahrzeugbesatzungen ihre Einsatzfähigkeit und Einsatzbereitschaft im Rahmen kurzfristig abrufbarer Kriseneinsätze aufrechterhalten. Die besonderen Gegebenheiten des Platzes bieten darüber hinaus ideale Übungsbedingungen für eine realitätsnahe Ausbildung.
Der Luft-Boden-Schießplatz in der Kyritz-Ruppiner-Heide hat für die Bundeswehr einige Vorteile. Mit seinen 12.000 Hektar ist das Gelände 44 Mal so groß wie der Übungsplatz in Siegenburg in Bayern und sechs Mal so groß wie der in Nordhorn in Niedersachsen. Außerdem ist es weniger von besiedeltem Gebiet umgeben. Somit kann die Bundeswehr ihre teuren Übungen im Ausland reduzieren - gegenwärtig werden 75 Prozent aller Übungen im Ausland geflogen - und damit auch die Abhängigkeit von den Bündnispartnern in der NATO reduzieren.
Die Nutzung des einst von der sowjetischen Armee beschlagnahmten Geländes in der Kyritz-Ruppiner Heide, auf dem die Sowjets von 1952 bis 1993 geübt hatten, ist allerdings mit zahlreichen Auflagen verbunden, die darauf hindeuten, dass dem Bundesverteidigungsministerium durchaus klar ist, wie unbeliebt es sich mit der Entscheidung macht. So soll die Bundeswehr zum Beispiel Überflüge von Ortschaften und der Mecklenburgischen Seenplatte vermeiden und auf dem Luft-Boden-Schießplatz maximal 1700 Einsätze pro Jahr durchführen. Zudem gilt an Wochenenden, gesetzlichen Feiertagen, während der gesamten Sommerferien im Land Brandenburg sowie zwischen Weihnachten und Neujahr ein Flugverbot. Selbst an eine Mittagspause von zwei Stunden haben die Strategen im Verteidigungsministerium gedacht:
Mit der großen Anzahl von militärischen Auflagen wird sichergestellt, dass neben der Notwendigkeit zur Weiternutzung dieses Platzes auch die Belange der Anrainergemeinden und der Bevölkerung sowie des Umweltschutzes angemessen Berücksichtigung finden.
Vielen der betroffenen Gemeinden in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern reicht das nicht. Sie wollen gegen Strucks Entscheidung klagen, ebenso die Bürgerinitiativen Freie Heide aus Brandenburg und Freier Himmel aus Mecklenburg-Vorpommern. Die Gruppe "resist now!" ruft sogar zu zivilem Ungehorsam und will so die ersten Bombenabwürfe verhindern.
Es gibt aber auch Zustimmung. Der FDP-Bürgermeister von Wittstock, Lutz Scheidemann, hofft jetzt auf Arbeitsplätze, wenn eine neue Garnison in seinem Ort eingerichtet wird. Auch die Bürgerinitiative "Pro Bundeswehr", eine Interessengemeinschaft von Klein- und Mittelständlern, zeigte sich zufrieden.
Die Gegner des Truppenübungsplatzes werfen Struck jetzt Wortbruch vor. "In der Opposition hat nicht nur der seinerzeitige Kanzlerkandidat Scharping, sondern auch Peter Struck gefordert, auf die militärische Weiternutzung des Geländes zu verzichten", kritisierte Kai-Uwe Dosch, Bundessprecher der "Deutschen Friedensbewegung - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen". Tatsächlich hieß es 1992 in einer Pressemitteilung der SPD-Fraktion - herausgegeben von niemand anderem als Peter Struck:
Wir fordern den Verteidigungsminister auf, die in seinem Konzept vorgesehene Weiternutzung des Übungsplatzes Wittstock-Neuruppin aufzugeben. Wenn die Bundeswehr diesen Platz tatsächlich weiternutzen wird, so wird sie damit gegen den von ihr selbst aufgestellten Grundsatz verstoßen, prinzipiell keine sowjetischen Übungsflächen zur Weiternutzung übernehmen zu wollen und damit wird sie in den neuen Ländern den letzten Rest Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung verlieren. Darüber hinaus sollte der Bundesverteidigungsminister sich überlegen, ob er tatsächlich einen Übungsplatz weiternutzen will, der erst in den 50er-Jahren und nur durch Enteignung, also unrechtmäßig, entstanden ist.
Doch die Entscheidung dürfte endgültig sein. In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich SPD und Grüne nur "auf eine kurzfristige Überprüfung der militärischen Planung einschließlich der Flugbewegungen am Standort Kyritz/Ruppiner Heide" verständigt. Diese Überprüfung ist mit dem bekannten Ergebnis jetzt abgeschlossen. Grüne Spitzenpolitiker wie die Parteivorsitzende Angelika Beer zeigten sich zwar "erstaunt über die Arroganz des Verfahrens". Doch auf Konfrontationskurs wollen die Grünen deshalb nicht gehen.
Auch parteiinterne Kritiker von Struck fügen sich inzwischen seiner Entscheidung, allen voran der Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck. Platzeck muss allerdings auch auf seinen Koalitionspartner CDU Rücksicht nehmen, wie SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness offen sagte. Wie sich die SPD-PDS-Regierung in Mecklenburg-Vorpommern verhalten wird, ist noch unklar. Vize-Regierungschefs Wolfgang Methling, dessen Partei PDS zu den entschiedenen Gegnerinnen des Schießplatzes zählt, sagte aber, die Regierung überlege, gegen Strucks Entscheidung zu klagen.