Zum Verhältnis von Glauben, Philosophie und Naturwissenschaft

Seite 3: Über Naturgesetze

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Christian Hoppe schreibt danach über Naturgesetze und bringt diese gegen Wunder in Stellung: "Die für die Naturwissenschaften konstitutive Idee des Naturgesetzes entspricht einem axiomatischen Ausschluss von Wundern im engen Sinne bzw. einem Eingreifen übernatürlicher Wesenheiten in den Weltenlauf."

Das suggeriert, Naturgesetze seien agierende Grundprinzipien, die von Wissenschaftlern nur entdeckt zu werden bräuchten. Vielmehr sind Naturgesetze aber eine verallgemeinernde Ordnung nach mathematischen oder statistischen Regeln, die wir Menschen in den Naturkräften sehen. Sie sind, wie auch alle anderen Gesetze, vom Menschen gemacht - aber, im Gegensatz zu anderen Gesetzen, an der Natur getestet.

Dabei muss man aber immer berücksichtigen, dass auch unser wissenschaftlicher Blick auf die Natur durch unsere Fragestellung und die verfügbaren Methoden beschränkt ist. Diesen Gedanken hat erst kürzlich Marcelo Gleiser, Professor für Physik und Astronomie am Dartmouth College, in einem sehr lesenswerten Aufsatz in Nature ausformuliert. Naturwissenschaftliche Erkenntnis ist zudem, wie es schon Popper wusste, immer fehlbar und damit vorläufig.

Denken wir an das Beispiel der Weismann-Doktrin, benannt nach dem deutschen Arzt und Biologen August Weismann. Ihr zufolge konnte das Keimplasma mit seiner Erbinformation das Zellplasma des Körpers beeinflussen, nicht jedoch umgekehrt.

Heute wissen wir, dass das sehr wohl geht, beispielsweise durch die Methylierung von DNA-Sequenzen, die dann nicht mehr ausgelesen werden. So können sogar erworbene Eigenschaften an Nachkommen vererbt werden, was Weismann prinzipiell ausgeschlossen hatte.

Wunder und Wissenschaft

Und was ist nun mit den Wundern? Das liegt auch im Auge des Betrachters. Nicht wenige Naturwissenschaftler sahen es als Wunder an, dass die Natur überhaupt verstehbar ist. Die Erforschung der Natur war für sie wie das Studium der göttlichen Offenbarung. Und für wie viele Menschen etwa des 19. Jahrhunderts erschiene die Selbstverständlichkeit, mit der wir von einem Kontinent zum nächsten fliegen, oder mit Menschen rund um den Globus chatten, mailen, sprechen als Wunder?

Auch Christian Hoppe weiß nicht, woher die Ordnung unseres Universums kommt, die es überhaupt erst möglich macht, dass wir Naturgesetze formulieren können. Allein schon deshalb ist der konstruierte Widerspruch zwischen Naturwissenschaft und Theologie verfehlt.

Gott und Wissenschaft

Selbst Albert Einstein soll in einem Telegramm vom 24. April 1929 geschrieben haben: "ich glaube an spinozas gott der sich in der harmonie des seienden offenbart stop nicht an einen gott der sich mit schicksalen und handlungen der menschen abgibt."

Der Glauben an einen Gott, der die Natur erschafft und ihr Ordnung gibt, danach aber nicht mehr in den Lauf der Dinge eingreift, wird mitunter als Deismus bezeichnet. Aus diesem Denken heraus wäre Gott gar Voraussetzung der Naturwissenschaft, anstatt ihr prinzipiell zu widersprechen.

Christen als Naturwissenschaftler

Nicht zuletzt gab es auch innerhalb der christlichen Tradition immer wieder Naturwissenschaftler, etwa bei den Jesuiten, die sich darum bemüht haben, ihre Religion im Lichte naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu interpretieren. Wenig überraschend handelte ihnen das mitunter Probleme mit dem kirchlichen Führungspersonal ein.

So bekam etwa der Biologe und Jesuit Pierre Teilhard de Chardin ein lebenslanges Veröffentlichungsverbot auferlegt. Ihm widmete übrigens der bedeutende Evolutionsbiologe Theodosius Dobzhansky, der ebenfalls an einen persönlichen Schöpfergott glaubte, sogar seinen berühmten Aufsatz: "Nichts in der Biologie macht Sinn, außer im Lichte der Evolution."

Das Leib-Seele-Problem

Kommen wir zum Schluss noch zum Leib-Seele-Problem, das laut Hoppe "heute gar kein philosophisches Problem mehr [ist], sondern ein rein naturwissenschaftliches; Philosophen können dazu ebenso wenig Relevantes beitragen wie Theologen."

Ich habe mich ja selbst vor nicht allzu langer Zeit von der Seele und dem traditionellen Leib-Seele-Problem verabschiedet (Körper ist Geist). Damit ist aber nicht das Problem vom Tisch, wie sich Psychisches zum Körper verhält und umgekehrt.

Christian Hoppe nennt hier als Evidenz für seinen Standpunkt: "Es besteht jedoch ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis des Geistigen vom Materiellen, wovon man sich in einer neurologischen oder psychiatrischen Klinik der in einem Operationssaal jeden Tag auf's Neue gerne überzeugen kann."

Dies ist das alte Lied, dass Eingriffe in den Körper, insbesondere ins Nervensystem und ins Gehirn, unser Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Handeln beeinflussen können. Dieses Lied wird aber schon so lange gesungen, wie Menschen Alkohol und andere psychotrope Substanzen für allerlei Zwecke verwenden.

Gedanken verändern die Welt

Damit ist aber das Problem nicht aus der Welt geschafft, wie umgekehrt Gedanken und Gefühle den Körper verändern. Dass beispielsweise Studierende in den Klausurwochen häufiger krank werden, lässt sich sogar wissenschaftlich belegen. Nun sind aber weder Klausuren noch der mit ihnen einhergehende psychosoziale Stress naturwissenschaftliche Phänomene. Ein Problem für Hoppes Standpunkt.

Auch den gefühlten Unterschied zwischen der beruhigenden Berührung durch einen geliebten Menschen und derjenigen durch einen Kollegen, die als sexuelle Belästigung wahrgenommen und bestraft wird, können Natur- und Neurowissenschaften nicht erklären. Dennoch bestimmen solche und ähnliche Phänomene unseren sozialen Alltag. Sie sind also Teil unserer Welt, die sowohl natürlich als auch sozial geprägt ist.

Christian Hoppe übersieht, dass auch Natur- und Neurowissenschaften eine Sprachpraxis sind und allein schon darum in den Bereich der philosophischen Analyse fallen. Klar, die Wissenschaftler könnten die Bedeutung ihrer Begriffe und die theoretisch-konzeptionellen Voraussetzungen ihrer Experimente, die ihre Ergebnisse beeinflussen, selbst kritisch reflektieren. Fakt ist aber, dass die meisten es nicht tun.

Unwissenschaftliche Anreize

Zudem spielen im wissenschaftlichen Alltag Anreize eine Rolle, die nicht gerade der Wahrheitsfindung zuträglich sind. Man denke an Karriereinteressen, den Wettbewerb um Fördermittel und Aufmerksamkeit sowohl in der Fachwelt als auch in den breiten Medien. Dass diese Aspekte nicht bloßes Beiwerk sind, sondern den Forschungsalltag längst prägen, sieht man schon an den zahlreichen Planstellen für Pressearbeit oder Forschungsanträge an wissenschaftlichen Einrichtungen. Stellen übrigens, die oftmals besser ausgestattet sind als die vieler Wissenschaftler.

Um diesen Anreizen zu genügen, um die verschiedenen Interessen zu bedienen, versprechen heutzutage manche Wissenschaftler routinemäßig Dinge, die sie nicht halten können. Und sie verführen ihr Publikum mit einfachen Erklärungen. Rechtspopulisten werfen wir das unermüdlich vor. Warum lassen wir es aber so vielen Wissenschaftlern durchgehen?

Wer das alles übersieht, legt ein Wissenschaftsverständnis an den Tag, wie es sich seit Thomas Kuhn, eigentlich aber schon seit Karl Popper nicht mehr vertreten lässt. Ich will mit meiner Kritik nicht die Leistung Christian Hoppes in seinem Blog WIRKLICHKEIT schmälern. Seine scharfe Ablehnung der Philosophie scheint mir aber im Wesentlichen an mangelnder Kenntnis zu liegen.

Wie dem auch sei, wer sich weiter für diese Themen interessiert, der ist sowohl bei Menschen-Bilder als auch auf Telepolis herzlich willkommen. Ich mache jedenfalls weiter, bis man mir den Stecker zieht - oder es zu langweilig wird.

Ich schrieb dies im Gedenken an die akademischen Sternstunden im "Arbeitskreis Evolution" während meiner Promotion an der Universitätsklinik Bonn mit den Professoren Wolfgang Alt (Theoretische Biologie), Ulrich Eibach (Evangelische Theologie), Volker Herzog (Zellbiologie) und Gunter Schütz (Theoretische Physik), die in dem Buch "Lebensentstehung und künstliches Leben" mündeten.

Hinweis: Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.

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