Zur amerikanischen Façon, aus Unterjochten glückliche Demokraten zu machen
UN-Generalversammlung: Die irakische Nachkriegsordnung als globale Agenda
Der heiße Krieg war kein Problem. Der Krieg nach dem Krieg hat beste Chancen, sich zum Desaster für die USA zu verwandeln (Die neue Macht der Herren Lakaien). Alle reden vom Terror. In seiner Rede vor der 58. Generalversammlung der UNO nahm der US-Präsident dann auch die Gelegenheit wahr, seine inzwischen selbst in den USA immer massiver kritisierte Kriegspolitik mit den alten Beschwörungen zu legitimieren. Der verblasste 11. September sei ein Symbol für einen "nicht beendeten Krieg". Auch die diffuse Kategorie des Terrorismus musste wieder für kühne Zusammenhänge zwischen al-Qaida, Saddam Hussein und den Konflikten im Nahen Osten herhalten. Selbst die UNO würde nicht vom Terror verschont, wie der Anschlag auf die UN-Zentrale in Bagdad erweise. Mit den jetzt anstehenden Aufgaben verbindet sich aber in der Diktion des Präsidenten eine kleine, wenn auch zuvor gebrauchte Akzentverschiebung. Es gehe um den Unterschied zwischen Chaos und Ordnung, der keinem Staat eine neutrale Entscheidung im Kampf gegen Terrorismus eröffne (Kampf zwischen Zivilisation und Chaos).
Doch die Frage, wie das Ende des neuen Chaos und die irakische Selbstverwaltung zusammenhängen, ist schwer zu beantworten. Für Chirac ist die Antwort klar. Regieren sich die Iraker selbst, endet der Terrorismus. Bush folgt einem anderen Rezept, um das "primary goal" zu verwirklichen. Die irakische Nachkriegsordnung soll nach amerikanischen Vorstellungen so stabilisiert werden, dass eine demokratisch gewählte Regierung mehr oder minder unangefochten ihre Aufgaben wahrnehmen kann. Die Lage ist geradezu rosig:
Iraq now has a Governing Council, the first truly representative institution in that country. Iraq's new leaders are showing the openness and tolerance that democracy requires, and they're also showing courage. Yet every young democracy needs the help of friends. Now the nation of Iraq needs and deserves our aid, and all nations of goodwill should step forward and provide that support.
Für den amerikanische Zivilverwalter in Irak, Paul Bremer, ist es schlicht eine Frage der Finanzierung des irakischen Wiederaufbaus. Der Kongress soll weitere 87 Milliarden US-Dollar zur Verfügung stellen. Geld heilt viele Wunden.
Krieg führen ist einfach, aber die Gestaltung von Friedensordnungen ist ungleich schwerer
Doch diese Rezepte könnten alle zu kurz gegriffen sein. Denn die Unruhen im Irak sind vor allem die Folge des Sturzes von Saddam Hussein, der die diversen ethnischen und religiösen Gruppen mit allen Mitteln unterdrückte und gerade kein "unstable aggressor" (Bush) war. Weder die US-Besatzung noch eine irakische Regierung werden am neuen Chaos viel ändern, solange sich nicht fundamentale Strukturveränderungen, um nicht von Wundern zu reden, in der Region ereignen. Die US-Regierung spricht von mindestens einem Jahr, bis es zur Machtübergabe an eine frei gewählte Regierung kommen könnte. Das könnte Zeit genug sein, dass Präsident Bush seine Wiederwahl endgültig riskiert.
Bush braucht deshalb dringend die internationale Unterstützung. Je mehr US-Soldaten Opfer von Anschlägen werden, umso schwächer wird seine Position. Deshalb könnte eine internationale Schutztruppe, die von den USA unter ihrem Oberbefehl angestrebt wird, politische Erleichterung bringen. Selbst Kanzler Schröder hat deshalb wieder beste Chancen, des US-Präsidenten Liebling zu werden, wenn er nun nach sechszehnmonatiger Abstinenz zur Privataudienz geladen ist. Noch haben wir die erregten Zwischenrufe aus Deutschland im Ohr, des Kanzlers Kriegsabsage wäre das Ende der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Schröder verspiele Haus und Hof, um innenpolitisch zu punkten und sich von den USA nicht weniger als Europa zu entfernen. Kriegsherr Bush sieht das jetzt völlig anders als seine vormaligen deutschen Anhänger (Petze beim Großen Bruder und Christian Homeland Security). Die Deutschen wären halt wegen ihrer Vergangenheit pazifistisch und hätten den Weltbösen Saddam Hussein nicht richtig erkannt. So wird die Welt in der Geschichtslogik des Texaners wieder rund, weil die rüde Rhetorik von einst die fragile US-Politik im Irak vollends zum Scheitern bringen könnte. Und mit tiefem Verständnis fügt Bush hinzu, der Kanzler habe damals schließlich auch Wahlkampf gehabt.
Dieses späte Mitgefühl ist allerdings besonders gut nachvollziehbar. Die Umfragen werden für Bush immer schlechter. Hinzu kommt das Haushaltsdefizit, das an den Nerven zu zerren beginnt. Bushs Politik steckt in einem Dilemma. Einerseits will er die Weltgemeinschaft mobilisieren, die Nachkriegsordnung im Irak gemeinsam mit den USA zu richten. Andererseits will er die US-Dominanz in der Region nicht aufgeben. Das ist jetzt nicht länger in Formelkompromissen schön zu reden, wie sie weiland wohlfeil erschienen, als die US-Regierung der UN eine entscheidende Rolle beim Wiederaufbau versprach, aber de facto die fragile Vertretung der Weltgemeinschaft als Nachkriegsassistenten für humanitäre Angelegenheiten klein halten wollte. Doch viel mehr hatte der Antiterrorkrieger auch bei seinem moderaten Appell vor der UN-Vollversammlung nicht im Angebot. Die UN sollte sich am Entwurf einer irakischen Verfassung beteiligen, bei der Ausbildung von Beamten mitwirken und helfen, demokratische Wahlen vorzubereiten.
Krieg führen ist einfach, aber die Gestaltung von Friedensordnungen ist ungleich schwerer. Und mit dieser komplexen Aufgabe ist Bushs Stellung sehr viel schwächer geworden als zu jenen lauttönenden Zeiten, in denen er mit seinem inzwischen auch angeschlagenen Kriegsfreund Blair die Welt noch schwarz malen durfte. Selbst Kofi Annan hält sich nicht mehr zurück, Bushs Erstschlagsdoktrin kräftig abzukanzeln. Chirac verlangt einen klaren Zeitrahmen für die Übergabe der Macht in irakische Hände. Längst ist also kein Konsens in Sicht.
Im Namen des irakischen Volkes
Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice machte das selbst gestrickte Dilemma der sonderbaren US-Treuhandverwaltung vor Bushs Auftritt deutlich. Die UN müsse den US-Besatzungstruppen die Befugnisse einräumen, die im Namen des irakischen Volkes nötig sein. Doch hier irrt Frau Rice. Denn nicht nur der Begriff des irakischen Volkes ist im Blick auf die heterogene Gesellschaft im Irak zweifelhaft. Vor allem ist es die alte Anmaßung der USA zu glauben, die Interessen der Völker zu kennen. Von diesem Standpunkt her ist es dann möglich, sowohl die eigenen Interessen zu vertreten wie die des Mündels. Ein Treuhänder, der mit sich selbst Verträge schließt, ist aber per definitionem keiner. Wenn die USA als Repräsentant der irakischen Interessen und zugleich als Handelspartner wie Besatzer auftritt, ist das eine schizoide Personalunion, die immerhin Chiracs Kritik und Terroranalyse plausibler macht.
In Großbritannien gibt es das treffende Wort, dass "fraud" (Betrug) und "fear" (Angst) die Eltern von "trust" (Treuhand) seien. Die Situation im Irak sieht nicht viel anders aus: Terror, Geschäftemacherei und ein oktroyierter, über den Wolken schwebender Demokratiebegriff. In seiner UN-Rede hat Bush diese widerspruchsvolle Situation durch den Hinweis auf die Anwesenheit der Repräsentanten eines befreiten Landes dürftig kaschiert. Selbst wenn die USA ihre Demokratieerzwingungspolitik durchsetzen sollten, ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass damit eine langfristige Stabilisierung der Region verbunden ist. Das ist schon heute die Lehre von Afghanistan, das seit Kriegsende mehr denn je wieder in die alte Gesellschaft zurückdriftet.
Wenn nicht im Irak eine Art "Friedensvietnam" entstehen soll, wäre die US-Besatzung gut beraten, einen UN-Kurs zu unterstützen, der ihren zügigen Abzug vorsieht. Immerhin hat Bush seine vorgeblich primären Kriegsziele, Sicherheit vor Massenvernichtungsmitteln und Entmachtung des Hussein-Regimes, erreicht. Doch Bush hat in seiner Rede klar gestellt, dass man sich bei der Verwirklichung der irakischen Demokratie weder antreiben noch aufhalten lasse, um allein den irakischen Bedürfnissen gerecht zu werden. Welche Gesellschaft im Irak entsteht, ist jedoch dauerhaft nicht zu planen. Dafür gibt es mit und ohne UNO keine Zauberrezepte, wenn man Souveränität und Selbstverwaltung im Irak nicht zu Zerrbildern der Gängelei durch die Sieger verunstalten will. Demokratie bleibt ein Risiko - ob nun in den USA, im Irak, in Deutschland oder in Bayern.