Zurück zur Sozialdemokratie?
Seite 2: SPD und Grüne für Nato-Militäreinsätze
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Mit dem Wegfall des Systemgegensatzes 1989/91 erhielt der US-geführte Imperialismus freie Hand, um seine Ziele nun auch wieder mit militärischen Mitteln ungehindert durchsetzen zu können. Die Sowjetunion war noch nicht aufgelöst, da begann 1990 bereits der erste Irak-Krieg, die "Operation Wüstensturm". Als Oppositionspartei kritisierte die SPD dieses imperialistische Abenteuer.
Die Ablehnung westlicher Aggressionen änderte sich aber nach Bildung der Rot-Grünen Bundesregierung im Herbst 1998. Noch bevor sie überhaupt ins Amt gekommen war, akzeptierte sie einen noch von ihrer CDU/CSU/FDP-Vorgängerregierung formulierten Vorratsbeschluss, mit dem sie sich verpflichtete, an einem militärischen Angriff der Nato auf Serbien teilzunehmen.
Und so kam es denn auch wenige Monate später. Mit Rudolf Scharping war es ein sozialdemokratischer Verteidigungsminister, der sich im Kosovo-Krieg als Scharfmacher profilierte.
In der SPD und bei den Grünen führte dieser Schwenk zu erbitterten innerparteilichen Auseinandersetzungen. Nur mit Mühe konnte sich Bundesaußenminister Joseph Fischer auf dem Bielefelder Parteitag mit seiner den Krieg verteidigenden Position durchsetzen. In beiden Parteien kam es zu Austrittswellen.
Mit der Zustimmung der SPD zur Nato-Intervention in Jugoslawien endete zugleich die Zeit einer Öffnung der Partei für antiimperialistische und Nato-kritische Positionen, die nach dem Ende der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt 1982 begonnen hatte.
Die von SPD und Grünen geführte Bundesregierung unterstützte auch von Beginn an den Krieg der USA gegen Afghanistan. Zur Begründung der Teilnahme der Bundeswehr erklärte der Sozialdemokrat Peter Struck als Verteidigungsminister im März 2004:
Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt.
Heute, nach dem Zusammenbruch der vom Westen ausgehaltenen afghanischen Regierung im August 2021, möchte sich kein prominenter Sozialdemokrat mehr an diese Aussage erinnern lassen.
Selbst als links geltende Sozialdemokraten übernahmen die Parolen des Menschenrechtsimperialismus des Westens. So verurteilte die als "rote Heidi" bekannt gewordene SPD-Politikerin Heidemarie Wieczorek-Zeul die Stimmenthaltung des FDP-Bundesaußenministers Guido Westerwelle im März 2011 bei der Entscheidung des UN-Sicherheitsrats über die von den USA, Großbritannien und Frankreich verlangte Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen mit der die Luftwaffe Gaddafis ausgeschaltet werden sollte. In einem Interview erklärte sie14:
Was Libyen anbelangt deuteten alle Zeichen darauf hin, dass Gaddafi Massaker gegenüber der eigenen Bevölkerung begehen würde. Die Rachedrohungen von Gaddafi gegen die Bewohner Bengasis sind mir noch in grausiger Erinnerung. Daher finde ich die Erklärung der Bundesregierung bei ihrer Stimmenthaltung nicht in eine militärische Auseinandersetzung hineingezogen werden zu wollen, ungeheuerlich.
Nach Beginn des Bürgerkriegs in Syrien teilten die von der SPD gestellten Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel und Heiko Maas vorbehaltlos die Haltung des Westens, die auf den Sturz der rechtmäßigen Regierung in Damaskus durch Islamisten setzte und dafür die weitgehende Zerstörung des Landes, den Tod von Hunderttausenden sowie die Vertreibung von Millionen in Kauf nahm.
Doch wer zählt schon die Opfer all dieser Kriege im Irak, in Afghanistan, in Libyen oder in Syrien? Es ist heute nicht viel anders als vor hundert Jahren. Losurdo zitiert dazu Lenin15:
Für die Großmächte sind ihre Kolonialexpeditionen keine Kriege. Es handelt sich um Konflikte, bei denen "wenig Europäer, dafür aber Hunderttausende aus jenen Völkern umkamen, die sie versklavten". Und scharf ironisch fährt Lenin fort: "Sind das denn Kriege? Das sind doch eigentlich gar keine Kriege, das kann man der Vergessenheit anheimfallen lassen". Den Opfern werden noch nicht einmal die militärischen Ehren erwiesen. Die Kolonialkriege werden nicht als solche betrachtet, weil es Barbaren sind, die sie erleiden, die "nicht einmal als Völker angesehen werden (irgendwelche Asiaten, Afrikaner - sind das etwa Völker?)."
Inzwischen hat der SPD-Außenminister Heiko Maas mit seinem aggressiven Kurs gegenüber Russland und China sogar die sozialdemokratische Tradition der Entspannungspolitik aufgegeben. Vorbehaltlos unterstützt er die aggressive Politik der USA, der EU und Großbritanniens gegenüber diesen beiden Mächten. Man spricht inzwischen von einem wiederauflebenden Kalten Krieg des Westens gegenüber Russland und China. Nennenswerten Widerstand in der SPD gibt es dagegen nicht.
Der Grund für die Spaltung ist weiterhin gegeben
Es sind demnach die alten Gegensätze in der Frage der Westbindung der Bundesrepublik, der Integration Deutschlands in die Nato und hinsichtlich des Verhältnisses gegenüber dem Globalen Süden, die weiterhin die Bruchlinie zwischen Sozialdemokratie und ihren antiimperialistischen Kritikern bestimmen. Das Zerwürfnis von 1915 ist nicht überwunden.
Und solange die SPD ihren proimperialistischen Kurs nicht aufgibt, wird es andauern. Und hier sei es noch einmal betont: Es ist nicht die Frage Reform oder Revolution, die die Lager trennt, denn spätestens nach der Auflösung des Systems des europäischen Sozialismus 1989/91 gilt, dass es zu einer evolutionären Überwindung des Kapitalismus zumindest in Europa keine Alternative gibt.
Seit 1990 ist die PDS bzw. ab 2007 die Partei Die Linke die Organisation, auf die die Anhänger der Friedensbewegung und Antiimperialisten ihre Hoffnung setzen. Die Partei selbst sieht sich dabei nicht in einer Kontinuität mit der kommunistischen Bewegung. In ihrem Grundsatzprogramm heißt es zu ihrem Selbstverständnis16:
Die Linke knüpft an linksdemokratische Positionen und Traditionen aus der sozialistischen, sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegung sowie aus feministischen und anderen emanzipatorischen Bewegungen an.
Man kann die Linke daher als eine pluralistische linkssozialistische Partei bezeichnen.
In ihrem Grundsatzprogramm von 2011 formuliert die Die Linke, dass für sie Krieg "kein Mittel der Politik" sei17:
Wir fordern die Auflösung der Nato und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands, das Abrüstung als ein zentrales Ziel hat. Unabhängig von einer Entscheidung über den Verbleib Deutschlands in der Nato wird Die Linke in jeder politischen Konstellation dafür eintreten, dass Deutschland aus den militärischen Strukturen des Militärbündnisses austritt und die Bundeswehr dem Oberkommando der Nato entzogen wird. Wir fordern ein sofortiges Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr
Dies sind Formulierungen, die ganz ähnlich denen des Godesberger Programms der SPD von 1959 sind.
In den dreißig Jahren ihres Wirkens haben sowohl die PDS als auch die Partei Die Linke diesen Worten Taten folgen lassen. Ihre Bundestagsabgeordneten haben stets den Kriegen der Nato in Jugoslawien, Afghanistan und anderswo eine Absage erteilt. Sie haben die Politik des Westens gegenüber Libyen und Syrien verurteilt, und sie haben gegen die vergifteten Griechenland-Hilfen gestimmt, die das Land seiner Souveränität beraubte.
Bleibt die Linke eine antiimperialistische Kraft?
Inzwischen ist es aber zweifelhaft geworden, ob die bisherige ablehnende Haltung der Linkspartei gegenüber Nato und Westbindung noch gilt. Vor der Bundestagswahl am 26. September 2021 veröffentlichte die Partei unter der Überschrift "10 Gründe die Linke zu wählen" ein Kurzwahlprogramm in dem unter Punkt 7 die Außen- und Sicherheitspolitik angesprochen wird.
Auffällig ist, dass unter der Überschrift "Kein Geschäft mit dem Tod: Waffenexporte verbieten" dort als konkrete Forderungen lediglich genannt werden: "Die Linke tritt für den Frieden ein. Wir holen die Bundeswehr aus Auslandseinsätzen zurück. Waffen- und Rüstungsexporte werden wir verbieten."
Keine Rede ist hingegen mehr von den Forderungen des Grundsatzprogramms nach einem Austritt "aus den militärischen Strukturen des Militärbündnisses (…)", und dass "die Bundeswehr dem Oberkommando der Nato entzogen wird."
Das Kurzwahlprogramm hatte ganz offensichtlich die Funktion, SPD und Grünen als möglichen Koalitionspartnern noch vor der Wahl zu signalisieren, dass ein Bündnis mit der Linken an der Frage der Nato nicht scheitern werde. Die Partei hatte sich damit der Forderung des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz gebeugt, ihre Zustimmung zur Nato bereits vorab zu erklären.
Allein das für Die Linke desaströse Wahlergebnis verhinderte, dass es zur Aufnahme von Koalitionsgesprächen und damit zur Kapitulation der Linkspartei kam. Der Kotau blieb aus – vorerst. Sollte die Partei aber eines Tages ihre antiimperialistische Haltung aufgeben, so verlöre sie ihre Existenzberechtigung und könnte Teil der Sozialdemokratie werden.
Dies würde aber nicht zugleich das Ende der Spaltung der Arbeiterbewegung bedeuten. Die antiimperialistischen Kräfte würden sich dann – wie nach dem Schwenk der Sozialdemokratie 1960 – wohl außerparlamentarisch organisieren, um von dort den Kampf fortzusetzen.
Andreas Wehr ist Jurist und Autor. Mehr von ihm unter: www.andreas-wehr.eu