Zuschauer(innen) Pay Gap im Sport

Seite 5: Präsenz im Fernsehen

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Die öffentliche Wahrnehmung, vor allem die Präsenz im Fernsehen, ist der entscheidende Faktor, wenn es um das Einkommen der Sportler geht?

Dirk Westerheide: Absolut. Es ist der einzige Faktor, wenn ich mit meinem Sport reich werden will. Wer regelmäßig, was ganz wichtig ist, im TV zu sehen ist, kann oftmals mit dem Sport sein Einkommen bestreiten. Aber es gibt große Unterschiede: Bin ich im Spartensender zu sehen oder bei den großen Stationen? Wie hoch sind meine Einschaltquoten? Das allein zählt. Wer die höchsten Einschaltquoten hat, bekommt die beste Sendezeit bei den wichtigsten TV-Stationen und verdient das meiste Geld. Sportlerinnen zählen leider nur selten dazu.

Die beiden besten Ligen für Frauen-Eishockey kommen wie bei den Herren aus den USA und Kanada. Die Canadian Women's Hockey League (CWHL) hat in diesem Jahr mangels Zuschauer-Interesse den Betrieb eingestellt. 200 Spielerinnen der US-Frauen-Eishockey-Liga, die aus lediglich 5 Teams besteht und die durchschnittlich 954 Zuschauer haben, sind in den Streik getreten, um Profi-Gehälter zu erzwingen. Die US-Fußballdamen haben den Verband United States Soccer Federation USSF verklagt, um gleiche Gehälter für Fussballerinnen und Fußballer durchzusetzen. In der Klageschrift heißt es, dass der dem DFB entsprechende Verband USSF der gemeinsame Arbeitgeber aller Nationalspielerinnen und -spieler ist. Welche Wirkung hätte ein Sieg vor Gericht für equal pay?

Dirk Westerheide: Wahrscheinlich werden sie vor Gericht gewinnen. Aber das löst das Problem überhaupt nicht. Die USSF ist kein Arbeitgeber, sondern wie der DFB lediglich der gemeinsame Verband, der bei Turnieren wie der WM Prämien zahlt. Ich bin zuversichtlich, dass der USSF künftig die gleichen Prämien bei den Damen wie bei den Herren zahlt. Aber davon profitieren ausschließlich die Nationalspielerinnen, und das auch nur zweimal alle vier Jahre bei Kontinental- und Weltmeisterschaften. An den für fast alle sehr niedrigen Gehältern in den Ligen ändert das nichts.

Dazu muss man zunächst wissen, dass Fußball in den USA in einem ganz anderem System abläuft. Anders als in Europa, wo die Vereine die Arbeitgeber sind, sich mit Millionengehältern überbieten und DFB und UEFA über der Liga stehen, sind die Spieler(innen) Angestellte der US-Fussball-Ligen, und nicht der Vereine oder des Verbands. Die Fußball-Ligen sind Franchise-Systeme. Bei den Herren ist die "Major League Soccer" MLS der Franchise-Geber der Vereine, Vermarkter der TV-Rechte und Arbeitgeber der Spieler.

Bei den Damen ist die National Women’s Soccer League NWSL der Franchise-Geber, Vermarkter und Arbeitgeber der Spielerinnen. Die NWSL der Damen und die MLS der Herren sind kein Verband wie der DFB, sondern zwei voneinander unabhängige privatwirtschaftliche Unternehmen. Sie vermarkten nur zufällig die gleiche Sportart. Da kann man keine gleichen Gehälter einklagen. Womit wir wieder beim Thema sind: Einkommen hängen vom jeweiligen Zuschauerinteresse ab. Sie müssen sich etwas anderes einfallen lassen, wenn sie ihr Hobby zum Show Business weiter entwickeln wollen.

Wie weit liegt das Gehaltsniveau auseinander?

Dirk Westerheide: In allen Ländern der Welt und praktisch in jeder Sportart verdienen die weiblichen viel weniger als die männlichen Profis. Am transparentesten sind die Unterschiede beim Fußball in den USA. Die Spielergehälter der Herren kann man sogar im MLS Salary Guide öffentlich nachlesen. In der Herren-Liga MLS beginnen die Gehälter bei 56.250 Dollar jährlich. Das entspricht in Deutschland einem Verein in der unteren Tabellenhälfte der 3. Liga. Der Median liegt bei rund 190.000 Dollar. Das arithmetische Mittel liegt bei 415.000 Dollar jährlich.

Wie im "echten" Leben verzerren die Spitzenverdiener den Durchschnitt: Die halbe US-Nationalelf der Herren verdient weniger als der Liga-Durchschnitt, und es gibt einen "Salary Cap", also eine Gehaltsobergrenze von 482.000 Dollar. Aber es gibt auch 3 "Designated Player" pro Verein. Das sind Stars, die viel mehr verdienen dürfen. Top Verdiener mit 7,2 Millionen Dollar ist Zlatan Ibrahimovic. Bastian Schweinsteiger war mit 5,6 Millionen Dollar die Nr. 6 der Topverdiener.

Das sind allerdings die reinen Liga-Gehälter der MLS. Bei den Top-Stars kommen noch mehrere Millionen aus Werbeverträgen hinzu. Zum Vergleich: Die Spielerinnen der NWSL verdienen jährlich im Median rund 72.000 Dollar. Da liegt das Problem, und die Klage der Nationalspielerinnen wegen WM-Prämien ändert daran nichts. Dabei ist Frauenfußball in den USA durch den Schulsport viel weiter verbreitet als bei uns. In den Erfolgs-fixierten USA ist Frauenfußball durch die viel größeren Erfolge sogar populärer als Männerfußball.

Präsenz in den Medien ist ebenfalls vorhanden, wenn auch viel niedriger als in den insgesamt zuschauerstärksten Sportarten. Und das ist auch bei den US-Fußballerinnen das Problem: Was sie nicht haben, sind Zuschauer(innen) in der Liga. Die Zahlen der National Women’s Soccer League liegen im mittleren vierstelligen Bereich - deutlich höher als in Deutschland, aber nicht genug für hohe Einkommen.

Gäbe es denn realisierbare Lösungen, durch die Frauen ebenso viel wie Männer verdienen?

Dirk Westerheide: Das ist eine große Marketing-Herausforderung. Die Damen müssten ebenso wie die zuschauerschwachen Sportarten ihren Sport neu denken, etwa als abendfüllende TV-Show konzipieren, oder auch die Benefizidee der Dick Kerr's Ladies weiter entwickeln, oder oder oder. Benefizsport generiert zwar kein Einkommen, kann aber einen Markt öffnen. Da sind pfiffige Ideen gefragt, sonst wird das nicht möglich sein. Nur im Stadion, in der Sporthalle, auf der Laufbahn gute Leistungen zu bringen reicht eben nicht.

Einen Ansatz liefert, wie ich finde, auch die Leichtathletin Gina Lückenkemper, die in einem dpa-Artikel wie folgt zitiert wird: "Die Leichtathletik ist nicht innovativ genug. So wie die meisten Wettkämpfe derzeit organisiert sind, ist unsere Sport nicht zukunftsfähig". Sie möchte die Wettkämpfe viel straffer und geballter organisieren, um den zeitlichen Leerlauf, tödlich für TV-Übertragungen, abzuschaffen. Allerdings ist es ja nicht neu, bei Leichtathletikfestivals zwischen Läufen, Sprung- und Wurf-Wettbewerben hin und her zu schalten.