Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Wie stark bzw. schwach ist die russische Armee?
Seite 2: Zweifel an schön gefärbten Analysen
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Darstellungen wie die von Luzin wecken inzwischen nicht nur Zweifel bei fachkundigen Beobachtern, die dem Kreml nahestehen. So antwortet dem Polen direkt Wladislaw Inosemzew, Direktor des Zentrums für postindustrielle Studien. Der russische Ökonom wandelte sich in den 2010er-Jahren von einem Berater der russischen Regierung zu einem ihrer scharfen Kritiker, insbesondere aufgrund des sich zu dieser Zeit ständig verschärfenden außenpolitischen Kurses des Kreml, den er als Verlust der Rationalität bezeichnet.
Er hält es für falsch, Kiew "mit Geschichten über ein baldiges Ende des Krieges zu beruhigen". Putin habe mit einer Verschärfung des innenpolitischen Kurses und riesigen Finanzanstrengungen sein Land auf eine aktuell funktionierende Kriegswirtschaft umgestellt.
Um Freiwillige zu bekommen, würden lukrative Gehälter und Entschädigungen gezahlt und die Produktion wichtiger Waffen wurde um ein Vielfaches gesteigert. Ein Ende dieser Fähigkeit sei nicht in Sicht.
Inosemzew stellt nicht alle Erkenntnisse seines polnischen Kollegen infrage. Auch er glaubt an eine wachsende Lücke zwischen den offiziellen Statistiken über russische Truppenstärken und deren Realität. Auch er sieht einen vorübergehenden Engpass, den Russland durch Waffenkäufe im Iran oder Nordkorea ausgleichen musste.
Verlagerung von Drohnenproduktion nach Russland
Doch er betont, dass hier bereits ebenfalls Abhilfe geschaffen würde, etwa durch die Verlagerung der Produktion von Nachbauten iranischer Drohnen nach Russland.
Auch den im Westen häufigen Vergleich mit der UdSSR, die sich am Ende an ihren Militärausgaben überhoben habe, lässt Inosemzew nicht unerwähnt. Der Unterschied zum heutigen Russland sei, dass es sich bei der aktuellen Rüstungsindustrie nicht um eine starre Planwirtschaft handele, sondern um leistungsfähige Unternehmen.
Inosemzew bestreitet nicht massive Verluste an russischem Kriegsmaterial an der Front, das sehr oft Gegenstand von deutschen oder ukrainischen Pressemeldungen ist. Doch er glaubt an die Kraft der russischen Wirtschaft, diese aufzufüllen.
Dabei gehe es den Russen nicht um die "Idee, die fortschrittlichsten Waffen herzustellen", diese würden im Stellungskrieg nicht benötigt. Die Masse mache es.
Verhandlungen und Lösungssuche sollten Priorität haben
Hier soll nicht unerwähnt bleiben, dass Inozemtsev in seiner inzwischen radikalen Ablehnung des Regimes Putin zu den Befürwortern einer Ausweitung der Militärhilfe für die Ukraine durch den Westen zählt. Er warnt vor der Kraft Russland vor allem, da schönfärberische westliche Einschätzungen, die sich auch in zahlreichen deutschen Presseartikeln finden, eine falsche Sicherheit erzeugen könnten.
Dass man Russland nicht "nebenher" besiegen könne. Das böse Erwachen wäre beim Glauben an den "Sieg von allein" vorprogrammiert.
Doch auch Inosemzew kann nicht bestreiten, dass etwa die Produktionssteigerung bei Militärgütern, gerade Munition, im Westen aktuell wesentlich langsamer vonstattengeht als in Russland. Dass die Unterstützung immer weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine im Westen angesichts der Kosten und fehlenden Erfolge bröckelt.
Dass der Einsatz neuer Waffen wie der viel diskutierten deutschen Taurus-Raketen mit hoher Reichweite, die vor allem für Ziele im russischen Hinterland eingesetzt werden soll, auch immer eine ebenfalls eskalierende Antwort Moskaus zur Folge hat, zu der Russland auch in der Lage ist.
Je länger der Krieg dauert, umso mehr Tote
Garantiert bei all dieser militärischen Entwicklung ist nur eines: Je länger und umso intensiver dieser Krieg weitergeführt wird, umso mehr Menschen werden sterben und die Mehrheit davon werden Ukrainer sein, die auch die Masse der zivilen Opfer stellen.
Diesen Umstand ignorieren jedoch die meisten Militärstrategen beider Seiten. Deswegen ist die Forderung nach einer Aktivierung der Diplomatie gegenüber Russland, das Finden eines Kompromisses und das Ziel eines Endes der Kämpfe zwei Jahre nach Kriegsbeginn kein Verrat an der Ukraine.
All diese Maßnahmen setzen keinen Stopp der Waffenhilfe für Kiew voraus. Sie sind aber die einzige Möglichkeit, eine Fortsetzung des Sterbens und eine mögliche weitere Ausweitung des Krieges zu verhindern.