Zwei Jahre danach: Untersuchungsausschuss zum Mordfall Lübcke befragt erste Zeugen
Auf der Liste des Gremiums im hessischen Landtag stehen prominente Namen - auch solche, die schon aus dem NSU-Komplex bekannt sind
Zwei Jahre nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) hat im Hessischen Landtag der Untersuchungsausschuss zu dem Attentat begonnen, seine Zeugenliste abzuarbeiten. Eingesetzt worden war das Gremium bereits im Juni 2020. Mehr als fünf Monate musste es allerdings auf die Prozessakten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main warten, das mittlerweile den Neonazi Stephan Ernst für den Mord in der Nacht zum 2. Juni 2019 verurteilt hat.
Bis Ostern hatten die Abgeordneten Zeit, sich in die Dokumente aus rund 1.600 Aktenordnern einzulesen - dann folgten interne Sitzungen zur Beschlussfassung und die Anhörung von Sachverständigen. Der Ausschuss soll klären, was die Sicherheitsbehörden vor der Mordnacht über Ernst und seinen Mitangeklagten Markus H., der nur wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, gewusst hatten - und ob es womöglich gereicht hätte, um den Mord zu verhindern. Beide waren über Jahre hinweg Teil der ultrarechten Szene Hessens gewesen.
Auch Ex-V-Mann-Führer Temme soll wieder geladen werden
So tauchen zum Teil dieselben Namen aus wie im Untersuchungsausschuss zur Mord- und Anschlagsserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU), der sich im Hessischen Landtag vor allem mit dem Kasseler Mord an Halit Yozgat 2006 und der Anwesenheit eines Verfassungsschützers am Tatort befasst hatte. Der damalige V-Mann-Führer Andreas Temme hatte sich auch mit Stephan Ernst befasst und steht nun auf der Zeugenliste des Lübcke-Untersuchungsausschusses, die bisher insgesamt 44 Personen umfasst. Nur vier davon werden der Neonaziszene zugerechnet.
Der prominenteste Name auf der Liste ist der von Volker Bouffier, ehemals Landesinnenminister, heute Ministerpräsident und Parteifreund des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten. Die CDU stellt allerdings mit Christian Heinz auch den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses. Vizevorsitzender ist der Oppositionspolitiker Hermann Schaus (Die Linke).
Ernst als "nichtssagender Mitläufer" eingestuft
Als erster Zeuge sagte an diesem Freitag der pensionierte Polizeibeamte Karl-Ulrich Lenz aus. Für ihn habe Stephan Ernst viele Jahre lang "eigentlich als nichtssagender Mitläufer" der Szene gegolten, erklärte der frühere Staatsschützer laut einem Bericht des Evangelischen Pressedienstes. "Ich hätte ihm niemals einen Mord zugetraut." Er sei zwar gelegentlich in Zusammenhang mit Straftaten in Erscheinung getreten, so Lenz, die Ermittlungen etwa wegen Körperverletzung seien aber eingestellt worden. Ernsts Aussage, dass er nur am Tatort anwesend, aber nicht am Geschehen beteiligt gewesen sei, habe nicht widerlegt werden können.
Ernst habe zum Kreis der aktiven Rechtsextremisten Nordhessens gehört, an Sonnwendfeiern und Kameradschaftstreffen teilgenommen, in der Szene aber keine führende Rolle gehabt, erklärte Lenz. Nach seiner Vermutung habe wohl irgendjemand aus der Neonaziszene Einfluss auf ihn genommen, so dass er Jahre später zu solch einer Mordtat fähig gewesen sei.
Ernst hatte während seines Strafverfahrens unter anderem erklärt, Markus H. habe ihn durch Zureden und gemeinsame Schießtrainings zu der Tat ermutigt. Beide hatten sich - soviel steht fest - seit dem Herbst 2015 massiv über Lübckes Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen geärgert - und vor allem über dessen Aussage, wer diese Werte nicht teile, dem stehe es frei, dieses Land zu verlassen. Das Landesamt für Verfassungsschutz hatte 2015 die Akte Ernst geschlossen, weil er als inzwischen "abgekühlter" Rechtsextremist eingestuft worden war.
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