Zwischen IRA, Krauts und Mafia

Seite 3: Umgefärbter Diesel und billige Arbeitskräfte

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Während Goulding versuchte, mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zu kooperieren und die IRA zumindest teilweise aus der Illegalität zu holen (ohne der Gewalt als Mittel zum Erreichen politischer Ziele deshalb abzuschwören), entwickelte sich die Provisional IRA immer mehr zur Gangsterbande, auch wenn sie weiter für die Vereinigung Irlands kämpfte. Kritiker der heute existierenden, mafiaähnlichen Organisation, die auf der irischen Insel viel Geld mit illegalem Treibstoff erwirtschaftet, auf beiden Seiten der derzeit kaum wahrnehmbaren Grenze, würden Letzteres bezweifeln. Die IRA verdient gut an der Teilung.

Die Geschäftsidee ist simpel. Martin McAllister, früher selbst IRA-Mitglied, erzählt in einem ZEIT-Artikel, wie es funktioniert. Roter, steuerlich vergünstigter Agrardiesel wird umgefärbt und als PKW-Diesel verkauft. In der Republik Irland gewährt die IRA ihren Kunden Rabatt. An nordirischen Zapfsäulen wird der Preis in britischen Pfund angezeigt, aber abgerechnet wird in Euro. Dadurch sinkt auch dort der Preis. Das ist sehr lukrativ. Schätzungen des britischen Zolls zufolge sind es jährlich 40 Millionen Pfund, die allein in Nordirland an Steuern hinterzogen werden.

Wer schon einmal in der Grenzregion unterwegs war und sich über die vielen Treibstofflager, Tankstellen und Tanklaster gewundert hat: das ist des Rätsels Lösung. Falls jemand diese Geschichte auf die Leinwand bringen will: jeder amerikanische Gangsterfilm über die Prohibitionszeit, in dem Humphrey Bogart oder James Cagney ein Alkoholimperium aufbauen, kann als Vorlage dienen. Man ersetzt den Schnaps durch Diesel und die Kneipen durch Tankstellen, sollte aber nicht an Originalschauplätzen drehen. McAllister hat am eigenen Leib erfahren, dass die IRA sehr unwirsch wird, wenn jemand die Geschäfte stört.

Die Provos, an denen Harold Shands "Make Britain Great Again"-Traum zerplatzt, verkaufen keinen Diesel. Sie füllen die Kriegskasse mit den Einnahmen aus dem Baugewerbe, weil sie einen wichtigen Faktor in diesem Wirtschaftszweig kontrollieren, die billigen irischen Arbeitskräfte. In dunklen Kanälen verschwindende Kickback-Zahlungen in der Bauindustrie waren an der Tagesordnung. The Long Good Friday lässt sich gut mit Elia Kazans On the Waterfront vergleichen (ohne deshalb die Botschaft übernehmen zu müssen), wo die Mafia die Gewerkschaft der Hafenarbeiter unterwandert hat und bestimmt, wer einen Job erhält und wer bestreikt wird.

Goulding hatte die Kooperation mit der Arbeiterbewegung und deren Repräsentanten intensiviert, um die IRA und deren politischen Arm, die Sinn Féin (1973 in Sinn Féin The Workers’ Party umbenannt), besser zu vernetzen und zur Zivilgesellschaft hin zu öffnen. Davon profitierten auch die Provos, obwohl sie Gouldings Linkskurs ablehnten. Die Spaltung in eine Official IRA und eine Provisional IRA sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es danach sehr wohl Kontinuitäten gab. Einmal geknüpfte Kontakte verschwanden nicht einfach, sondern ließen sich gewinnbringend nutzen. Dafür musste man nicht unbedingt Marxist sein.

Jeremy Corbyn, heute Chef der Labour Party, war in den 1970ern Gewerkschaftsfunktionär und auch als Bürgerrechtler aktiv. Wenn jemand wie er mit Vertretern der IRA in Berührung kam war das kein Beweis für ein Sympathisieren mit Terroristen, sondern häufig unvermeidlich. Fairerweise müsste man zumindest fragen, um welche IRA es sich da handelte. In einem durch den Brexit aufgewühlten Land ist für solche Differenzierungen kein Platz. Corbyn als marxistischen Terroristenfreund zu denunzieren ist verführerisch, weil es in einer extrem komplizierten Lage simple Freund-Feind-Muster bedient. Auch deshalb werden Nordirland und die IRA ein Thema im anstehenden Wahlkampf sein.

Sklavenhalter kommen und gehen, die Unterdrückung bleibt

In seiner Antrittsrede als Premierminister hat Boris Johnson vom Geld als Schmiermittel beim Aufbruch in eine große Zukunft gesprochen. Dafür muss das Geld natürlich fließen. Tut es das nicht, geht die Maschinerie kaputt. In The Long Good Friday ist das nicht anders. Auf der Yacht in den Docklands, der Stätte seiner Francis-Drake-Träume, erhält Harold Einblick in Aspekte des Immobiliengewerbes, die ihm bisher verborgen geblieben sind. Umgeben von Segelschiffen als den Symbolen einer großen Vergangenheit ist Jeff gezwungen, mit der ganzen Wahrheit herauszurücken.

Stadtrat Harris kooperiert mit der IRA, weil seine Baufirma ohne ihre irischen Arbeiter nichts bauen könnte, auch nicht Harolds Docklands-Projekt. Dafür wird er nie bestreikt. Die IRA hat von Harris verlangt, dass er einen Koffer voller Geld für sie nach Belfast bringt. Colin hat den Transfer erledigt. Der Film zeigt da wieder seinen bösen Witz. Wenn sich Stadtrat Harris vom Gangster Shand schmieren lässt ist das Korruption unter Engländern und somit in Ordnung. Geschäfte mit der IRA lehnt Harold ab, weil das unpatriotisch ist. Darum hat ihm Jeff nichts davon gesagt.

Sklavenhalter kommen und gehen, die Unterdrückung bleibt (17 Bilder)

The Long Good Friday

Colin hat 5000 Pfund als Provision abgezweigt. Nach der Übergabe des Koffers wurden drei IRA-Männer getötet. Das Geld ist weg. Die IRA denkt, dass Shand die Transaktion an ihre Feinde verraten hat. Dafür wollen sich die Provos rächen. Shand steht vor säuberlich gerahmten Inselkarten, als er von dem Schlamassel erfährt. Klein sehen die Inseln aus und verletzlich. Harold, auch Inselbewohner, ist dabei, die Hände über den Ozean auszustrecken, zu den Amerikanern, mit denen er den "profitablen Fortschritt" gestalten will, wie er anfangs stolz verkündet. Dann kreuzen die Bewohner der Nachbarinsel seinen Kurs und er geht unter.

Damals, als Margaret Thatcher soeben Premierministerin geworden war, musste die Wirtschaft von den Fesseln der Regulierung befreit werden, um Britannien wieder groß zu machen. An der neoliberalen Rhetorik hat sich nicht viel geändert. Die Brexiteers, die Boris Johnson nach der Ablösung von Theresa May in sein Kabinett berief, sind ausnahmslos Bewunderer der "eisernen Lady". Man braucht nur Brüssel und den europäischen Superstaat einzusetzen, schon hat man einen neuen Bösewicht.

Anstelle der Nazi-Invasoren und - siehe Teil 2 - der schwarzen Einwanderer aus der Karibik sind jetzt die EU und ihre Bürokraten die "Sklavenhalter" (Boris Johnson), die dem "profitablen Fortschritt" (Harold Shand als Sprachrohr Margaret Thatchers) im Wege stehen; in den späten 1970ern, in der Euphorie des Beitritts, war die EU noch der Garant dafür. Das Folterwerkzeug der Unterdrücker ist der von Johnson für unnötig und undemokratisch erklärte Backstop im Austrittsvertrag seiner Vorgängerin. Die Schwarzen, deren Zerrbild Enoch Powell, der Vater des Populismus im Vereinigten Königreich, als Gefahr für das Englischsein an die Wand malte, schwangen noch ganz altmodisch die Peitsche.

Trotz allen Bravados musste auch Johnson akzeptieren, dass man sich von dem Problem mit der nordirischen Grenze nicht befreit, indem man es ignoriert, auf später verschiebt oder den starken Mann markiert. Harold Shand hätte ihm als warnendes Beispiel dienen können. Erst weigert er sich, aus den sich mehrenden Hinweisen auf die IRA die richtigen Schlüsse zu ziehen, oder vielleicht ist er dazu auch nicht in der Lage. Als ihm Jeff klipp und klar sagt, dass die Provos hinter den Anschlägen stecken reagiert er so wie diverse britische Regierungen - nur eben in der Gangster- und nicht in der Law-and-Order-Variante.

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