Zwischen Lesern und Lobbynetzwerken

Seite 2: Leserforen als Herausforderung

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Ein weiteres Spannungsfeld für die Zeitung ergibt sich offenbar aus der wachsenden Kritik vieler Leser. Wie bei vielen anderen deutschen Leitmedien begegnete das Publikum auch der Süddeutschen Zeitung im Verlauf der Berichterstattung zur Ukraine-Krise 2014 mit massivem Widerspruch. Die Leserforen unter den entsprechenden Artikeln - auch denen von Stefan Kornelius - wurden regelmäßig "geflutet" mit Hunderten von kritischen bis ablehnenden Leserkommentaren. Manche Leser gaben dabei an, die eigentlichen Artikel selbst kaum noch vollständig zu lesen, sondern rasch zu ebenjenen Leserkommentaren zu springen, da dort oft die interessanteren Informationen zu finden seien - eine schallende Ohrfeige für eine Redaktion, und natürlich auf längere Sicht auch eine Bedrohung für das Image und die Deutungshoheit einer Zeitung.

Auf dem Höhepunkt der Krise im Sommer diesen Jahres beschloss man dann offenbar bei der SZ eine Umstrukturierung der Leserforen. Zum 1. September wurde diese öffentlich bekannt gegeben. Seitdem gibt es nicht mehr die Möglichkeit, direkt unter den Artikeln zu kommentieren. Stattdessen beschließt eine Abteilung "Leserdialog" der Redaktion nun zwei bis drei Themen pro Tag, zu denen das Publikum losgelöst von konkreten Artikeln diskutieren soll. Begründung: in den Diskussionen zuvor sei "zu viel durcheinander" gegangen.

Telepolis befragte den verantwortlichen SZ-Redakteur für den Leserdialog, Daniel Wüllner, zu dieser Umstellung, die viele Leser kritisch sehen. Auf die Eingangsfrage, ob die Umstellung etwas mit dem Ansturm kritischer Leser zur Ukraine-Berichterstattung zu tun habe, verneinte die SZ zunächst. Die Umstrukturierung der Kommentarfunktion sei "unabhängig" von der Ukraine-Debatte erfolgt. Auf neuerliche konkrete Nachfrage wurde dann aber doch eingeräumt:

Sie haben nach dem speziellen Fall der Ukraine-Krise und den dazugehörigen Kommentaren gefragt. Die Umstellung hat nichts mit einem einzelnen Thema zu tun. Doch haben wir allgemein die Tendenz beobachtet, dass wir nicht mehr in dem Maße auf Lesermeinungen eingehen wollen, wie wir das möchten. Das hat natürlich auch mit der Massivität der Beiträge zu tun.

Daniel Wüllner

Neben dem offenbar unfreiwilligen freudschen Versprecher (man "wolle" nicht mehr auf Lesermeinungen eingehen - heißen sollte es wohl eigentlich, man "könne" das nicht) stellt sich zu dieser Aussage die Frage nach den tiefer liegenden Gründen für die Umstrukturierung. Warum will bzw. kann man nicht mehr "in dem Maße auf Lesermeinungen eingehen"? Ist das Ziel eventuell ein simples Kosten senken in einer immer aufwändiger werdenden Forenmoderation?

Der Leserdialog-Beauftragte Wüllner verneint das. Finanzielle Erwägungen seien verlagsseitig nicht ausschlaggebend gewesen:

Die Umstellung der Kommentarfunktion ist sicherlich keine Sparmaßnahme, da Süddeutsche.de den von mir besetzen Posten des Redakteurs für den Leserdialog geschaffen hat. Des Weiteren haben wir die Dienstzeiten des Leserdialog-Teams erweitert.

Daniel Wüllner

Warum also dann die Beschränkung?

Um den sinnvollen und argumentativen Leserstimmen das entsprechende Gehör zu verschaffen, braucht es Zeit. Die alte Kommentarform kostete an vielen Stellen unnötig Zeit: Zu viele Diskussionen zu einem Thema fanden zeitgleich unter den unterschiedlichsten Artikeln statt. Diese Tatsache machte eine sinnvolle Diskussion unmöglich. Mit der Umstellung haben wir multiple Diskussionen eingeschränkt. Dafür haben wir eine Plattform geschaffen, auf der eine sachliche, argumentative Auseinandersetzung zwischen Lesern, Moderatoren und Autoren wieder Sinn macht.

Daniel Wüllner

Diskussion auf "neuer Stufe"

Auf die Nachfrage, ob damit nicht zugleich unterstellt würde, dass auf vielen anderen großen News-Seiten, wie Spiegel Online, Zeit Online oder Faz.net, wo auch weiterhin direkt unter den Artikeln kommentiert werden kann, nunmehr eine "sinnvolle Diskussion unmöglich" wäre, antwortete die SZ:

Da wir sowohl vor als auch nach der Umstellung Vormoderation verwenden, bedarf die Freischaltung der Beiträge Zeit. Dazu gehört es auch, den Lesern mitzuteilen, warum wir ihre Beiträge nicht freischalten. Mit unserem neuen System nehmen wir uns bewusst die Zeit in Kontakt mit den Lesern zu treten, ihnen zu antworten und mit ihnen zu diskutieren. In der deutschen Medienlandschaft gibt es unterschiedliche Methoden mit Lesern in Kontakt zu treten, die ich an keiner Stelle negativ bewertet habe. Wir haben unsere Kommentarfunktion umgestellt, um die Diskussion mit dem Leser und die Wertigkeit der Kommentare auf eine neue Stufe zu stellen.

Doch wie sieht diese "neue Stufe" nun konkret aus? Eine persönliche Stichprobe am Dienstag, dem 28. Oktober gab dazu einen Einblick. Der Versuch begann mit der Lektüre eines der aktuellen SZ-Berichte zur Ukraine: "Russland will umstrittene Wahlen in Ostukraine anerkennen". Ein Leserforum zu diesem Thema wurde von der SZ allerdings nicht angeboten, ein öffentlicher Kommentar war also unmöglich. Beim direkt zuvor erschienenen Ukraine-Artikel ("Putin-Gegner Jazenjuk steigt zum zweiten starken Mann auf") dann das gleiche Bild: kein Leserforum verfügbar. Und auch der dritte auffindbare aktuelle Beitrag zum Thema ("Ja zu Europa, Nein zu Kompromissen gegenüber Putin") enthielt keinen Verweis zu einem thematisch verwandten Diskussionsforum. Nicht einmal ein Hinweis darauf, dass es generell möglich ist, Artikel in irgendeiner Form zu kommentieren, war im Umfeld der drei Ukraine-Berichte sichtbar.

Daraufhin führte der nächste Versuch zurück auf die Startseite von Süddeutsche.de. Dort musste dann zunächst eine Weile heruntergescrollt werden, bevor schließlich das Logo des neuen Leserforums erschien, garniert mit der Aufforderung: "Diskutieren Sie mit uns - Ihre SZ". Hier fand sich nun auch ein zwei Tage zuvor gestartetes Leserforum mit Ukraine-Bezug - wenn auch mit dem etwas anmaßenden Titel "Welches Wahlergebnis wünschen Sie der Ukraine?" 28 Leserkommentare wurden dort angezeigt. Doch leider war das Forum durch die Redaktion schon wieder geschlossen worden. So blieb nur die Lektüre der wenigen Kommentare. Dort hieß es etwa:

Ich wünsche der Ukraine eine Mehrheit von Parteien, die nicht mit Russland in Konfrontation gehen wollen, sondern eine für beide Seiten annehmbare Lösung finden.

Es steht uns Deutschen nicht wirklich zu, uns ein Wahlergebnis für ein anderes Land zu wünschen.

Der Unterschied des jetzigen und des vorherigen Präsidenten (Oligarchen) ist doch nur die Ausrichtung nach West oder Ost.

Eine weitere Meinung zum Ukraine-Konflikt oder der Wahl dort öffentlich zu äußern, war auf Süddeutsche.de am 28. Oktober 2014, zwei Tage nach ebenjener Wahl leider nicht möglich.

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