Zwischen SPD-Parteitag und Bundestagswahl: "Kämpfen, kämpfen, kämpfen" ist zu wenig

Seite 2: Das SPD-Wahlprogramm: kein markantes Alleinstellungsmerkmal

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Auch die Einzelbausteine des SPD- Wahlprogramms gleichen einem bunten Potpourri: langfristiges Rentenkonzept; steuerliche Entlastung der unteren und mittleren Einkommen; geringe Mehrbelastung der "starken Schultern"; Gebührenfreiheit für Bildung - von der Kita über den Meisterbrief bis hin zur Uni; Stärkung von Familie und Ehe; gleiche Bezahlung von Männern und Frauen; Verbot befristeter Arbeitsplätze; Absage an Profitgier; Digitalisierungsoffensive; mehr Schutz vor Kriminalität; ein gerechtes Deutschland; ein gestärktes, friedliches und solidarisches Europa; weniger Waffenexporte; Distanzierung von den Autokraten Erdogan, Orban und Trump. Kurzum: Friede, Solidarität und Anstand!

Vor allem aber fordert Schulz Respekt!! Respekt für die Ärztin, die Leben erhält. Respekt aber auch für den Busfahrer, der Schulkinder sicher nach Hause bringt. Respekt für die ältere Generation, Respekt für die Lebensleistung, Respekt für alles, was irgendwie Respekt verdient. Wer könnte sich diesem bunten Blumenstrauß an Wohlfeilem verweigern?

Merkel hat die bisher unüberwindliche Barriere für das Modell Schwarz-Grün beseitigt

Merkel wird sich hüten, einen solchen Fehler zu machen. Denn was Schulz verkündet, sind ehrenwerte Ziele. Das weiß Merkel auch. Deshalb wird sie das, was ihr genehm ist, huldvoll abnicken. Den Rest wird sie in bewährter Manier "klauen", spätestens dann, wenn Umfragen zeigen, dass Vorschläge des Gegners beim Wahlvolk gut ankommen (Beispiele: Atomausstieg, Mindestlohn). Wie gut sie den Themenklau beherrscht, hat sie jüngst wieder bewiesen, als sie das heikle Streitthema "Ehe für Schwule und Lesben" zum Entsetzen ihrer konservativen Parteifreunde handstreichartig abgeräumt hat. Dadurch ist eine bisher unüberwindliche Barriere für das Modell Schwarz-Grün beseitigt.

In Sachen Unverfrorenheit macht Merkel keiner etwas vor. Notfalls scheut sie sich auch nicht, etwas zu versprechen ("Mit mir wird es keine Maut geben"), um nach gewonnener Wahl das schiere Gegenteil zu machen. Und wenn sie ein Thema gar nicht mag, dann verbannt sie es mit eisigem Schweigen ins politische Niemandsland. Nicht ohne Grund geißelt Schulz diese Merkel-Strategien als "asymmetrische Demobilisierung"; das sei ein "Anschlag auf die Demokratie".

Das Hauptproblem des wackeren Herausforderers besteht darin, dass er trotz seines prallgefüllten Programmbaukastens über kein markantes Alleinstellungsmerkmal verfügt, das die über viele Jahre eingelullten Wähler wachrüttelt und zu einer definitiven Wahlentscheidung zwingt.

Zwischenergebnis

Mit seinen bisherigen Vorschlägen wird Martin Schulz die mit allen Wassern gewaschene Kanzlerin aller Voraussicht nach nicht in Bedrängnis bringen. Zu ähnlich sind die Schulz-Sonderangebote dem Merkelschen Gemischtwarenladen. Denn es gilt der Grundsatz: in dubio pro Angela.

Auch die beim Essener Parteitag vehement eingeforderte Kampfbereitschaft wird nicht genügen. Wichtiger wären ein zukunftsweisendes Politikkonzept und lutherische Unerschrockenheit beim Entrümpeln überholter politischer Leitbilder. Es gibt zentrale Politikfelder, in denen der eigenständig denkende Teil der Gesellschaft heute schon wesentlich weiter ist als das sie regierende Politikestablishment. Doch diese geistige Avantgarde hat in den Altparteien keinen überzeugenden Fürsprecher.

Änderungsbedarf Viele Wähler haben es satt, von der selbstsüchtigen Hegemonialmacht USA bevormundet zu werden, die ihre moralische Legitimation verspielt hat. Viele Menschen sind es auch leid, dass deutsche Soldaten fernab der Heimat den Kopf hinhalten müssen. Das gilt zumal dann, wenn Kriege mutwillig entfacht worden sind und der Preis für das militärische Engagement Terrorismus und Massenzuwanderung hierzulande sind.

Viele Menschen lehnen Waffenexporte ab, insbesondere dann, wenn zu befürchten ist, dass die Waffen in die Hände von Terrororganisationen gelangen und sich letztlich gegen uns selbst richten. Ein Großteil der Deutschen hat zunehmend weniger Verständnis dafür, dass Israel weiter militärisch und politisch unterstützt wird, jedenfalls solange nicht, wie dieser Staat ein anderes Volk unter Missachtung von Völkerrecht und fundamentalen Menschenrechten ausbeutet und demütigt. Keiner versteht mehr, dass die deutsche Politik eingeschüchtert zusieht, wie der notorische Rechtsverächter Erdogan - ermutigt durch ein windiges Flüchtlingsabkommen - Deutschland immer dreister auf der Nase herumtanzt.

Und die meisten haben inzwischen begriffen, dass eine entschlossene Klimapolitik für die Weiterexistenz der Menschheit auf diesem Planeten unverzichtbar ist und dass der beschämende Kotau der politischen Eliten vor den Automobil- und Energielobbies selbstzerstörerisch ist. Wer spürt nicht die Frivolität der Kanzlerin, wenn sie sich auf internationalen Konferenzen als Klimakanzlerin feiern lässt und zuhause die schützende Hand über industrielle Luftverschmutzer hält?

Jeder weiß inzwischen auch, dass es in einem humanitären Chaos enden wird, wenn sich die Schere zwischen Arm und Reich unaufhaltsam weiter öffnet. Und alle denkenden Menschen wissen, dass unsere Zivilisation dem Untergang geweiht ist, wenn die Mächtigen in Politik und Ökonomie unbelehrbar auf wirtschaftliches Wachstum setzen. Dieses infantile Verhalten führt in einer Welt mit begrenzten Ressourcen unweigerlich zum totalen Zusammenbruch.