Zwischenfall sorgt für Eskalation zwischen Russland und Nato

Russische Freiwillige aus der Ostukraine jetzt in der syrischen Armee? Russische Medien feiern die russischen Präzisionsbomben und das gute Wetter in Syrien für die Luftangriffe

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Bei den Angriffen auf angebliche Stellungen von Terroristen in Syrien ist am 3. Oktober ein russisches Kampfflugzeug des Typs SU-30 ein paar hundert Meter in den türkischen Luftraum bei Yayladağı in der Provinz Hatay eingedrungen und hat nach der Begegnung mit zwei türkischen F-16, die auf Patrouillenflug waren, diesen wieder verlassen. Die Türkei bestellte den russischen Botschafter ein, der türkische Außenminister Davutoğlu warnte, dass bei jeder Verletzung des Luftraums nach dem Kriegsrecht reagieren würde.

Die Rede ist davon, dass der Vorfall zu einem militärischen Schlagabtausch hätte führen können. Das russische Verteidigungsministerium erklärte, es habe sich um einen Navigationsfehler gehandelt. Nato-Generalsekretär Stoltenberg sagte hingegen nach einem Treffen mit dem türkischen Außenminister Sinirlioglu, es habe sich um eine "inakzeptable Verletzung" des türkischen Luftraums gehandelt, um allgemein Russlands Luftangriffe in Syrien zu kritisieren: "Russlands Handlungen tragen nicht zur Sicherheit und Stabilität der Region bei."

Das kann man bislang allerdings auch nicht von der militärischen Intervention der US-geführten Allianz sagen, die nun Sorge hat, dass russische Kampfflugzeuge im Kampf gegen alle "Terroristen" auch jene bekämpfen, die von den USA, der Türkei, Katar und Saudi-Arabien unterstützt werden, auch wenn sie selbst Islamisten sind oder Verbindungen etwa zu al-Nusra halten, die von den Luftangriffen der Amerikaner bislang verschont geblieben sind, obgleich sie eine al-Qaida-Gruppe sind (Syrien: Gemäßigte Opposition?).

Stoltenberg forderte Russland dazu auf, die Spannungen mit dem Bündnis nicht eskalieren zu lassen und sich "der internationalen Gemeinschaft im Kampf gegen den Islamischen Staat" anzuschließen. Damit meinte er wohl, dass die US-geführte Koalition gerne stellvertretend für die internationale Gemeinschaft gelten würde, deren Mitglieder u.a. gerade Jemen bombardieren oder einen Krieg mit der PKK begonnen haben. Der erneute Bürgerkrieg mit der PKK war offenbar kein Thema, das Stoltenberg ansprechen wollte, der seine Solidarität mit der Türkei äußerte, die dem Land auch die EU angesichts der Flüchtlinge entgegenbringen wird. Aus dem US-Verteidigungsministerium zitiert die New York Times eine nicht weiter benannte Quelle, nach der der Vorfall nicht durch Zufall geschehen sei.

Die Nato gab schließlich eine Erklärung heraus, in der sie sich besonders über die Angriffe auf Ziele in Hama, Homs und Idlib besorgte zeigte, die nicht gegen den IS gerichtet seien und Zivilisten getötet hätten. Russland wird aufgefordert, "sofort" die Angriffe auf die nicht näher benannte "syrische Opposition und Zivilisten" einzustellen. Auch das Eindringen in den Luftraum der Nato wird verurteilt und Russland aufgefordert, dies schnell zu erklären, was Russland allerdings bereits gemacht hat, auch wenn man den Navigationsfehler nicht glauben muss.

Das russische Verteidigungsministerium veröffentlicht weiter Videos von den Bombardierungen.

Man könnte auch vermuten, dass der Vorfall deswegen so hochgespielt wird, weil der türkischen Regierung das russische Eingreifen überhaupt nicht gefällt. Die Türkei drängt just in der Region, in der die russischen Flugzeuge auch Ziele angreifen, die Einrichtung einer "Schutzzone" an, um zu verhindern, dass die von Kurden kontrollierten Gebiete an der türkischen Grenze die noch bestehende Lücke schließen, und den von der Türkei unterstützten Gruppen zu helfen, gegen Assad vorzugehen, was der Türkei wichtiger ist als die Bekämpfung des IS.

Das russische Verteidigungsministerium setzte auch heute die Luftangriffe fort und berichtete, man habe mit Su-34-, Su-24M- und Su-25-Kampfflugzeuegen erfolgreich zahlreiche IS-Stellungen zerstört, u.a. auch in der Provinz Ar-Raqqah, die vom Islamischen Staat kontrolliert wird. Der IS würde damit die Kontrolle und die logistische Versorgung verlieren. Und man hat gelernt, der Öffentlichkeit auch die Bilder über die Kampagne zu liefern.

Schiitische Milizen im Irak wünschen russische Intervention

Hervorgehoben wurde heute auch mit Bildern vom Verteidigungsministerium und von Staatsmedien wie Russia Today, dass die russischen Kampfflugzeuge mit Präzisionsbomben ausgestattet sind - aus dem Pentagon war etwas höhnisch gesagt worden, die Waffen der Russen seien unpräzise und eine Generation hinter dem Stand der Amerikaner. Das will man nicht auf sich sitzen lassen.

Das russische Verteidigungsministerium präsentiert die gesteuerten Bomben, die in Syrien zum Einsatz kommen sollen.

Während die USA angesichts der russischen Intervention in Syrien Sorge über die von der CIA und anderen Staaten unterstützten Oppositionsgruppen haben, nachdem der Plan, selbst Bodentruppen mit "gemäßigten Kämpfern" auszubilden und auszurüsten, als gescheitert angesehen werden kann, scheint nun Moskau ganz die Initiative übernehmen zu wollen. Während man noch munkelt, dass eventuell Iran Bodentruppen gegen die sunnitischen Islamisten und zur Unterstützung der Assad-Regierung entsenden könnte, was ebenso wie die russischen Luftangriffe mit der Einladung der syrischen Regierung im Unterschied zur amerikanischen Intervention völkerrechtlich legitim wäre, scheint man zu planen, selbst eine Bodentruppe aufzustellen. Washington will nun anstelle selbst ausgebildeter Bodentruppen die Kurden unterstützen, zusammen mit einigen tausend sunnitischen Kämpfern eine Offensive gegen den IS in Syrien zu starten. Obgleich der russische Präsident Putin erklärte hatte, keine Bodentruppen nach Syrien zu schicken, will man es nun offenbar auf bewährte Weise versuchen.

Admiral Vladimir Komoyedov, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Duma und Abgeordneter der Kommunistischen Partei, hatte heute gesagt oder damit gedroht, es sei wahrscheinlich, "dass Gruppen russischer Freiwilliger in der syrischen Armee als Kämpfer auftauchen". Damit kommentierte er Medienberichte, dass russische Freiwillige, die zuvor in der Ostukraine mit den Separatisten gekämpft haben, in der syrischen Armee gesehen worden seien. "Was lockt Freiwillige abgesehen von Ideen an?", fragte er: "Natürlich am wahrscheinlichsten Geld." Angeblich würden, wie die Nachrichtenagentur Interfax-AVN mit Verweis auf andere Medien berichtete, Freiwillige 50 US-Dollar täglich erhalten, nicht gerade viel. In den Reihen der syrischen Terroristen wie dem IS würden auch Militante aus dem Ausland kämpfen, bis zu 5000 kämen aus Russland.

Kadyrow, der Präsident der Republik Tschetschenien hatte letzte Woche schon einmal einem Radiosender erzählt, er sei bereit, tschetschenische Kämpfer nach Syrien zu entsenden, um Spezialeinsätze auszuführen, wenn Präsident Putin dies wünsche. Es sei eine Schande, dass nur Kampfflugzeuge zum Einsatz kämen.

Komoyedov brachte auch die Möglichkeit ins Spiel, die syrische Küste mit Kampfschiffen zu blockieren oder von diesen aus in die Kämpfe einzugreifen, falls dies notwendig sein sollte. Er ist überdies der Meinung, dass die Infrastruktur des Islamischen Staats nicht nur in Syrien, sondern auch im Irak zerstört werden müsse. Außenminister Lawrow scheint eben dies vorbereiten zu wollen. In Videokonferenzen soll der irakische Ministerpräsident den Wunsch geäußert haben, dass russische Kampfflugzeuge auch im Irak eingreifen, da das russische Militär so effizient sei. Man habe aber noch keine offizielle Anfrage erhalten, sagte er heute. Zudem wird weiter auf den Resolutionsentwurf gesetzt, den Russland im UN-Sicherheitsrat eingereicht hat.

Im Irak werden von den schiitischen Milizen die russischen Luftangriffe auf den Islamischen Staat begrüßt. Die USA würden hingegen nicht entschieden genug handeln. "Wir würden uns freuen", so Muen al-Kadhimi, ein Berater des Chefs der Badr-Brigaden, zu Reuters, "russische Kampfflugzeuege zu sehen, die die Stellungen und Zentralen von Daesch im Irak und alle Versorgungsverbindungen mit Syrien bombardieren. Wir würden eine solche Intervention der Russen stark begrüßen, Daesh aus dem Irak zu vertreiben." Auch andere schiitische Milizen befürworten die russische Intervention, was in Washington die Alarmglocken läuten lassen muss. Schon jetzt haben Russland, Iran, der Irak und Syrien in Bagdad eine Zentrale eingerichtet, um den Kampf gegen die sunnitischen Terroristen zu koordinieren.

Ins Zeug legte sich kürzlich der russische Staatssender Rossiya 24 mit einem Wetterbericht von Syrien. Aus meteorologischer Sicht, so die Sprecherin, habe Russland einen guten Zeitpunkt für den Beginn des Luftkriegs gegen die syrischen Terroristen gewählt. Die Windgeschwindigkeit in Syrien sei im Oktober relativ gering und die Temperaturen würden kaum über 35 Grad Celsius ansteigen, es gebe wenig Regen, nur alle 10 Tage, der Himmel sei klar. Nur Sandstürme könnten die russischen Angriffe behindern, allerdings würden ab November die Wolken zunehmen.

Von Florian Rötzer gerade zum Thema Stadt und Krieg erschienen: Smart Cities im Cyberwar.

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