#allesdichtmachen und das Selberdenken

Seite 2: Selberdenken ist schwer

Sie haben nicht dazu aufgerufen, die Schutzmaßnahmen zu missachten. Sie haben nicht einmal einen Aufruf lanciert, gegen sie zu demonstrieren. Ich sehe in den Filmchen vor allem eine Aufforderung zum Selberdenken, zum Gebrauch seines eigenen kritischen Verstands. Und weil Schauspieler eben keine Philosophen sind, machen sie das beispielsweise mit dem Stilmittel der satirischen Übertreibung. Grenzt das jetzt schon an einen Staatsstreich?

Vor noch gar nicht so langer Zeit brüstete man sich noch mit Meinungsfreiheit, als es beispielsweise um diffamierende Zeichnungen eines Religionsoberhauptes ging; oder um die Beleidigung eines Staatspräsidenten als Ziegenf***. Soll die Meinung nur dann frei geäußert werden dürfen, wenn die Anderen mit der eigenen Meinung übereinstimmen? So sind die Grund- und Menschenrechte nicht gedacht!

Besonders unpassend erscheinen mir die - vorhersehbaren - Klagen, die Filmchen verhöhnten die Opfer der Pandemie. Das mit der Opferbilanz ist so eine Sache, die noch gar nicht ausgemacht ist: Zählen etwa die Menschen, die wegen herausgeschobener Behandlungen bereits gestorben sind oder noch sterben werden, nicht? In meinem Bekanntenkreis gab es gerade so einen Fall, dass ein Mann mit Darmproblemen wochenlang wegen der Corona-Maßnahmen vom Krankenhaus abgewiesen wurde.

Als der Hausarzt schließlich auf der sofortigen Aufnahme bestand und die Untersuchung erzwang – hatten sich leider schon Metastasen gebildet und war es für die Behandlung zu spät.

Was ist mit den Menschen, die unter Unsicherheit, Isolation und Einsamkeit leiden? Zählen die nicht? Oder mit denen, deren wirtschaftliche Existenz vor dem Aus steht, obwohl sie sich an alle Regeln gehalten haben? Was ist mit den Menschen, die sich aus Verzweiflung das Leben genommen haben oder jetzt daran denken?

Fakten

Vergessen wir nicht, dass die Gefahr vom Virus ausgeht. Und vergessen wir auch nicht, wie oft die regierenden Politiker schon auf dem falschen Fuß erwischt wurden: Trotz vorliegender Berichte hatte man sich nicht ausreichend vorbereitet; die Pläne mit der Corona-App waren keine Glanzleistung; die Beschaffung von Schutzmasken führte zum Debakel; und die Organisation der Schutzimpfungen ist ein europäisches Drama.

Es war vorhersehbar, dass im Superwahljahr die Schutzmaßnahmen für politische Interessen verwendet würden. Es war allenfalls zu befürchten, dass sich einige Abgeordnete persönlich an der Krise bereichern werden. Das Ausmaß, in dem das (bisher) ans Tageslicht kam, ist dennoch schockierend. Weder die Gefährlichkeit des Virus noch das Versagen der Politik ist aber den Schauspielern anzulasten.

Dystopie

Wenn jetzt, wie ebenfalls zu erwarten, Schauspielerin El Ouassil und andere der Aktion vorwerfen, "rechte Resonanzräume offenzulassen", dann kann ich mich darüber nur wundern. Wie ausdrücklich muss man sich denn noch von rechten Bewegungen distanzieren, damit es auch beim letzten Kommentator ankommt?

Das Bequeme an der Verwendung von Etiketten wie "Querdenker", "Troll" oder "Verschwörungstheoretiker" ist, dass man sich mit dem Anderen nicht mehr argumentativ auseinanderzusetzen braucht. Bedeutende Medienmacher scheinen zudem erfahrungsresistent zu sein: Als die Linkspartei neu war, hat man sie jahrelang als "Verfassungsfeinde" dargestellt. Was ist passiert? Sie wurde stärkste Oppositionsfraktion. Jahre später wurden AfD-Wähler kategorisch als Rechte oder Neonazis dargestellt. Was ist passiert? Sie ist stärkste Oppositionsfraktion.

Als gebildeter Mensch muss man doch irgendwann einmal begreifen, dass Demokratie so nicht funktioniert: Man kann große Bevölkerungsgruppen nicht auf Dauer verhöhnen und ausgrenzen. Und das ausgerechnet von denen, die sich sonst gerne den Anschein der Meinungsvielfalt geben. Wer setzt sich denn heute noch dafür ein, dass Europas Demokratien nicht bald eine Mischung aus George Orwells "Animal Farm", "1984" und Juli Zehs "Corpus Delicti" werden?

Monitor-Chef Georg Restle bemühte sich in einem Tagesthemen-Kommentar um versöhnliche Worte: #allesdichtmachen könne manche Schmerzen, viele Reaktionen seien aber überzogen.

Wenn man nicht nur anderen nach dem Mund redet, dann wird man zwangsläufig hier und da anecken. In einem vernünftigen Rahmen sollte man sich von radikalen Strömungen abgrenzen. Aber man wird nie ganz ausschließen können, dass Andere einen missverstehen, missverstehen wollen oder schlicht missbrauchen. Sollen wir darum - vorsichtshalber schweigen?

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