nixstasi.gut

Untiefen eines datenschutzrechtliches Gutachtens über einen Link auf eine Stasi-Liste

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Der ungewöhnliche Name "nixstasi.gut", das sei vorausgeschickt, ist nichts anderes als eine Replik auf einen anderen ungewöhnlichen Namen, nämlich "stasigut" (bzw. stasigut.doc, stasigut1.doc oder stasigut2.doc; HTML-Version: stasigutacht.htm).

Wie alle des Internets und der EDV kundigen Lesenden natürlich sofort gemerkt haben, handelt es sich um einen Dateinamen, der zumindest in seiner Erstfassung noch an die Konventionen aus MS/DOS-Zeiten angepasst war, als ein Dateiname noch höchstens acht Zeichen haben durfte. Nun mag es zutreffen, dass ein Dateiname "stasigut" nach meinen Erfahrungen mit der darin genannten kriminellen Behörde spontanen inneren Widerspruch provoziert, Ursache für diese Replik ist er allerdings nicht. Die gründet sich vielmehr auf die Bezeichnung des Inhalts dieser Datei als "datenschutzrechtliches Gutachten" angesichts seiner Parteilichkeit sowie der Umstände, unter welchen für und gegen wen Partei ergriffen worden ist.

Das alles fing so an: Am 26. März 2002 schrieb ein Referent des Berliner Datenschutzbeauftragten (eigentlich der Datenschutzaufsichtsbehörde) drei Abmahnbriefe. Der erste war an Herrn Mario Falcke aus München gerichtet, Betreiber der Website www.stasiopfer.de, weil auf ihr ein Link zu der berühmten Stasi-Liste mit den über 97.000 Hauptamtlichen gelegt war. Hier konnte man mit einem Suchprogramm nach Angabe von Namen etc. nachfragen, ob jemand auf der Liste verzeichnet ist. Im Prinzip kann man das ja bei der Gauck-Birthler-Behörde auch, dauert nur ein bisschen länger als die online-Anfrage. Der zweite Brief war an die Domaininhaberin von www.ddr-suche.de im Land Sachsen-Anhalt gerichtet, weil dort - neben vielen, vielen anderen Links - auch ein Link auf www.stasiopfer.de gelegt war. Und der dritte Brief ging an den Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, weil der nämlich einen Link auf - richtig - www.ddr-suche.de gelegt hatte. Während der Stasiunterlagen-Landesbeauftragte sofort den Vollzug der Abschaltung meldete, kam von dem Betreiber und der Betreiberin der anderen Domains Widerspruch, aber auch von vielen, die sich mit ihnen solidarisierten (Datenschutz auf Abwegen).

Mario Falcke, der Betreiber von www.stasiopfer.de aus München, war dabei nicht nur der Meinung, dass die Berliner Datenschutzbehörde amtsanmaßend und unzuständig tätig geworden ist, sondern auch, dass in der Veröffentlichung der Stasi-Liste kein Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) oder gegen andere Gesetze vorliege. Da sich für alle Menschen in Deutschland mit solchen Problemen als vertrauensvoller Partner und Ratgeber das virtuelle Datenschutzbüro anbietet, wandte er sich dorthin, d.h. eigentlich an dessen Leiter Dr. Thilo Weichert, der diese Aufgabe als Stellvertretender Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein nach einer Absprache mit den anderen Bundesländern wahrnimmt.

Nicht zuletzt, da Dr. Thilo Weichert nach der Wende 1990 die Stasi-Aufklärung unterstützt hat, hätte Mario Falcke hoffen können, bei ihm mehr Verständnis finden zu können als bei dem Referenten des Berliner Datenschutzbeauftragten, der 1982 in Ost-Berlin an der Hochschule für Ökonomie promoviert und ihm jetzt die Abmahnung geschickt hatte. Ob Dr. Thilo Weichert ihm, Mario Falcke, ein datenschutzrechtliches Gutachten schreiben könne, fragte er. Ja, das werde er tun, antwortete Dr. Thilo Weichert, fügte aber um Verständnis bittend vorsorglich hinzu, dass er mit dem Berliner Datenschutzbeauftragten Prof. Dr. Hansjürgen Garstka befreundet sei.

Bei den ersten Berichten von dem angekündigten Gutachten war ich noch sehr skeptisch: Ein stellvertretender Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein kann doch nicht einfach dem Berliner Datenschutzbeauftragten mit einem Gutachten in die Parade fahren. Und die Skepsis wurde noch größer, als Mario Falcke sagte, Dr. Thilo Weichert habe nichts, gar nichts dagegen, wenn das Gutachten veröffentlicht werde. Neugierig geworden, bat ich selbst um Übersendung des Gutachtenstextes, eben jene DOC-Datei "stasigut", deren Lektüre dann des Rätsels Lösung brachte.

Das Gutachten ist auf der ganzen Linie ein Plädoyer für die Position des Berliner Datenschutzbeauftragten Prof. Dr. Hansjürgen Garstka und bezieht klar Position gegen den Petenten Mario Falcke. Da offenbar weder Mario Falcke noch sonst wer aus seinem Umfeld Anstalten machte, das "stasigut" genannte Schreiben zu publizieren, tat es Dr. Thilo Weichert schließlich selbst, und zwar auf der Website der "Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V." (DVD), deren Vorsitzender er ist und deren Name von ihm - in weiser Voraussicht - in den Kopf des Gutachtens gesetzt worden war. Und wenn Herr Garstka, der Berliner Datenschutzbeauftragte, das "Gutachten" nicht schon vorher bekommen hat, so konnte er es zumindest jetzt über das Internet ganz offiziell zur Kenntnis nehmen und in seinem Brief vom 2. Juli 2002 an Mario Falcke sich darauf berufen:

"Meinem Ihnen mit Schreiben vom 14. Juni 2002 übersandten Vermerk vom 7. Juni 2002 können sie entnehmen, dass ich nach wie vor der Auffassung bin, dass für die Bereithaltung der in Rede stehenden Stasi-Mitarbeiter-Listen im Internet und die Verbindung durch einen "Deep Link" das BDSG und nicht das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) einschlägig ist. Auch das Gutachten meines Kollegen Dr. Thilo Weichert kommt zu dem Schluss, dass vieles dafür spricht, dass vorliegend zumindest neben dem StUG auch das BDSG anwendbar ist."

Wäre das "Gutachten" von einem regulär beauftragten Rechtsanwalt und nicht von einem öffentlich bestellten 'Bürgeranwalt' erstellt worden, dann könnte Mario Falcke mit Fug und Recht von einem Parteienverrat sprechen. Für einen Bürgeranwalt aber gelten diese Strafvorschriften nicht. Man kann zwar sagen, dass er einen Betroffenen, der sich vertrauensvoll an ihn gewandt hat, salopp gesprochen "in die Pfanne gehauen" hat; strafrechtlich relevant ist das aber nicht - mit bürgernaher Beratung hat das allerdings auch nichts zu tun. Mario Falcke hätte nun eben wissen müssen, auch in Datenschützerkreisen gilt, wenigstens weitgehend, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt.

Natürlich, es wäre sehr bedenklich gewesen, wenn Dr. Thilo Weichert als stellvertretender Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein in einem Rechtsstreit im Auftrag einer Partei in einem Gutachten gegen den Berliner Datenschutzbeauftragten Position bezogen hätte. Dass er aber für ihn und gegen den Petenten, der sich vertrauensvoll und Vertrauen suchend an ihn gewandt hat, Stellung bezogen hat, ist fatal für eine Einrichtung wie das virtuelle Datenschutzbüro.

Es kommt hinzu, dass die Aussagen in dem "Gutachten" durchaus anfechtbar - weil widersprüchlich und einseitig - sind. Ohne auf das Gutachten in seiner ganzen Breite einzugehen, möchte ich hierfür je ein Beispiel nennen, deren jedes den Gutachtenstenor in seinem Wesensgehalt trifft.

Da eine Voraussetzung der Ordnungswidrigkeit der Veröffentlichung des Links durch www.stasiopfer.de ist, dass die Daten nicht offenkundig sind, argumentiert Weichert auf Seite 5:

"Der Umstand, dass eine Liste einmal - in rechtswidriger Form - allgemein zugänglich war, schließt den Tatbestand nicht aus. Auch wenn eine unzulässige Veröffentlichung durch mehrere Stellen erfolgt, hindert dies nicht an der Anwendung der Vorschrift", da man ja andernfalls durch rechtswidrige Veröffentlichungen die Strafvorschrift umgehen könnte.

Zuvor (S. 1) sagte Weichert allerdings, dass die Veröffentlichung durch www.nierenspende.de - zumindest nach der damaligen Rechtslage - gar nicht rechtswidrig war:

"Ein Strafverfahren wegen der Veröffentlichung einer ähnlichen Liste war im Jahr 2000 eingestellt worden, weil der Anwendungsbereich des Bundesdatenschutzgesetzes (BSDG) nicht eröffnet gewesen sei, so dass auch dessen Straf- und Bußgeldvorschriften (§§ 43, 44 BDSG) als nicht einschlägig angesehen wurden."

Demnach war die Liste also doch nicht rechtswidrig an die Öffentlichkeit gelangt und gilt somit als offenkundig, was dann heute eine Ordnungswidrigkeit ausschließen sollte.

Zwar führt Weichert in seinem Gutachten die BGH-Entscheidung vom 12.07.1994 zur Veröffentlichung der Hallenser IM-Liste an, und er verweist auch auf die Auslassungen des Bundesbeauftragten für den Datenschutz in seinem 18. Tätigkeitsbericht für 1999 und 2000 über die Veröffentlichung der Stasi-Liste auf www.nierenspende.de etc. Was Weichert aber in dem "Gutachten" unerwähnt lässt, ist, dass das Bundesverfassungsbericht in einer Entscheidung zur Hallenser IM-Liste festgestellt hat, dass die vorangehende Entscheidung des BGH in dieser Hinsicht nicht verfassungsgemäß war und das Veröffentlichungsinteresse hier Vorrang vor den persönlichen Interessen der in der Liste Genannten habe.

Dass die Verfassungsbeschwerde dennoch nicht zur Verhandlung angenommen worden war, hatte andere Gründe, die für das Gutachten irrelevant sind. Als einen Fehler im Gutachten muss man es auch ansehen, dass der Punkt 5.8.4 aus dem 18. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz zwar als Beleg angeführt wird, die am Schluss des Punktes mit Bezug auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts getroffene Wertung aber schlicht und einfach unterschlagen wird; sie lautet nämlich:

"Das Verfassungsgericht hat in seiner Begründung aber darauf hingewiesen, dass es bei der Abwägung zwischen den Grundrechten der Meinungsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht durch den BGH verfassungsrechtliche Defizite sieht. Dabei stellt das Gericht - aus meiner Sicht zurecht - in erster Linie auf das Interesse an der Veröffentlichung der Stasi-Liste und somit auf die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit ab."

Mit seiner selektiven Wahrnehmung nur der ins Konzept passenden Rechtsauffassungen entwertet Dr. Thilo Weichert seinen in der Datei "stasigut" enthaltenen Schriftsatz von einem Gutachten zu einem parteilichen Papier auf der Website einer Lobbyorganisation.

Im Bewusstsein der dem Gutachten immanenten realen Satire möchte ich schließlich noch das Spannungsverhältnis des ersten und des letzten Satzes des Gutachtens beleuchten. Mit Verweis auf die Sanktionsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden nach § 38 BDSG schreibt Dr. Thilo Weichert im letzten Satz:

"Das Setzen eines Links zu einem datenschutzrechtlich unzulässigen Internetangebot kann als technischer Mangel angesehen werden."

Und, was er vorausgehend sagte, ein solcher technischer Mangel berechtige dann zu einem behördlichen Eingreifen. Im ersten Satz aber hatte er die Domainnamen "www.stasiopfer.de" und "www.ddr-suche.de" mit Links untersetzt, die zu diesen Websites führen. Genau solche Links aber hatte der Berliner Datenschutzbeauftragte zum Anlass für seine Abmahnungen am 26. März 2002 genommen. Ich bin gespannt, ob auch hier eine Intervention gegen die gesetzten Links folgen wird.

Nachtrag: Da, wenn man keinen Link setzt, sondern die betreffende URL als Text ausschreibt, auch der Berliner Datenschutzbeauftragte wohl nichts machen kann, ziehe ich es wegen der gefährlichen Links im ersten Satz vor, den Verweis auf die Datei "stasigut" bzw. "stasigutacht.htm" nur als Text und nicht als Link anzuführen: http://www.aktiv.org/DVD/Themen/stasigutacht.html. Mit Cut-and-paste statt Mouseclick geht es doch auch!