Afghanistan: Linker Widerstand gegen Fundamentalisten und Besatzung
Afghanische Linke und Demokraten berichten in Berlin über ihren Kampf für Säkuklarismus, Frauenrechte und soziale Belange unter schwierigen Bedingungen
Die Bundeswehr will Soldaten nach Afghanistan schicken und zugleich hat sich die große Koalition darauf geeinigt, verstärkt nach Afghanistan abzuschieben. Ein Kollege erzählte mir am Wochenende die Geschichte einer afghanischen Familie, die jahrelang im Iran gelebt hat und dann nach Deutschland weiter geflohen ist. Der 13jährige Sohn ist im Iran und spricht fließend Deutsch. Jetzt soll aber die ganze Familie gezwungen werden, nach Afghanistan auszureisen.
Doch das Land, in dem diese Menschen geschickt werden sollen, ist nach wie vor im Krieg. "Allein 2015 gab es bisher 168 bestätigte Luftangriffe des US-Militärs in Afghanistan. Dabei wurden bis zu 1.000 Menschen getötet", schrieb Telepolis-Autor Sascha Pommrenke kürzlich. Auch die Bundeswehr ist am Töten von Zivilisten beteiligt. Die Verantwortlichen werden befördert, den Hinterbliebenen eine angemessene Entschädigung verweigert.
Hafiz Rasikh vom Vorstand von Hambastagi, der Solidaritätspartei Afghanistans, kann es nicht nachvollziehen, wie man auch nur einen einzigen Teil Afghanistans für sicher halten kann. Rasikh hält sich dieser Tage in Berlin auf, um gemeinsam mit anderen auf verschiedenen Veranstaltungen über die Situation in seinem Land zu berichten.
Mit 30.000 registrierten Mitgliedern ist Hambastagi die einzige linke Partei des Landes. Andere Gruppen arbeiten im Untergrund, aber auch die legale Arbeit ist alles andere als sicher. Im vergangenen Jahr seien drei Mitglieder seiner Partei ermordet worden, in diesem Jahr bereits die gleiche Zahl. Bedrohungen seien an der Tagesordnung und die exponierten Mitglieder würden aus Sicherheitsgründen alle paar Monate die Wohnung wechseln.
Täter sind sind sowohl Taliban als auch die regierenden Mudschaheddin. Einen großen Unterschied zwischen den Gruppierungen an der Macht und den Taliban sieht er ohnehin nicht. Die Partei erinnert unter anderem an die von ersteren während des Bürgerkriegs 1992 bis 1996 angerichteten Massaker.
Ein wichtiger Teil der Arbeit seiner Partei sei der Kampf für die Rechte der Frauen, die 30 Prozent der Mitgliedschaft stellen und 40 Prozent im engeren Führungszirkel der Organisation ausmachen. In den letzten Monaten war ein wichtiges Thema der Kampf um Gerechtigkeit im Falle einer jungen Frau, die Mitte März im Zentrum von Kabul unter den Augen der Partei einem religiösen Lynch-Mord zum Opfer fiel. Die Täter wurden schnell wieder freigelassen und werden, wie auch die Frauenorganisation RAWA schreibt, von den Behörden gedeckt. Hambastagi hat seit dem verschiedene Demonstrationen für ihre Bestrafung organisiert und den Bau eines Denkmals initiiert, der an den Mord erinnern soll.
Rasikh sieht seine Partei derweil zwischen Fronten. Auf der einen die Taliban und auf der anderen die ebenso verbrecherischen Mudschaheddin und die ausländischen Besatzer. Viele Gelder, die ins Land kämen, würden versickern und bei den regierenden Fundamentalisten die Taschen füllen. Schulen, die mit Entwicklungshilfegeldern gebaut würden, gäbe es mitunter nur auf dem Papier. Selbst in Kabul würde zum Teil noch in Zelten unterrichtet.
Der Abzug der NATO-Truppen würde bedeuten, dass die heute von der Besetzung profitierenden Mudschaheddin geschwächt würden. Die Linken und Demokraten hätten dann nur noch an einer Front zu kämpfen. Auch die Taliban, die bei weitem keine Mehrheit in der Bevölkerung hätten, seien derzeit eher auf dem absteigenden Ast.
Der NATO-Krieg habe für die Bevölkerung jedenfalls keine Verbesserungen gebracht. Der Drogenanbau und -handel gehe weiter und drei Millionen Menschen, ein Zehntel der Bevölkerung, sei süchtig. Viele Menschen müssten von einem US-Dollar am Tag leben, die meisten Fabriken zerstört oder privatisiert. Korruption sei weit verbreitet.
Die Geschichte der einst sehr starken, aber in verschiedene Fraktionen zersplitterten afghanischen Linken wird bei Hambastagi selbstkritisch gesehen. In den 1980ern habe es unter der seinerzeitigen linken, von Moskau gestützten Regierung schwere Menschenrechtsverletzungen gegeben. Diese müssten aufgeklärt und gesühnt werden. Ansonsten hält die Partei internationale Solidarität hoch und hat zum Beispiel im vergangenen Jahr mehrere Unterstützungsdemonstrationen für das vom IS belagerte syrisch-kurdische Kobane organisiert.