Amoklauf eines US-Soldaten in Afghanistan

Nachdem ein US-Soldat 16 unschuldige Zivilisten getötet hat, werden Unruhen befürchtet. Das US-Militär muss sich auch die Frage stellen, ob sorgfältig genug registriert wird, wenn ein Soldat psychisch gestört ist

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Der US-Soldat, dessen Amoklauf am frühen Sonntagmorgen Schockwellen in einer ohnehin angespannten Situation in Afghanistan auslöste, war nach Informationen der pakistanischen Zeitung Dawn US-Spezialeinheiten der Green Berets bzw. der Navy Seals zugeteilt. Das ist von einer fatalen Symbolik, da diese Einheiten für Stabilität in den Dörfern sorgen sollen. Strategisch kommt ihnen, laut offiziellen Bekundungen, eine zentrale Aufgabe für den Übergangsprozess zu: Sie sollen afghanische Sicherheitskräfte ausbilden ("train and advise") und mit ausgesuchten Dorfbewohnern Patrouillen bilden - eine Art bewaffnete "neighbourhood watch".

Der Amoklauf macht den dünnen Boden, auf dem solche Sicherheitspartnerschaftskonzepte seit einigen Wochen stehen, noch brüchiger. Er verstärkt das gegenseitige Misstrauen und die Entfremdung zwischen Afghanen und internationalen Truppen, die sich zuletzt nach der Koranverbrennung in Bagram und in einer Reihe von Ereignissen zeigte, bei denen afghanische Soldaten auf Nato-Soldaten schossen ( "Green on blue"). Was kann Afghanen entgegengehalten werden, wenn sie darauf hinweisen, dass ausgerechnet aus den Reihen derjenigen, die sie beschützen sollen, auf Zivilisten geschossen wird, und die "Befreier" elementare religiöse Werte auch noch nach einem Jahrzehnt ignorieren ( Angst vor eskalierenden Protesten)?

Den Verweis auf einen psychischen Ausnahmezustand des US-Amokläufers lassen afghanische Verteter nicht gelten. "Wenn die Vereinigten Staaten behaupten, dass dieser Mann mentale Probleme hatte, wirft das Fragen auf", wird ein Sprecher der Provinzregierung in Kandahar zitiert. Javed Faisal drückt seine Verwunderung darüber aus, dass die Amerikaner nicht registrieren, wenn ein Soldat mentale Probleme hat. Soweit der Lebenslauf des Amokläufers bekannt ist, hatte er bereits drei Einsätze im Irak hinter sich, bevor er im Dezember nach Afghanistan kam.

Dass seine Vorgesetzten nicht auf die psychischen Störungen des Mannes aufmerksam wurden, der am Sonntagmorgen losmarschierte, um 16 unschuldige Zivilisten, darunter neun Kinder, zu töten, bestärkt den Eindruck, wonach psychische Schäden durch Kriegseinsätze von Militärführern nicht genügend ernstgenommen werden. Die Folgen des Amoklaufs sind bislang nicht abzuschätzen. Ob die schnell erfolgte  Erklärung des US-Präsidenten - "This incident is tragic and shocking, and does not represent the exceptional character of our military and the respect that the United States has for the people of Afghanistan" - Eskalationen verhindern kann, ist sehr ungewiss.

Angeblich kursieren in Afghanistan Versionen des Tathergangs, wonach der US-Soldat nicht alleine war und auf Befehl gehandelt habe.