Atomkraft: Uraltreaktoren wird eingeheizt
AKW-Betreiber trauen offensichtlich ihren Anlagen nicht mehr so recht
Nach Recherchen von WDR und Süddeutscher Zeitung wird in mindestens 18 aktiven europäischen Atomreaktoren das Notkühlwasser vorgeheizt. Darüber berichtete am Mittwochabend die ARD. Das Notkühlwasser kommt zum Einsatz, wenn der normale Kühlwasserkreislauf ausfällt. Das Vorheizen deutet daraufhin, dass die Betreiber den Druckbehältern – bei allen betroffenen AKW handelt es sich um Druckwasserreaktoren – nicht mehr so richtig vertrauen. Geübt werde dies Praxis in mindestens 18 Fällen in der tschechischen Republik, Finnland, Frankreich, der Slowakei und Belgien.
Im Innern der Druckbehälter herrschen während des Betriebs 160 Bar, also knapp das 160fache des normalen Atmosphärendrucks, und rund 270 Grad Celsius. Offensichtlich befürchten die Betreiber der oben genannten Anlagen, der Stahl ihrer Druckbehälter würde bersten, wenn er mit Wasser in Berührung kommt, das nur fünf oder zehn Grad Celsius warm ist. Das wäre die Notkühlwassertemperatur, für die die Anlagen eigentlich konzipiert sein sollten.
Das Vorwärmen hört sich daher vielleicht zunächst wie eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme an. Doch was würde passieren, wenn im Ernstfall das Vorwärmen ebenfalls ausfiele oder wenn nicht genug vorgewärmtes Wasser zur Verfügung stünde? Man kann es also auch so sehen, dass die Maßnahmen eine falsche Sicherheit vorgaukeln.
Wie dem auch sei, die Autoren des Beitrags interpretieren sie vor allem als Hinweis, dass die Reaktoren weniger zuverlässig seien, als von den Betreibern behauptet. Letztlich geht es dabei vor allem um die Frage, in welchem Zustand sich der Stahl nach meist schon 30 oder mehr Betriebsjahren befindet. Durch die Kernspaltung im Innern des stählernen Reaktordruckbehälters ist dieser permanentem Neutronenbeschuss ausgesetzt. Das heißt, der Stahl verliert zunehmend seine elastischen Eigenschaften und wird mehr und mehr bruchanfällig.
Die große Frage ist, wie schnell? Die belgischen Atommeiler haben inzwischen traurige Berühmtheit wegen der vielen Haarrisse erlangt, die man in den Wandungen ihrer Druckbehälter gefunden hat. Unklar ist allerdings, ob diese auf Materialfehlern beruhen oder Ergebnis des Betriebs sind. Dessen ungeachtet sind sie allerdings wieder am Netz.
In Frankreich stehen derweil, wie berichtet, im Moment eine ganze Reihe von AKW still, da sie unter die Lupe genommen werden müssen. Hintergrund sind Fälschungen und/oder Fehler in zahlreichen Dokumenten des französischen AKW-Bauers Areva. Oder mit anderen Worten: Westlich des Rheins ist man sich nicht mehr so ganz sicher, was da eigentlich in den AKW verbaut wurde.
Derzeit sind weltweit 18 von 450 laufenden Reaktoren 45 Jahre oder älter. 198 weitere Reaktoren werden bis 2029 die Altersgrenze von 45 Jahren erreicht haben (Altersdaten der Internationalen Atomenergieagentur). Diese spielt derzeit in der Schweiz eine besondere Rolle. Dort sind am Sonntag die Bürger aufgerufen, über ein Atomausstiegsgesetz abzustimmen, wie unter anderem die junge Welt und die Badische Zeitung berichten.
Das zur Abstimmung stehende Gesetz sieht vor, dass alle Reaktoren nach 45 Betriebsjahren abgeschaltet werden. In der Schweiz, wo der älteste Reaktor bereits seit 1969 läuft und mancher der fünf Meiler des Landes ohnehin wegen technischer Probleme mehr stillsteht, als dass er Strom ins Netz einspeisen würde, wäre damit im Jahre 2029 Schluss. Sorgen bereitet derzeit übrigens vor allem das AKW Leibstadt, nach Angaben der Neuen Züricher Zeitung ausgerechnet der jüngste und leistungsstärkste Reaktor des Landes.